Schwul und Lehrer in Deutschland
15. September 2013"Die Beleidigungen passieren immer wieder", sagt Alexander Lotz. Er unterrichtet Biologie und Chemie am Frankfurter Goethe-Gymnasium und hat seit seinem Outing dort viele Auseinandersetzungen geführt. Er hatte den Jungen und Mädchen gesagt, dass er schwul ist, weil ihn eine arglos dahergesagte Bemerkung zwischen Schülern geärgert hatte: "Ist doch alles voll schwul hier." Jugendliche in Deutschland nutzen das Wort oft synonym für "schlecht" oder "ätzend". Lotz sagte dem Schüler, dass er diesen Ausdruck nicht gut findet, auch weil er selbst betroffen sei.
Er ist nicht der einzige: An vielen Schulen in Deutschland überlegen sich Lehrerinnen und Lehrer lieber zwei Mal, ob sie sich zu ihrer Homosexualität bekennen oder nicht. Schätzungen zufolge haben sich 90 Prozent der Lehrer zwar privat geoutet, aber nur zehn Prozent davon auch in der Schule. Einige wollen einfach nichts Privates mit in die Schule tragen. Viele haben aber schlicht Angst vor den Reaktionen der Schüler.
Selbst Kollegen stehen nicht immer hinter einem solchen Schritt in die Öffentlichkeit. "Wenn du dich nicht geoutet hättest, dann hättest du jetzt die Probleme nicht", bekam Alexander Lotz schon zu hören. Auch wenn er betont, dass andere Kollegen ihn nach Kräften unterstützen: Dass Homosexualität an Schulen lieber totgeschwiegen als offen besprochen wird, ist in Deutschland offenbar immer noch die Regel. Bei Schülern wie bei Lehrern.
Demonstration für Toleranz
Dabei kämpfen Schwule schon seit Jahrzehnten für Gleichberechtigung auch im deutschen Bildungssystem. "Noch 1974 wurde ein homosexueller Lehrer entlassen, weil er offen zu seiner Sexualität stand", erzählt der pensionierte Berliner Lehrer Detlef Mücke. Damals demonstrierte er zusammen mit Eltern und Schülern für den beliebten Kollegen und erreichte schließlich, dass er wieder eingestellt wurde. In Deutschland durften Lehrer bis 1969 nicht offen zu ihrer sexuellen Orientierung stehen, das war gesetzlich verboten.
Rechtlich ist seitdem einiges passiert, und auch das Bewusstsein vieler Menschen gegenüber Homosexualität hat sich verändert. Aber selbst in Städten wie Köln - in Deutschland bekannt als Schwulen-Hochburg - stößt die Toleranz schnell an ihre Grenzen. In Europa ist das nicht anders: In den Niederlanden - weltweit Vorreiter bei der rechtlichen Gleichstellung von Homosexuellen - haben nur fünf Prozent der Schüler nichts gegen homosexuelle Lehrer oder Mitschüler einzuwenden, so eine aktuelle Studie. "Gerade in den Schulen beginnt für viele das Leben in Angst", sagt auch EU-Kommissarin Viviane Reding. "Sie machen sich unsichtbar, das ist ihre Überlebensstrategie."
Eigeninitiative für jedes Bundesland
Gegen diese Unsichtbarkeit hat sich Björn Kiefer gewehrt. Der Lehrer aus Bergisch Gladbach bei Köln hat sich dafür eingesetzt, dass seine Schule eine "Schule der Vielfalt" wird. Dieses Programm gibt es seit einigen Jahren, und es wird von Ministerien des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen unterstützt.
Homosexualität soll hier zum Thema gemacht werden, zum Beispiel in speziellen Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag oder durch Stände auf dem Schulfest. Björn Kiefer behandelt Homosexualität auch im Politik-Unterricht. Allerdings: "Dass mehr Schulen am Programm teilnehmen, geht nur zögerlich voran." In Nordrhein-Westfalen sind es erst sechs. "Das liegt vielleicht auch daran, dass jemand an der Schule dahinterstehen muss, der es voranbringt." Noch ist das Programm im Aufbau.
Andere Bundesländer sind da schon weiter, wie etwa Berlin. Dort ist für jede Schule ein Ansprechpartner zu "sexueller Vielfalt" vorgesehen. Berlins schwuler Bürgermeister Klaus Wowereit unterstützt den Aktionsplan aktiv. Andere Bundesländer gehen diesen Weg nicht, zum Beispiel Hessen, wo Alexander Lotz unterrichtet. Er macht auch die Landesregierung aus Christdemokraten und Liberalen dafür verantwortlich. In Nordrhein-Westfalen hatte die gleiche konservativ-liberale Koalition 2005 eine Schulbroschüre zu Homosexualität gestoppt, die auch von der Europäischen Union gefördert worden war. Erst die Nachfolgeregierung aus Sozialdemokraten und Grünen führte sie vor drei Jahren wieder ein.
Heterosexualität als Norm
"Weil der Bereich Bildung in Deutschland jeweils in der Hand der 16 einzelnen Bundesländer liegt, müssen sich auch die lesbischen und schwulen Lehrer und Lehrerinnen in einzelnen Landesgruppen organisieren. Man muss alles 16 Mal machen, das ist alles sehr anstrengend", meint Alexander Lotz im DW-Gespräch. In vielen Fällen haben sich die Gruppen über die Bildungsgewerkschaft GEW zusammengeschlossen. Einige treffen sich regelmäßig, um über ihre Erfahrungen zu berichten und neue Pläne zu schmieden.
Vielen ist wichtig, dass das Thema Homosexualität stärker im Unterricht besprochen wird. "Selbst in aktuellen Schulbüchern kommt das Thema fast gar nicht vor", berichtet Björn Kiefer. Alexander Lotz glaubt, dass die Lehrerausbildung dafür verändert werden muss. Wenn im Biologie-Unterricht ausschließlich über Heterosexualität gesprochen werde, dann tue man so, als gäbe es nur eine sexuelle Norm, nach der sich alles zu richten habe. "Da müssen Lehrerinnen und Lehrer weitergebildet werden, damit sie nicht in diese Falle tappen." Möglicherweise ist der Druck für schwule Schüler sogar noch größer als für Lehrer. Björn Kiefer hat sich vor gut zwei Jahren vor seinen Schülern geoutet, nach reiflicher Überlegung. Outings von Schülern hat er aber noch nicht erlebt.