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Politik

Twittern im Bundestag

Heiner Kiesel
24. November 2017

Der Bundestagspräsident hat sich über die eifrig fotografierenden und twitternden Abgeordneten geärgert. Seine Ermahnung zieht heftige emotionale Reaktionen nach sich. Dabei ist die Sachfrage völlig unstrittig.

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Bundestag Bundesjustizminister Heiko Maas mit Smartphone
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Natürlich schaut so ein Abgeordneter, wenn er im Plenarsaal des Reichstages sitzt, nicht immer nach vorne zum Rednerpult, auch wenn dort ernste Themen verhandelt werden. Ein Eindruck vom Mittwoch: Alle Mandatsträger erheben sich, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eröffnet die 3. Sitzung und schon bevor sie wieder sitzen, ziehen einige ihre Handys aus der Jackentasche und däumeln auf dem Display. Das passiert Partei-übergreifend. Vorne erklärt inzwischen die geschäftsführende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), warum deutsche Soldaten weiter in Mali eingesetzt werden sollen - internationale Verantwortung, Lebensgefahr. Immer wieder sieht man in der Folge Abgeordnete, die nicht mal ihren eigenen Fraktionskollegen applaudieren können, weil ihre Hände mit der Elektronik beschäftigt sind.

Deutschland Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Handy
Gehört zur Bundestagsdebatte wie die Tagesordnung: Handybenutzung im PlenarsaalBild: picture-alliance/AP Photo/A. Schmidt

Parlamentsdebatten - das ist der Moment, in denen die Posts in den Twitter, Facebook- und sonstigen Social-Media-Accounts der gewählten Volksvertreter spürbar anwachsen. Früher, da saß man als Abgeordnete oder Abgeordneter im Saal und wartete darauf, dass man ans Rednerpult durfte, meldete sich zu einer Frage, hörte interessiert zu, oder hoffte stoisch darauf, dass es bald zu Ende gehe. Es war auch immer Zeit für zahlreiche Abgeordnete und Regierungsmitglieder, endlich einmal den einen oder anderen Aktenstapel relativ ungestört durchzuarbeiten. Aber jetzt haben die Mandatsträger richtig viel zu tun: Die Internetgemeinde bekommt fortlaufend kommentiert, was da im Bundestag läuft, dass man eine Meinung hat. Der eine oder andere lässt es sich auch nicht nehmen, per Bild und Kommentar auch mal vermeintlich faule Parlamentskollegen zu verpetzen. Das alles gefällt nicht jedem.

Ein Hinweis Schäubles wird zum Twitterverbot stilisiert

Berlin Bundestag Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble
Der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble pocht auf die GeschäftsordnungBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Zum Beispiel Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ärgert sich. Der CDU-Politiker ist noch nicht lange im Amt. Er führt einen Bundestag durch schwierige Wochen mit einer unsicheren Regierungsbildung und drohenden Neuwahlen. Offenbar meint er, dass die Abgeordneten dem nicht den genügenden Ernst und die erforderliche Aufmerksamkeit entgegenbringen. In einem Brief, den der Deutschlandfunk veröffentlichte, hat er sich unlängst an die Mitglieder des Bundestages gewandt und sie ermahnt. "Die Nutzung von Geräten zum Fotografieren, Twittern oder Verbreiten von Nachrichten über den Plenarverlauf", teilte er per Brief mit, sei "den Verhandlungen des Bundestags unangemessen und daher unerwünscht". Schäuble forderte zu einer zurückhaltenden Benutzung der Mobiltelefone und Laptops auf.

Dorothee Bär Bundestagsabgeordnete CDU/CSU
Twitter-Fan: Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär verteidigt vehement, was ihr nicht verboten worden istBild: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Das was darauf in den Sozialen Netzwerken folgte, war zu erwarten - ein Shitstorm. Von einem "Twitterverbot" war schnell die Rede und Wolfgang Schäuble bekommt seither zu spüren, wie nachtragend das Internet ist: jedes erdenkliche Foto, das ihn telefonierend oder mit einem Blick auf ein Display zeigt ist wieder neu im Umlauf. Und ja: der Mann hat als Finanzminister auf der Regierungsbank Sudoko gespielt! Ha! Bei aller Häme - es gab auch freundlich gemeinten Rat für ihn von Kolleginnen. Eine der aktivsten Social-Media-Posterinnen aus der Unionsfraktion, Dorothee Bär (CSU), erklärte ihm in einem Brief, dass soziale Medien richtig genutzt, "das mediale Pendant zur Transparenz zur Glaskuppel des Reichstags als Zeichen und Mittel der Transparenz" seien. Viele Abgeordnete schütteln den Kopf über die Initiative ihres Bundestagspräsidenten. "Das zu verbreiten war doch Quatsch, als ob es nichts Wichtigeres zu tun gäbe", meint Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Linken-Fraktion im Gespräch mit der DW: "Abhaken und weg mit dem Unfug!"

Geschäftsordnung gibt twitternden Abgeordneten große Freiheit

Die Abgeordneten geben sich zu jeder Wahlperiode eine Geschäftsordnung, in der ihre Arbeit geregelt wird. Darin gibt es nichts, was die Abgeordneten einschränken würde in Hinblick auf Tablets, Handys und Computer. Aber es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung zum Gebrauch elektronischer Geräte. Darin enthalten ist auch ein Passus, der sich auf die Verwendung von Apparaten zum Fotografieren bezieht und einer, der das Aufklappen von Laptops, bzw. das  Aufstellen von Tablets in der Sitzung für unerwünscht erklärt. Twitter, Facebook und Co werden dabei gar nicht behandelt. Bundestagspräsident Schäuble könnte das gar nicht verbieten, selbst wenn er wollte. "Ich finde es ganz sinnvoll, dass der Bundestagspräsident auf die Regeln hinweist", meint Manuela Rottmann trotzdem. Die Grünen-Politikerin ist neu im Bundestag und twittert selbst nicht.

Manuela Rottmann
Grünen-Politikerin Manuela RottmannBild: Bündnis 90/Die Grünen

In den Sitzungen hat sie beobachtet, dass es für viele Abgeordnete offenbar wichtig ist, ihren Wählern zu dokumentieren, dass sie wirklich vor Ort ihre Arbeit machen. "Aber das ist natürlich nicht schön, wenn manche das als Internetpranger nutzen, indem sie andere Abgeordnete in einer unschönen Situation abfotografieren." Sie selbst findet es auch eine nachvollziehbare Haltung, sich mit den Tweets und Posts zurück zu halten. "Vielleicht ist das eine Chance mal zuzuhören, oder auch, um sich intensiver zu informieren, statt die ganzen Ressourcen in diese Parallelwelt zu stecken".