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Schäuble, Sapin und nächtliche SMS

Sabine Kinkartz, Berlin21. März 2016

Um Europa ist es derzeit nicht gut bestellt. Das beunruhigt viele, besonders aber Deutsche und Franzosen. Wohl auch deswegen haben ihre Finanzminister jetzt gemeinsam ein Buch geschrieben. Der Titel: "Anders gemeinsam".

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Die beiden Finanzminister Frankreichs und Deutschlands: Michel Sapin und Wolfgang Schäuble. Foto: picture-alliance/dpa/G. Fischer
Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Wolfgang Schäuble und Michel Sapin sind Freunde. Keine parteipolitischen, im Gegenteil. Der Bundesfinanzminister ist ein Konservativer, seit einem halben Jahrhundert Mitglied der CDU. Sein französischer Amtskollege ist seit 40 Jahren Sozialist. Ihrer Freundschaft tut das keinen Abbruch. Sie fußt auf einem anderen Fundament. "Alle diejenigen, die immer von Krisen reden und dem, was zwischen Deutschland und Frankreich nicht funktioniert, die übersehen völlig, welcher Schatz an Gemeinsamkeiten in Jahrzehnten gewachsen ist", sagt Schäuble.

Zudem haben erfolgreiche Paarungen unterschiedlicher politischer Coleur im deutsch-französischen Verhältnis Tradition. Sie seien sogar immer die "belastbarsten" gewesen, sagt Sapin. Angefangen von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing über Helmut Kohl und Francois Mitterand bis zu den Außenministern Hans-Dietrich Genscher und Roland Dumas.

Deutschland Frankreich Geschichte Helmut Kohl und Francois Mitterand in Verdun
Francois Mitterand und Helmut Kohl 1984 in VerdunBild: ullstein bild/Sven Simon

Wer treibt Europa an?

Nun also Schäuble und Sapin. Der Deutsche ist 73, der Franzose 63 Jahre alt. Beide sind überzeugte Europäer und langjährige Vollblutpolitiker – auch wenn Sapin sagt, er wäre lieber Numismatiker geworden. Gerade jetzt, wo die EU den Eindruck erweckt, sich selbst zu zerlegen, wollen sie zeigen, dass die europäische Idee lebt. Vielleicht aber auch, wo exakt der Motor sitzt. "Deutschland und Frankreich sind ganz wichtig in der EU, ohne uns geht es nicht", sagt Michel Sapin ganz unbescheiden. Am Ende werde doch stets entweder der deutsche oder der französische Vorschlag angenommen. Das wüssten alle, auch die anderen Großen wie Italien, Spanien oder Großbritannien. Man müsse nur immer darauf achten, alle anderen mitzunehmen, so der Franzose.

Der Vorschlag, gemeinsam ein Buch zu schreiben, kam von Sapin. Schäuble stimmte zu, anschließend trafen sich die beiden dreimal für jeweils sieben Stunden mit den Journalisten Ulrich Wickert und Dominique Seux und diskutierten "über Gott, die Welt – und das liebe Geld (nicht zuletzt in Griechenland)", wie auf dem Buchrücken zu lesen ist. Als "offenes Gespräch unter Freunden", vermarktet es der Verlag Hoffmann und Campe. Es geht um deutsche, französische und europäische Identität, um Wirtschaftspolitik und den Euro und natürlich um die Flüchtlingskrise.

Wer den anderen versteht, wird nicht wütend

Themen, bei denen Wolfgang Schäuble und Michel Sapin oft genug unterschiedlicher Meinung sind. Das sei aber kein Problem, erklärten beide bei der Buchvorstellung in der französischen Botschaft in Berlin. "Wir werden uns nie zerstreiten", betont Schäuble. Wichtig sei, die Logik hinter der Argumentation des anderen nachzuvollziehen, ergänzt Sapin. "Die schlimmsten Missverständnisse gibt es, wenn man nicht mehr versucht, den anderen zu verstehen." Soweit lassen es die beiden Finanzminister nie kommen. "Wir schreiben uns sehr oft SMS", erzählt Sapin. Selbst nachts, wenn es sein müsse.

