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Streitfall Kosovo

Fabian Schmidt8. Oktober 2008

Serbien will vom Internationalen Gerichtshof prüfen lassen, ob die Unabhängigkeit des Kosovo rechtmäßig ist. Doch die UN-Vollversammlung dürfte den Antrag aus Belgrad ablehnen.

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Die UN-Vollversammlung in New York. Quelle: AP
Die UN-Vollversammlung in New York muss sich mit dem Antrag Serbiens befassenBild: AP

War die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo legal? Für Serbien ist die Antwort klar: Die Unabhängigkeit seiner ehemaligen Provinz sei unrechtmäßig und ihre Anerkennung eine Verletzung der UN-Charta. Belgrad will die Frage nun vom Internationalen Gerichtshof (IGH) klären lassen. Mit dem entsprechenden Antrag Belgrads wird sich die UNO-Vollversammlung befassen. Um ihren Antrag durchzubringen, braucht die serbische Regierung am Mittwoch (8.10.2008) in der UNO-Vollversammlung mit mindestens 97 Stimmen die einfache Mehrheit.

Serbiens Präsident Boris Tadic. Quelle: AP
Serbiens Präsident Boris TadicBild: AP

Die Aussichten für das Vorhaben würden allerdings nicht allzu gut stehen, meint Christian Tomuschat, Professor für Völkerrecht an der Berliner Humboldt-Universität. "Ich kann mir vorstellen, dass viele Länder kein Interesse haben, die Frage vor den internationalen Gerichtshof zu bringen", sagt Tomuschat. "Ich denke auch, dass die Russen wegen der Georgien-Affäre kein Interesse haben, dass solche Fragen gerichtlich geklärt werden."

Win-Win-Situation für Serbien

Aber selbst wenn der Vorstoß Belgrads bereits an der einfachen Mehrheit scheitere, habe die Regierung schon durch die Abstimmung einen Erfolg erzielt, sagt Franz-Lothar Altmann, Balkanexperte aus München: "Serbien ist in einer Win-Win-Situation." Denn in jedem Fall signalisiere der Antrag innenpolitisch, dass die Regierung alles in ihrer Macht stehende versucht habe.

Kosovaren feiern im Februar mit Fahnen des neuen Staates die Unabhängigkeit. Quelle: AP
Kosovaren feiern im Februar mit Fahnen des neuen Staates die UnabhängigkeitBild: picture-alliance/ dpa

Falls der IGH allerdings wider Erwarten den Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens bekommt, werde es diesen auch annehmen, glaubt der Völkerrechtsexperte Tomuschat. Denn noch nie hat der IGH die Erstellung eines Gutachtens abgelehnt - auch nicht in anderen politisch brisanten Fällen. "Als die Generalversammlung etwas über den Bau der Trennmauer in Palästina wissen wollte, haben viele Staaten den IGH aufgefordert, das Gutachten abzulehnen", sagt Tomuschat. "Das hat der IGH nicht getan - und er würde es nur aus ganz schwerwiegenden Gründen tun."

Eine Frage der Fragestellung

Allerdings ist noch unklar, worüber der IGH letztlich befinden kann. Denn das hängt vor allem von der Fragestellung ab. Und diese muss die UNO-Generalversammlung zunächst in ihrem juristischen Unterausschuss formulieren. "Da wird es noch einen großen Kampf geben", prophezeit Tomuschat. "Oft werden bei solchen Anfragen gerade die kritischen Punkte ausgeklammert. Dann hat der Gerichtshof gar nicht die Möglichkeit, sich zum eigentlichen Schwerpunkt zu äußern."

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag. Quelle: AP
Der Internationale Gerichtshof in Den HaagBild: AP

Sollte aber die Generalversammlung die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Abspaltung des Kosovo stellen, könnte sich der IGH dazu auch äußern. Ob ein Staat souverän ist oder nicht, kann er allerdings nicht entscheiden – dies geschieht durch die Anerkennung durch einzelne Staaten. "Der Gerichtshof entscheidet nur über Streitigkeiten, die das Völkerrecht berühren", erklärt der Balkan-Experte Altmann. "Hier ist im Bereich der Anerkennung noch keine einheitliche Meinung zu sehen, ob eine Abspaltung rechtens ist oder nicht."

Russlands unklare Position

Dabei ist vor allem die Frage relevant, ob die Unverletzlichkeit der Grenzen Vorrang hat oder ob schwerwiegende Verletzungen von Menschen- und Minderheitenrechten eine Unabhängigkeit rechtfertigen könnten. Gerade deshalb hält Altmann den Fall des Kosovo und den Georgiens auch für unvergleichbar. "Man hat im Kosovo über die Jahre versucht, ein Nebeneinander oder Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen wiederherzustellen. All das ist in Südossetien und Abchasien nicht passiert."

Dennoch rechnet Altmann damit, dass Kosovo und Georgien auch auf der Generalversammlung in einem Atemzug genannt werden. Denn in der Kosovo-Frage habe Russland stets auf die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Nichtzulassung von Abspaltungen gepocht. Die Unabhängigkeit der georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien anzuerkennen sei jedoch genau das Gegenteil und völlig wiedersprüchlich. "Hier ist die Glaubwürdigkeit eines Befürworters der serbischen Position sehr in Frage gestellt", sagt Altmann. "Auch in Belgrad ist man sehr verunsichert über die Position Russlands."