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Schwierige Kompromisssuche im Westbalkan

3. März 2005

Ringen um Lösungen für Kosovo und Unklarheit über Serbien-Montenegro: Ein Interview mit Franz-Lothar Altmann, Leiter des Forschungsschwerpunkts Südosteuropa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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Franz-Lothar Altmann

DW-RADIO/Albanisch: Seit einigen Tagen heißt es, dass im Herbst die Gespräche über den Status des Kosovo stattfinden werden. Wer sollte daran teilnehmen?

Franz-Lothar Altmann: Am Verhandlungstisch müssen Vertreter der Regierung von Kosovo, die UNMIK und Vertreter der Serben, sowohl der Kosovo-Serben als auch aus Belgrad sein.

Immer mehr Stimmen befürworten eine konditionierte Unabhängigkeit von Kosovo. Wird Serbien dieser Lösung zustimmen?

Serbien kann nur dann zustimmen, wenn die Minderheitenrechte und die serbischen Kulturgüter absolut gesichert sind. Dann muss man überlegen, was für Bonbons man ihnen noch anbieten kann. Eines ist die europäische Perspektive. Aber dann muss die politische Forderung kommen: "Ihr müsst euch mit dem Kosovo kooperativ zeigen, sonst wird kein Weg in die EU führen!" Denn eine ungelöste Kosovo-Frage ist für ein EU-Mitglied unvorstellbar. Wir haben genug Probleme mit bestehenden Konfliktfällen, wie z. B. Nordirland und dem Baskenland.

Wie realistisch ist es, dass Belgrad diesen Kompromiss eingeht?

Im Moment ist es nicht sehr realistisch, weil die Tendenz in Serbien auf eine Stärkung der nationalen Kräfte hindeutet: Es gibt eine Koalitionsregierung, die von der Duldung der Milosevic-Partei abhängt, zugleich aber zunehmend an Unterstützung verliert und sogar die Möglichkeit, dass sich nach den nächsten Wahlen die Kostunica-Partei mit der Milosevic-Partei und den Radikalen zusammentut. Das ist nicht auszuschließen, wenn ich nach Novi Sad schaue, wo genau diese Koalition schon funktioniert. Noch dazu: Solange sich Kostunica selbst mit der Demokratischen Partei von Tadic überhaupt nicht zusammentun möchte, ist diese Animosität extrem hinderlich auch für eine Kosovo-Lösung. Denn wenn die großen Parteien sich gegenseitig die Kosovo-Frage vorwerfen, ist es natürlich schwierig, zu einer Lösung zu kommen. Man muss den Serben klar machen, sie müssen eine Interessenabwägung vollziehen: Was ist uns mehr wert? Eine Zukunft in Richtung EU, mit der notwendigen Unterstützung für Reformen und vor allem für wirtschaftliche Gesundung, oder ein Beharren auf das Kosovo, das von den meisten Serben sowieso schon aufgegeben ist? Würde man die Serben dazu befragen, würde rauskommen, dass ein Großteil der Bevölkerung gar nicht mehr am Kosovo interessiert ist. Man hat andere Sorgen - die um die eigene Existenz.

Doch selbst pro-europäische Politiker wie Präsident Tadic sprechen im Ausland lieber über Kosovo als über EU-Integration.

Das muss er, weil kein Politiker sich offenbaren darf als jemand, der die serbischen Interessen nicht mehr vertritt. Dazu gehört vor allem die Kosovo-Frage, in der Form, dass es heißt, das Kosovo darf nicht verloren gegeben werden. Das ist die Rhetorik, die in den letzten Jahren aufgebaut wurde, die aber auch von der albanischen Seite verstärkt wurde, da die Albaner, wie im März letzten Jahres, aber auch sonst, nicht bereit sind, mit den Serben vernünftig zusammenzuleben, sondern eher vorziehen, die Serben aus dem Kosovo rauszudrängen. Insofern spielen die Albaner mit Aktionen wie im März vergangenen Jahres den Nationalisten in Belgrad in die Hände.

Nun zeigt sich Montenegro in der letzten Zeit immer mehr gewillt, sich aus dem Staatenbund Serbien-Montenegro abzuspalten. Wie werden sich die Entwicklungen in Montenegro auf die Kosovo-Frage und umgekehrt auswirken?

Die Entwicklung in Montenegro ist im Moment sehr unklar. Man streitet sich ja, ob nicht jetzt schon der Punkt erreicht ist, wo dieser gemeinsame Staat Serbien-Montenegro nicht mehr funktionsfähig ist. Es ist eine völlig unklare verfassungsrechtliche Lage. Ein gemeinsames neues Parlament wird offensichtlich nicht gewählt. Der Vorschlag von Montenegro, jetzt eine Union zweier unabhängiger, international anerkannter Staaten zu bilden, wird von Belgrad abgelehnt. Es ist eine völlige Schwebe-Situation, die vielleicht im nächsten Jahr durch ein Referendum gelöst wird. Obwohl offensichtlich der montenegrinische Premier Milo Djukanovic gar nicht so wild darauf ist, ein Referendum zu riskieren, das im besten Fall sehr knapp für ihn ausgeht und dann sowohl innenpolitisch als auch von außen die Frage der Legitimierung gestellt wird. Das hat, meiner Meinung nach, keine direkten Auswirkungen auf das Kosovo, weil die Kosovo-Albaner ohnehin entschlossen sind, die völlige Selbständigkeit zu erhalten. Wichtig ist es nur dann, wenn man den Vertrag von Belgrad ansieht, worin festgehalten ist, dass die territoriale Zugehörigkeit des Kosovo im Falle der Auflösung der Union allein auf Serbien zurückkehrt. Das ist etwas, dass die Kosovaren noch eher bestärken wird, möglichst schnell auf die Unabhängigkeit zu drängen.

