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Shakespeare - immer wieder reloaded

Interview: Heike Mund23. April 2016

In Berlin brilliert Lars Eidinger gerade in "Hamlet". Shakespeare genießt bis heute auf Deutschlands Theaterbühnen größte Popularität. Warum das so ist, erklärt Literaturexperte Hans-Jörg Modlemayr im DW-Gespräch.

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Bild: DW

DW: Herr Modlemayr, in England und auch anderen europäischen Ländern wird der 400. Todestag von William Shakespeare groß gefeiert, seine Werke werden derzeit in Deutschland wieder neu aufgelegt. Und die große Frage stellt sich natürlich: Warum muß Shakespeare eigentlich immer wieder neu übersetzt werden?

Hans-Jörg Modlemayr: Die deutsche Sprache verändert sich einfach immer wieder. Die romantische Übersetzung von August Wilhelm Schlegel und seinem Mitherausgeber Ludwig Tieck war ein Kind ihrer Zeit. Und das ausgehende 18. Jahrhundert war eine prüde Zeit, eine Zeit, die alles romantisiert hat. Und den vitalen, lautstarken Shakespeare, der auf der Orgel auf allen Tasten spielte und alle Gefühlsregister zog, den haben die brav auf Zimmerlautstärke, quasi für den Geschmack des Bürgertums reduziert.

Was war der Grund für diese Schlegel/Tieck-Übersetzung, die über einen Zeitraum von 1789-1833 entstand und von insgesamt vier Autoren verfasst wurde? Heute gilt sie als Klassiker, Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki hat sie seinerzeit immer wärmstens empfohlen, als die beste Übersetzung überhaupt.

Das ist mir vollkommen schleierhaft, er hatte doch ein gutes Sprachgefühl. Das ist die Klassikerausgabe deshalb, weil sie für das deutsche Bildungsbürgertum sakrosant gemacht wurde. Das war's, und darüber hinaus gab es nichts. Und durch diese brave Schlegel/Tieck-Übersetzung ist der Shakespeare zu einem Weimarer Klassiker geworden. Goethe und Schiller waren gut und schön, aber sowas wie Shakespeare hatten wir nicht. Und da wurde durch diese merkwürdige Verdeutschung von Shakespeare ein neuer Autor eingeführt. Und es hatte auch nicht mit dem 1. Weltkrieg zu tun und der Feindschaft zu England. Man hat dann behauptet, die Engländer, die sind so Krämer, die können mit dem Shakespeare nicht viel anfangen. Die wahre Shakespeare-Pflege, die geschieht in Deutschland.

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Lars Eidinger als Hamlet in einer Inszenierung der Berliner SchaubühneBild: picture-alliance/dpa/A. Taherkenareh

Diese romantische Zeit, in der Schlegel und Tieck lebten, ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was man aus den Shakespeare-Dramen kennt. Wie hat sich denn die romantische Grundstimmung in deutschen Landen mit den zum Teil wuchtigen und brachialen Shakespeare-Texten vertragen?

Die Texte von William Shakespeare hat praktisch keiner gelesen in Deutschland. Englisch war ja nicht unbedingt wie Französisch die Sprache, die jedem zugänglich war. Das waren zwei verschiedene Welten. Der deutsche Shakespeare ist ein Papier-Shakespeare und der englische ist das brodelnde Leben, das Spektakel auf der Bühne. Und das war für das deutsche Bürgertum höchst irritierend. Das kannte man nicht und hat das einfach ausgeblendet.

Wie ist William Shakespeare denn zu seinen Lebzeiten gelesen und gespielt worden? Er war doch schnell ein bekannter Autor.

Gute Frage. Gelesen wurde er praktisch nicht, weil die Schauspieler – so wie die Musiker im Orchester – ihre Texte, ihre Rollen bekamen und dann wurde das Stück gespielt. Aber als Buch gedruckt ist das Stück vorher nie erschienen. Das heißt, wir haben, was die Geschichte dieser Texte anbetrifft, eine sehr wackelige Shakespeare-Überlieferung.

Deutschland Denkmal für William Shakespeare in Weimar
Denkmal für William Shakespeare in WeimarBild: picture-alliance/dpa

Shakespeare war schon sieben Jahre tot, als seine Texte und Dramen von Freunden und gutmeinenden Schauspielern zusammengestellt worden sind. Er war zu seinen Lebzeiten ein gespielter Autor. Und er kam beim Publikum an, weil er so vital war, so universal und so dynamisch auf der Bühne.

Wurde er denn in Deutschland und überhaupt auf dem europäischen Kontinent gespielt?

Nein. Es gab zwar so Wanderschauspieler, die so ein bisschen durch Deutschland zogen, aber die konnten natürlich nicht die Bedingungen des elisabethanischen Theaters nachmachen. Shakespeare kommt in Deutschland auf der Bühne erst Ende des 19. Jahrhunderts vor.

