Die Sehnsucht nach dem Sündenbock in Griechenland
12. Dezember 2012Ausgangspunkt der Spekulationen waren Berichte der Athener Wochenzeitungen "To Vima" und "Proto Thema", die behaupten, die 89-jährige Margarita Papandreou hätte 500 Millionen Dollar unter einem Decknamen auf Schweizer Konten deponiert. Beweise dafür gibt es nicht, beide Zeitungen berufen sich auf angebliche Äußerungen führender Finanzbeamter während einer Steueruntersuchung.
Diese sollen erklärt haben, eine Strohfrau von Margarita Papandreou erscheine auf der sogenannten "Lagarde-Liste" - benannt nach der ehemaligen französischen Finanzministerin und heutigen IWF-Chefin Christine Lagarde. Die Liste enthält Namen und Bankdaten griechischer Kontoinhaber bei der Schweizer Tochterfirma der HSBC-Bank und war anscheinend Teil eines Datenfundus, den die französische Regierung bei einem Mitarbeiter dieser Bank gekauft hat. Die Lister wurde 2010 an den damaligen griechischen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou überreicht, verschwand jedoch unter ungeklärten Umständen im Labyrinth der griechischen Bürokratie, bis der Athener Journalist Kostas Vaxevanis sie im Oktober entdeckte und Auszüge in seinem Politmagazin "Hot Doc" veröffentlichte.
Nur eine politische Schmutzkampagne?
Ex-Premier Giorgos Papandreou bestreitet jegliche Vorwürfe und spricht von einer Verleumdungskampagne gegen ihn und seine Familie. Dies lässt sich auf Anhieb nicht von der Hand weisen, denn es ist ein offenes Geheimnis in Griechenland, dass sich Papandreou während seiner Amtszeit viele Feinde unter den griechischen Verlegern gemacht hat.
Außerdem bestreiten einige der angeblichen Zeugen, solche Äußerungen überhaupt gemacht zu haben. "Ich habe nie Kenntnis von der sogenannten Lagarde-Liste gehabt", erklärte Anfang Dezember der Steuerfahnder Nikos Lekkas, der in sämtlichen Zeitungsberichten als Skandal-Entdecker aufgeführt wird. Er fügte hinzu: "Außerdem habe ich noch nie konkrete Namen genannt oder angedeutet, die in irgendeinem Zusammenhang mit dieser Angelegenheit stünden.“
Wundersame Vermehrung der Listen
Somit bleibt die spannende Frage offen: Wann dürfen die Griechen endlich konkrete Namen prominenter Steuersünder erfahren, die erwiesenermaßen Milliarden am Fiskus vorbei ins Ausland transferiert haben? Die Regierung versucht die Gemüter zu beruhigen, indem sie versichert, sie arbeite in intensiv an einem diesbezüglichen Steuerabkommen mit der Schweiz. Doch viele zweifeln an einem Erfolg der Verhandlungen. Michel Dèrobert, Geschäftsführer der Vereinigung Schweizer Privatbankiers, sagte der Athener Wochenzeitung Proto Thema: "Wenn die Steuermoral im Inland ohnehin schwach ist, dann wird sie auch nicht gestärkt durch ein Steuerabkommen mit dem Ausland. Denn die meisten Betroffenen würden sich in diesem Fall wohl denken: Wenn ich seit Jahren in meiner eigenen Heimat keine Steuern zahle, warum soll ich das jetzt ausgerechnet in der Schweiz tun?“
Wo keine offiziellen Informationen vorliegen, bleibt viel Raum für Spekulation. Mittlerweile sollen nicht eine oder zwei, sondern gleich fünf verschiedene Listen mit Verdächtigen im Zusammenhang mit diversen Steueraffären im Umlauf sein: Die berühmt-berüchtigte Lagarde-Liste wird laut Presseberichten durch eine weitere Liste der griechischen Bankenvereinigung ergänzt, in der besonders vermögende Bankkunden aufgeführt würden. Dazu kommt eine Liste griechischer Immobilienbesitzer in den großen europäischen Hauptstädten, sowie eine Liste von 54.246 Bankkunden, die nach Angaben des griechischen Finanzministeriums seit Ausbruch der Schuldenkrise insgesamt über 22 Milliarden Euro ins Ausland transferiert hätten. Der letzte Fund: Unlängst veröffentlichte eine Athener Tageszeitung eine Liste mit 1747 Namen von Personen, die der "plötzlichen Bereicherung“ verdächtigt würden.
"Ich habe Schmiergeld bezahlt"
Eins haben alle diese Listen gemeinsam: Sie liefern Verdachtsmomente und viel Gesprächsstoff, aber noch lange keine Beweise. Sucht man da nur nach einem Sündenbock? Eigentlich wäre die Beweisführung Aufgabe der zuständigen Steuerbehörden, die aber nur zögerlich vorankommen. In einem Interview mit der Athener Tageszeitung Kathimerini machte der Informatikprofessor und ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium Diomidis Spinellis die ausufernde Bürokratie und die Beamten dafür verantwortlich: "Einige der Mitarbeiter im Ministerium waren gut qualifiziert, andere weniger und so manche haben praktisch nur auf ihren Feierabend gewartet."
Der Informatikprofessor will nicht mehr auf Versprechen des Staates vertrauen und hat selbst eine zündende Idee für mehr Steuergerechtigkeit: Spinellis rief eine Webseite ins Leben, auf der jeder Bürger Fälle von Steuerhinterziehung und Korruption melden kann - auch anonym. Die Webseite wird von Freiwilligen betreut und hat bereits Nachahmer gefunden. Eine 22-jährige Griechin gründete ihre eigene Internetseite mit dem vielsagenden Namen "Edosa Fakelaki", was auf deutsch "Ich habe Schmiergeld gezahlt“ heißt. Innerhalb weniger Wochen registrierten sich bereits Hunderte von Nutzern auf "Edosa Fakelaki": Die meisten Opfer berichten von Schmiergeldzahlungen in öffentlichen Krankenhäusern, bei den staatlichen Elektrizitätswerken oder sogar bei ihrer Führerscheinprüfung.