Gäbe es bei einem unabhängigen Kosovo eine Gefahr für Mazedonien?

Natürlich besteht Gefahr. Es wird immer Politiker unter den mazedonischen Albanern geben, die versuchen werden, dadurch Stimmen zu gewinnen, dass sie sagen: Unser Endziel sind alle ethnischen Albaner in einem großen gemeinsamen albanischen Staat. Da hat vor allem Tirana die Aufgabe, klar zu stellen, dass Tirana selbst daran nicht interessiert ist. Die Kosovo-Albaner müssten das auch betonen. Ich würde meinen, dass die Albaner in Mazedonien mittlerweile eine ziemlich gute Position erreicht haben, dass sie, wenn sie weiterdenken, sehen müssen, dass Mazedonien sich schon auf dem EU-Kurs befindet, dass sie einige wesentliche Schritte weiter in Richtung Brüssel schon hinter sich haben, mit den Makedoniern zusammen, also als mazedonische Bürger. Das aufs Spiel zu setzen, um sich mit einem schwachen Kosovo, das wirtschaftlich praktisch nicht existiert, das eine extrem hohe Arbeitslosigkeit und wirtschaftlich minimale Perspektiven hat, zusammen zu tun, wäre ein Rückschritt, den sie nicht vollführen werden. Ich glaube, dass in diesem Fall die europäische Perspektive für Mazedonien und damit auch für die Albaner in Mazedonien eine wichtige Rolle spielt.

Die Mazedonier haben jetzt den Fragebogen der EU eingereicht und rechnen noch innerhalb dieses Jahres mit einer positiven Antwort aus Brüssel. Wie beurteilen Sie das?

Viel hängt davon ab, wie gut sie jetzt den Fragebogen beantwortet haben. Es geht doch einen sehr formellen Weg. Brüssel ist nicht allzu begeistert, dass es jetzt zu einer Entscheidung gedrängt wird. Brüssel war auch nicht sehr begeistert, als Mazedonien den Antrag auf den Tisch gelegt hat. Aber es muss den Antrag behandeln, den Fragebogen beantworten. Ich denke, das ist ein bisschen blauäugig zu erwarten, dass man am Ende des Jahres schon einen Bescheid bekommt für einen Kandidatenstatus. Ich erwarte, dass die Auswertung des Fragebogens eine ganze Reihe von Rückfragen bewirken wird. Man wird in Brüssel sagen, 'ihr habt in den Bereichen zwar ganz schön geantwortet, aber wir würden doch noch gerne Genaueres erfahren'.

In welchen Bereichen beispielsweise?

Im Bereich der wirtschaftlichen Reformen, im Bereich der Umweltpolitik. Es gibt eine ganze Reihe von Politikfeldern, Rechtswesen und Ähnliches, wo man noch einiges an Lücken finden wird, wo noch einiges an weiteren Reformen notwendig ist. Skopje hat bereits zugegeben, dass es eine Menge an Reform-Fortschritten zunächst bis zum Herbst vollführen muss. Ob sie das schaffen, hängt wieder davon ab, wie gut sie jetzt in der innenpolitischen Frage mit den Albanern kooperieren können, ob die mitmachen. Die Albaner müssen natürlich auch interessiert sein, hier mitzuarbeiten, um den Weg nach Brüssel frei zu machen.

Mazedonien muss auch immer noch um seinen Staatsnamen kämpfen.

Ich glaube, man ist es einfach leid, sich hier mit einer Frage herumzuschlagen, die von den Nicht-Beteiligten nicht ernst genommen wird. Das Argument Griechenlands, dass durch diese Namensgebung territoriale Ansprüche auf Griechenland erhoben werden, wird in der westlichen Welt überhaupt nicht akzeptiert.

Es wird aber respektiert.

Ja, weil es ein Mitglied der EU ist und man hier auch unter Druck ist von Seiten der griechischen Regierung, die ihrerseits wieder unter Druck geraten war durch sehr nationalistische Teile in der Politik und sich nur schwer davon lösen kann. Griechenland hat immer wieder Solidarität seitens der EU-Mitglieder eingefordert. Es hat sich schon sehr stark bewegt und hat auch schon zum Beispiel im Falle der Türkei-Mitgliedschaftsdebatte gesagt, wir stimmen der Aufnahme von Verhandlungen zu, aber es kam immer wieder die Drohung 'wenn ihr nicht auf unserer Seite steht mit Mazedonien, dann würden wir auch mit jeder weiteren Erweiterungsrunde Probleme bereiten'. Ich glaube, der politische Wille ist schon da, nur die Durchführbarkeit ist sehr schwierig. Zwischenzeitlich hat sich aber die Wirtschaft Griechenlands über die politischen Barrieren hinweggesetzt und ist zu einem bedeutenden Investor in Mazedonien geworden. Die Deutschen haben es in der Namensstreitfrage bedeutend schwerer, weil sie in der EU mit den Griechen zusammenarbeiten müssen. Das ist ein Spiel: Ich gebe Dir damit Du mir gibst. Die Amerikaner haben da kein Problem, die sind außerhalb der EU. Griechenland ist für sie kein gleichwertiger Partner, auf den sie innerhalb einer Interessengemeinschaft Rücksicht nehmen müssen. Und mittlerweile sind ja auch schon weitere ständige Mitglieder des Sicherheitsrates der VN, Russland und China, dem Beispiel der USA gefolgt und haben Mazedonien unter seinem verfassungsmäßigen Namen anerkannt. In Großbritannien hat die Diskussion auch bereits über den außenpolitischen Ausschuss des Utnerhauses in dieser Richtung begonnen.

Das Interview führte Anila Shuka
DW-RADIO/Albanisch, 2.3.2005, Fokus Ost-Südost