Worauf beziehen sich die ganzen Übersetzer? Später haben sich auch Stefan George, Karl Krauss und Paul Celan zum Beispiel an Shakespeare versucht. Gibt es da einen Urtext von Shakespeare, auf den sich im Laufe der Jahrhunderte die Übersetzer immer bezogen haben?

Es gibt keinen echten Urtext. Shakespeare hat sich nicht in den letzten paar Jahren seines Lebens hingesetzt, und hat seine Stücke, seine Dramen und seine Sonette für die Nachwelt bearbeitet. Das ist alles eine sehr unsichere Überlieferung.

Wie ist das in England? Dort müsste es doch einen Urtext auf Englisch geben, so wie ihn Shakespeare verfasst hat.

Selbst da ist es so, dass diese Ausgabe von 1623 ständig verändert wurde. Da gibt es hunderte von Variationen. In England war dann das Theater lange Zeit tot, weil die Puritaner es überall geschlossen haben. Dafür kam dann der englische Roman.

England Besuch US Präsident Obama im Globe Theatre
US-Präsident Obama schaut bei seinem England-Besuch am 23.04.2016 auch im Globe Theatre vorbei.Bild: Getty Images/C. Radburn

Wie wichtig ist es für eine gute Übersetzung, dass der Verfasser auch mal ein Shakespeare-Stück im Original auf der Bühne gesehen hat? Da gab es Ende des 19. Jahrhunderts einen Übersetzer namens Hans Rothe, der in jungen Jahren Shakespeare in England im Theater gesehen hat. Was hat er anders gemacht als Schlegel/Tieck und die anderen Übersetzer vor ihm?

Hans Rothe ist 1894 geboren. Er hat in Edingburgh studiert, noch vor dem 1. Weltkrieg, und hat dort "Macbeth" im englischen Original kennengelernt. Und 1916, also genau vor 100 Jahren, setzte sich der 22-jährige Student hin und beschloss, zum 300. Todestag Shakespeares dessen gesamtes Werk in eine bühnenaufführbare, lebendige, vitale deutsche Sprache zu übersetzen. Und in diesem Jahr wird gerade im Staatstheater Karlsruhe sein "Hamlet" in seiner Übersetzung gespielt – und kommt super beim Publikum an.

Auch in Deutschland gibt es die Shakespeare-Gesellschaft, die zu jeder Zeit dafür gesorgt hat, dass die Ausrichtung der Übersetzungen gestimmt hat. Inwieweit war Shakespeare da auch ein Politikum, je nach Zeitgeist, der auch die Literatur geprägt hat?

Kultur und Literatur werden immer auch politisch instrumentalisiert. Die Gründung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft in Weimar 1864 war aus einem deutsch-nationalen – das war noch vor der Reichsgründung – und patriotischen Klima heraus geschehen. Das heißt, von Anfang an war so eine Deutschtümelei in dieser deutschen Sektion der Shakespeare-Gesellschaft drin, die in Weimar daraus den deutschen Shakespeare gemacht hat.

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Seit 1991 steht auf der Neusser Rennbahn ein Nachbau von Shakespeares Globetheater, das jedes Jahr im Sommer die Stücke des elisabethanischen Meisters zum Leben erweckt.Bild: Shakespeare Festival Neuss

Das ist erschreckend: Shakespeare wurde durch die Übersetzung von Hans Rothe so eingeführt, dass alle deutschen Bühnen in den 1920er Jahren bis ins sogenannte Dritte Reich seine populäre Version von Shakespeare gespielt haben. Und dann passiert etwas Barbarisches: Die deutsche Shakespeare-Gesellschaft liefert Propagandaminister Goebbels eine Vorlage, auf Grund derer er auf einen Schlag alle Hans-Rothe-Übersetzungen von den deutschen Bühnen verschwinden lässt.

Rothe ist dann emigriert, kam über Italien, Frankreich, Spanien und Amerika, wo er Shakespeare-Professor war, in den 1950er Jahren zurück. Und wird heute wieder gespielt, derzeit vom Staatstheater Karlsruhe – was sehr für seine lebensnahe Übersetzung und die Qualität seiner Bühnentexte spricht.

Das Interview führte Heike Mund.

Hans-Jörg Modlmayr ist Literaturwissenschaftler und hat Anglistik in Cambridge studiert und dort viele Jahre als Lektor für Deutsch an der dortigen Universität gearbeitet. Heute lebt und arbeitet er als Spezialist für englische Literatur und als Autor in Deutschland.

Deutschland Theater Schauspielerin Anna Thalbach Wie es euch gefällt
Anna Thalbach in "Wie es euch gefällt" in der Komödie am Kurfürstendamm in Berlin (2009)Bild: picture-alliance/dpa