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Schürt die EZB die Inflation?

1. Dezember 2011

Unter Ökonomen ist ein kleiner Glaubenskrieg ausgebrochen. Mündet die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zur Rettung klammer Euro-Staaten in die Inflation oder nicht?

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Alter Geldschein mit Fünfhundert Millionen Mark aus der Weimarer Republik
Bild: ullstein bild - Imagebroker.net
Wolfgang Franz vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) (Foto: dpa)
Wolfgang Franz: "Eine Todsünde"Bild: picture-alliance/dpa

Ein Gespenst geht um in Europa - ein Gespenst, das insbesondere die Deutschen fürchten: Die Inflation. Immer mehr Ökonomen warnen davor, dass die Europäische Zentralbank mit ihren Käufen von Staatsanleihen klammer Euro-Länder mittelfristig die Geldentwertung anheizt. "Die Finanzierung von Staatsschulden durch eine Zentralbank gehört nach aller historischen Erfahrung zu den Todsünden einer Notenbank", sagt zum Beispiel der Chef der fünf Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz. "Sie setzt damit ihre Unabhängigkeit aufs Spiel und riskiert eine Inflation."

Ins gleiche Horn stößt der scheidende Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark: "Wir wissen aus der Wirtschaftsgeschichte, dass es immer zu Katastrophen geführt hat, wenn eine Zentralbank in großem Stil Staaten finanziert hat", sagte er in einem Zeitungsinterview. "Das endet in Inflation. Nicht immer kurzfristig, aber mittel- bis langfristig." Die momentan extrem expansive Geldpolitik führe nur deshalb noch nicht zu einem massiven Teuerungsschub, weil die Banken das Geld in der Krise nur sehr verhalten als zusätzliche Kredite herausgäben. Das ändere sich aber, sobald die Wirtschaft wieder besser laufe.

Zehn Prozent Inflation?

Der scheidende Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Jürgen Stark (Foto: EZB)
Jürgen Stark: "Hat immer zu Katastrophen geführt"Bild: European Central Bank/Frankfurt am Main/Martin Joppen

Der Ökonom Lüder Gerken, Vorsitzender des Freiburger Centrums für Europäische Politik, geht sogar noch einen Schritt weiter. Er rechnet damit, dass die meisten Regierungen in der Euro-Zone und die Europäische Zentralbank politisch eine Inflationsrate von knapp unter zehn Prozent in Kauf nähmen, "in der Hoffnung, dass die Deutschen dabei nicht allzu sehr aufmucken", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Inflationsgefahr drohe insbesondere, wenn die EZB den bereits begonnenen Aufkauf von Staatsanleihen hilfsbedürftiger Euro-Länder stark ausweite.

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, hält dagegen den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen durch die EZB für dringend geboten. Europa brenne und da dürfe die Feuerwehr nicht mit Löschwasser sparen, so sein Argument. "Die Europäische Zentralbank muss ankündigen, ab einem Renditeaufschlag von 550 Basispunkten über Bundesanleihen notfalls unbegrenzt italienische Staatsanleihen zu kaufen, solange sich Italien an ein hartes Reform- und Sparprogramm hält", schrieb er am Mittwoch (30.11.2011) in einem Gastkommentar der Nachrichtenagentur Reuters.

Ängste unbegründet?

Holger Schmieding (Foto: DW-TV)
Holger Schmieding: Inflationsängste unbegründet

Inflationsängste hält er dagegen für unbegründet. "Eine Inflation droht dann, wenn die Zentralbank mehr Geld druckt, als die Menschen halten wollen. Die Menschen geben das überschüssige Geld aus. Es kommt zu einem inflationären Wirtschaftsboom", schreibt Schmieding. "Aber in der aktuellen Lage gibt es diese Gefahr nicht. Denn in einer akuten Finanzkrise möchten die verängstigten Haushalte, Unternehmen und Banken mehr Kasse halten. Die Nachfrage nach Geld steigt an. Um das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Geld und damit den Wert des Geldes zu wahren, muss die Zentralbank für die Dauer solch einer Krise das Geldangebot entsprechend erhöhen. Sonst droht uns ein deflationärer Wirtschaftskollaps."

In den USA habe die Notenbank bisher sechsmal mehr Staats- und Hypothekenanleihen gekauft als die EZB in der Eurozone, argumentiert Schmieding weiter. Um auf das US-Niveau zu kommen, müsste die EZB, die bislang Anleihen für rund 200 Milliarden Euro gekauft hat, weitere Anleihen im Wert von 1,5 Billionen Euro kaufen. In den USA liege die Inflationsrate um einen halben Prozentpunkt über der Rate in der Eurozone, und das vor allem deshalb, weil dort der gestiegene Benzinpreis mit größerem Gewicht in die Inflationsrate des sprithungrigen Landes eingehe.

Zinssenkung erwartet

Frauenhände halten Euromünzen (Foto: picture-alliance)
Wird uns bald das Geld durch die Finger rinnen?Bild: picture-alliance / Helga Lade Fotoagentur GmbH

Auch die überraschend langsam wachsende Geldmenge in der Euro-Zone scheint den Befürwortern einer entschiedenen Feuerwehrpolitik der EZB recht zu geben - und den Zentralbankern neue Argumente für eine weitere Zinssenkung. Die für die Zinspolitik relevante Geldmenge M3 erhöhte sich im Oktober nur um 2,6 Prozent und damit weniger stark als im Vormonat (3,0 Prozent). Die Daten der EZB stützen sich auf die Tatsache, dass Geldmengenwachstum und Inflation mittel- bis langfristig eng miteinander verbunden sind. "Die sich abschwächende Geldmengenentwicklung dürfte der EZB daher bei der Begründung ihrer expansiven Geldpolitik in die Karten spielen", meint Thilo Heidrich von der Postbank.

Denn auf überhöhten Inflationsdruck ließen die Daten nicht schließen. Auch in Deutschland zeichnet sich bei den Verbraucherpreisen ab, dass die Teuerungsrate ihren Höhepunkt überschritten hat. Unter der Rubrik M3 führen Volkswirte unter anderem Bargeld, Einlagen auf Girokonten, kurzfristige Geldmarktpapiere sowie Schuldverschreibungen mit bis zu zwei Jahren Laufzeit - also alles, was sich relativ kurzfristig zu Bargeld machen lässt.

Die EZB achtet besonders auf diese Geldmenge, um Inflationsrisiken frühzeitig zu erkennen. Sie hatte nach zwei Zinserhöhungen in diesem Jahr im November die Wende eingeleitet und den Schlüsselzins um einen Viertelprozentpunkt auf 1,25 Prozent gekappt. Viele Experten erwarten, dass angesichts der Rezessionssorgen in der Euro-Zone bald eine weitere Senkung folgen wird - womöglich bereits auf der EZB-Ratssitzung am 8. Dezember.

Autor: Rolf Wenkel (mit rtr, dapd, dpa)
Redaktion Zhang Danhong / Rolf Breuch