Vettel: "Ich schaue nicht mehr auf Ferrari"
5. März 2021Sechs Jahre, kein WM-Titel, dafür aber jede Menge Frust und zuletzt sogar nur noch die Nr. 2 im Team. Keine Frage: Von der Zusammenarbeit hatten sich 2015 sowohl der italienische Traditionsrennstall Ferrari als auch Sebastian Vettel viel mehr versprochen. Trotz einiger Siege und Lichtblicke war das Engagement des ersten Deutschen nach Michael Schumacher bei der Scuderia eine einzige Enttäuschung. Doch die Zeit ist vorbei, Vettels Blick ist nach vorne gerichtet. Denn statt des Karriere-Endes, das auch im Raum gestanden hatte, wählte Vettel den Neuanfang bei Aston Martin. Der Rennstall geht in der Saison 2021 als Nachfolger des Racing Point Teams an den Start.
"Ich schaue nicht mehr auf Ferrari", sagt der Vierfach-Weltmeister im Gespräch mit der DW. Es gehe darum, "das Maximum aus unserem Potenzial herauszuholen. Und dass wir als Team wachsen können." Ferrari ist nun Gegner und keine "rote Liebe" mehr. "Ich bin zuversichtlich, dass wir in dieser Saison mehr als einen Ferrari überholen können", sagt der 34-Jährige, beteuert aber sofort wieder, nach vorne schauen zu wollen: "Ich verbringe nicht wirklich Zeit damit zurückzublicken. Ich freue mich vielmehr auf die neue Herausforderung und versuche, jedes kleine Detail zu finden, das uns helfen kann, uns zu verbessern."
"Nicht James Bond"
Mit Aston Martin ist ein ganz großer Traditionsname des Motorsports nach 61 Jahren zurück in der Königsklasse. Noch mehr als für Formel-1-Nostalgie steht der britische Sportwagenhersteller für die legendären Gefährte, die Geheimagent James Bond rasant über die Leinwand steuerte. "Ich bin nicht James Bond", sagt Vettel, "und ich bin mir sicher, dass ich viel schneller fahren werde, als er es tut."
Auch Vettels neuer Teamkollege Lance Stroll kennt das Siegerpodium, wenn auch längst nicht so gut wie der Deutsche. Dreimal schaffte es der Kanadier bisher zur Champagner-Dusche, jeweils als Dritter. Dennoch sieht sich der 22-Jährige immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, er sitze nur dank seines Vaters Lawrence Stroll in einem Formel-1-Cockpit. Der Milliardär ist Co-Teameigner von Aston Martin. "Ich denke, manche der Dinge, die er durchmachen muss, sind nicht fair. Er hat oft schon gezeigt, dass er sehr schnell ist", sagte Sebastian Vettel bei der Teampräsentation von Aston Martin.
Besser als Ferrari
Neuer Name, neuer Fahrer, neuer Motor: Die Messlatte für Aston Martin und Vettel liegt hoch: In der vergangenen Saison belegte Racing Point Platz 4 in der Konstrukteurswertung. Nur Mercedes, Red Bull und McLaren landeten vor den "pinken Mercedes". So wurden die Boliden wegen ihrer auffälligen Lackierung und den Mercedes-Motoren genannt.
Damit konnte Racing Point auch Ferrari und sein damaliges Fahrerduo Sebastian Vettel/Charles Leclerc hinter sich lassen. Für Vettel war die Saison 2020 nach mehreren durchwachsenen Jahren der absolute Tiefpunkt: Nur ein Podiumsplatz (beim Großen Preis der Türkei) und Platz 13 in der Gesamtwertung bedeuteten für den Weltmeister der Jahre 2010 bis 2013 das schlechteste Saisonergebnis der Karriere.
"Favoriten stehen fest"
Im neuen Boliden, der technisch zu einem großen Teil auf dem Mercedes-Weltmeister-Auto von 2019 basiert, soll es für den 34-Jährigen wieder besser werden. "Ich denke, inoffiziell streben wir den dritten Platz in der Konstrukteurswertung an, aber das Mittelfeld ist sehr eng. Die Favoriten stehen fest, und es wird aus vielen Gründen eine sehr schwierige Saison", sagt Vettel. Er freut sich nach seiner Liaison mit Ferrari darauf, eine weitere Traditionsmarke zu repräsentieren und ihr möglicherweise zu einem historischen ersten Sieg in der Formel 1 zu verhelfen.
Vettel hat zwar viel mehr Erfahrung als Stroll, und seine Karriererfolge übertreffen die des 22-jährigen Kanadiers um ein Vielfaches. Doch Vettel musste schon einmal die bittere Erfahrung machen, vom deutlich jüngeren Teamkollegen ins zweite Glied verwiesen zu werden. Denn spätestens 2020 wurde offensichtlich: Der junge Franzose Leclerc war Vettel im Ferrari überlegen und lief ihm den Status als Nr. 1 im Team ab.
Teaminternes Duell
Stroll hat in vergangenen Saison mehr als doppelt so viele Punkte wie sein neuer Teamkollege geholt. Er wird sich daher wohl kaum mit der Rolle eines Wasserträgers für Vettel abfinden, sondern im Duell um die teaminterne Nr. 1 von Anfang an auf Angriff setzen. "Es gab einige Chancen, Rennen zu gewinnen. In der Türkei, in Bahrain und in Monza haben wir sie verpasst", sagte Stroll der DW. "Das zeigt wirklich unser Potenzial in der anstehenden Saison. Wir haben 2019 und 2020 viele Fortschritte gemacht. Daher bietet dieses Jahr eine weitere große Chance für uns." Mit "uns" meint Stroll dabei wohl eher sich und das Team als sich und Vettel.
Adaption: David Vorholt