Deutschland berlin Michel Sapin , Wolfgang Schäuble und Ulrich Wickert Foto: Gregor Fischer/dpa
Der Journalist Ulrich Wickert moderierte die Buchvorstellung in BerlinBild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Das musste es beispielsweise 2015, als Griechenland kurz davor stand, den Euro aufgeben zu müssen. Die Franzosen waren dagegen. Schäuble hingegen vertrat die Meinung, Griechenland müsse "zur Lösung seiner Probleme das Instrument der externen Abwertung nutzen". Im Klartext: Zurück zur Drachme. Zweimal pro Woche trafen sich die Finanzminister zu dieser Zeit. Parallel dazu gingen viele SMS hin und her und das ganz ohne Dolmetscher. Der 1942 in Freiburg geborene Schäuble spricht neben, wie er sagt, "furchterregendem" Englisch sehr gut Französisch, das er neun Jahre in der Schule pauken musste.

Wolfgangs Mobilnummer für Yanis

Das erlaubt ihm heute, Sapin ohne Übersetzungshilfe folgen zu können. Bei politischen Gesprächen wechseln die Minister allerdings ins Englische, "weil in dieser komischen Community der Finanzpolitiker ständig englisch gesprochen wird", wie Schäuble erklärt. Nur bei komplexen finanzpolitischen Sachverhalten bemühen beide lieber einen Dolmetscher, um sich in ihrer Muttersprache und damit präziser ausdrücken zu können.

Dass es in den Verhandlungen mit Griechenland im vergangenen Jahr hoch her ging, ist hinlänglich bekannt. Trotzdem bietet das Buch einen zusätzlichen Blick hinter die Kulissen. Etwa auf die Verhandlungen mit dem damaligen Finanzminister Yanis Varoufakis. Für Sapin "ein komischer Vogel", dem er erst einmal erklärt habe, dass es ihm nicht gelingen werde, einen Keil zwischen Deutschland und Frankreich zu treiben. Dann habe er ihm Schäubles Mobilnummer gegeben und ihm geraten, den deutschen Finanzminister anzurufen. "Die Person, die er jetzt besuchen müsse, sei Wolfgang, darum komme er nicht herum", heißt es im Buch.

Treffen der Eurogruppen Finanzminister Yanis Varoufakis und Michel Sapin. Foto: EMMANUEL DUNAND/AFP/Getty Images
Sapin und der "komische Vogel" VaroufakisBild: Getty Images/AFP/E.Dunand

Vorworte von Merkel und Hollande

252 Seiten hat das Buch, das in einer deutschen und einer französischen Fassung erscheint. Der deutsche Titel "Anders gemeinsam" ließ sich wohl schlecht übersetzen, weshalb das Buch im Französischen den durchaus eindeutigeren Titel "Jamais sans L'Europe", also "Niemals ohne Europa" trägt. In der deutschen Fassung ist zuerst das Vorwort von Angela Merkel abgedruckt, in der französischen das von Francois Hollande. Noch einen Unterschied gibt es in den Erinnerungen der Minister zum Grexit. Laut Schäuble wurde er um acht Uhr morgens abgewendet, Sapin beharrt auf neun Uhr.

Ob das trägt, was im vergangenen Sommer in Sachen Griechenland beschlossen wurde, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Schäuble und Sapin sprachen in Berlin von deutlichen Fortschritten. "Ich habe den Eindruck, dies ist eine Regierung, die entschlossen ist" sagte Sapin. Schäuble wies aber darauf hin, dass es bei den Rentenkürzungen noch ein "Riesenproblem" gebe. Es könne sein, dass es dafür keine Mehrheit im griechischen Parlament gebe. Daher müsse man nach Wegen suchen, wie man dennoch die vereinbarten Einspar-Ziele erfüllen könne.