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Sexualität in Zeiten von Corona

Gudrun Heise
4. September 2021

Corona hat unsere Sexualität verändert. Die Zahl der Menschen, die sich mit sexuell übertragbaren Erkrankungen angesteckt hat, ist zwar relativ stabil geblieben - aber weniger Menschen haben sich testen lassen.

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Zwei Menschen küssen sich mit Maske
Auch in der Pandemie leben die Menschen ihr Liebesleben weiterBild: picture-alliance/abaca/Almagro

Genaue Zahlen zum Sexualverhalten während der Pandemie gibt es nicht, aber einige Verhaltensmuster sind zu erkennen. Vor allem während des Lockdowns haben viele oft ganz auf sexuelle Kontakte verzichtet. Menschen ohne feste Beziehung hatten eingeschränkte Möglichkeiten, Freunde oder Freundinnen, beziehungsweise Sexualpartner oder -partnerinnen zu finden. Das heiße aber nicht, dass die Menschen eineinhalb Jahre keine Sexualität gelebt hätten, sagt Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (STI sind sexually transmitted infections, also sexuell übertragbare Infektionen).

"Der Beginn der Corona-Pandemie und insbesondere der erste Lockdown haben zu einer großen Verunsicherung in der Bevölkerung geführt", sagte Brockmeyer der DW. "Wie weit ist Nähe überhaupt möglich? Wie weit kann Nähe gelebt werden? Besonders deutlich war das im April 2020 zu spüren. Damals haben die Menschen ihre sexuellen Kontakte stark eingeschränkt. Einige haben die HIV-Prophylaxe unterbrochen, haben sich nicht auf STIs testen lassen, weil sie Angst hatten, sich mit Corona zu infizieren."

Aber natürlich sei die Sexualität weiter gelebt und erlebt worden.

Paar im Bett
Corona hat Sexualität nicht gestoppt, aber verändertBild: picture-alliance/Beyond

Eine veränderte Sexualität

Corona hat die Sexualität nicht gestoppt. Viele aber haben sich in ihren privaten Bereich zurückgezogen, mit einem festen Partner oder einer festen Partnerin. Andere hatten und haben sexuellen Kontakt mit verschiedenen Partnern, meistens mit Menschen, die sie sehr gut kannten und kennen.

"Im privaten Bereich sind also Netzwerke entstanden, in dem sexuelles Leben stattgefunden hat.  Das aber hat auch dazu geführt, dass sich die Menschen nicht so gut geschützt haben. Man kennt sich ja schließlich", gibt Brockmeyer zu Bedenken.

Prof. Dr. Norbert Brockmeyer
Norbert Brockmeyer ist Facharzt für Haut- und GeschlechtskrankheitenBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Kommt in einem solchen Netzwerk dann eine Infektion vor, ist die Ansteckungsgefahr entsprechend groß. Wenn sich Menschen darüber hinaus von einem Netzwerk in ein anderes bewegen, kann das zusätzlich weitreichende Konsequenzen haben.

Tests um bis zu 50% zurückgegangen

Mit dem Gefühl, sich eigentlich bei Freunden und Freundinnen nicht anstecken zu können, haben viele darauf verzichtet, sich auf STIs testen zu lassen. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass viele schlichtweg Angst hatten, sich in einer Arztpraxis, einer Klinik oder einem Testzentrum mit Corona anzustecken.

"Wir konnten die Menschen mit unseren Angeboten bezüglich sexueller Aufklärung und Testung nur sehr schwer erreichen", sagt Brockmeyer. "Daten zeigen, dass Testungen um teilweise bis zu 50 Prozent zurückgegangen sind. Viele Gesundheitsämter hatten diesen Bereich oft gar nicht geöffnet."

Alles ist anders

Die Pandemie hat zu tiefen Einschnitten in der Sexualität und im Umgang miteinander geführt. Cafés und Restaurants waren geschlossen, Orte, an denen Menschen gerade während des Lockdowns zusammenkommen konnten, gab es nicht.

große rote Aidsschleife auf einer weißen Wand, davor der Kopf eines Mannes
Seit Beginn der Pandemie haben sich weniger Menschen auf STIs testen lassen Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Für diejenigen, die sich an Abstandsregeln gehalten haben und das immer noch tun, war und ist es schwierig, Nähe zu neuen Menschen zu suchen und zu finden, neue Kontakte zu knüpfen, Zärtlichkeiten auszutauschen und sexuell aktiv zu sein.

Homosexuelle hätten während der Pandemie ihr Verhalten stark geändert und ihre Sexualität sehr deutlich reduziert, aber nicht bis auf null, erklärt Brockmeyer. "Auch sie haben ihre Sexualität weitergelebt und in den meisten Fällen auch weiterhin heterosexuelle Partnerinnen und Partner gehabt."

Bei Männern seien es etwa 10 bis 30 Prozent, die sowohl männliche als auch weibliche Kontakte haben. Bei Frauen liege der Prozentsatz noch wesentlich höher. Hier seien es 50 bis 60 Prozent, die sowohl andere Frauen als auch Männer unter ihren sexuellen Kontakten haben. "Das sind dann natürlich auch unterschiedliche Gruppen, in denen Sexualität gelebt wird, und damit gibt es dann auch unterschiedliche Cluster von Risiken", sagt der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. "STIs können von einer Gruppe auf die andere übertragen werden."

Alte Bekannte

Nach wie vor führen Chlamydien, Gonorrhö, Tripper und Syphilis die Liste der sexuell übertragbaren Infektionen an. Corona hat daran nichts geändert.

Computer-Illustration des Syphilis-Erregers Treponema pallidum
Treponema pallidum - der Erreger der SyphilisBild: Imago/Science Photo Library

Das Risiko, sich mit einer sexuell übertragbaren Infektionserkrankung anzustecken, ist nach wie vor sehr hoch, vor allem bei ungeschütztem Sex. Entsprechend wichtig ist es, nicht nur sich selbst sondern auch die Partnerinnen und Partner testen zu lassen. 

Verantwortung zeigen

Gerade junge Leute hätten durch die Corona-Pandemie ein größeres Bewusstsein für ihre eigene Gesundheit entwickelt. Davon ist Brockmeyer überzeugt. Das müsse jetzt weiter ausgebaut werden. "Wenn den Menschen klar wird, dass sie sich auf STIs testen lassen sollten, wenn sie zu mehreren Partnern oder Partnerinnen Kontakt hatten, kann man das nur begrüßen. Viele haben sich ja schließlich auch mehrfach in der Woche auf Corona testen lassen", so Brockmeyer.

Die Erkenntnisse, die Corona bisher gebracht hat, müssten auch auf die eigene sexuelle Gesundheit übertragen werden.  "Das heißt auch, Verantwortung für die eigene Vorsorge zu übernehmen. Das gilt für Herzinfarkt genauso wie für sexuell übertragbare Infektionskrankheiten. Nach allen Erkenntnissen, die wir jetzt haben, sind die STIs nicht zurückgegangen. Sie sind zumindest stabil geblieben."