Aufarbeitung von Missbrauch in Zentralafrika
25. April 2016Sex gegen ein wenig Geld oder etwas zu essen: Die Missbrauchsvorwürfe gegen Angehörige von internationalen Friedenstruppen häufen sich. Besonders in der Zentralafrikanischen Republik. Dort läuft seit 2014 die Stabilisierungs-Mission MINUSCA der UN, 12.000 Blauhelmsoldaten sind dort. Auch französische Soldaten sind in der Zentralafrikanischen Republik stationiert - allerdings in einer unabhängigen Mission unter dem Namen Sangaris.
Vor kurzem machte die Nichtregierungsorganisation Aids-Free World öffentlich, was verschiedene Mädchen in der Zentralafrikanischen Republik erleiden mussten. Ein Bericht schockiert besonders: Ein Kommandeur der französischen Militäreinheit habe Minderjährige im Jahr 2014 in einem Lager gezwungen, Sex mit einem Hund zu haben.
Paula Donovan von Aids-Free World setzt sich für die Interessen der Vergewaltigungsopfer ein. Es handele sich nicht um Einzelfälle, sagt sie der DW. Vergewaltigungen kämen bei internationalen Friedenseinsätzen immer wieder vor. Knapp 100 Mädchen aus der Zentralafrikanischen Republik hätten gegenüber dem Kinderhilfswerk der UN detailliert beschrieben, wie sie in den vergangenen drei Jahren von Angehörigen internationaler Truppen vergewaltigt worden seien. Aber bisher sei noch keiner der mutmaßlichen Täter bestraft worden.
Keine Strafen zu befürchten
"Zu unserem Erschrecken erfahren wir jetzt, dass die UN diese Mädchen Verhören unterzieht, statt sie zu psychologisch zu betreuen", kritisiert Donovan. Die Verhöre würden von UN-Mitarbeitern durchgeführt, die dafür nicht psychologisch ausgebildet seien, kritisiert sie. Das Hauptanliegen der UN sei nicht, die Opfer zu entschädigen, sondern vielmehr zu "grillen": Die UN versuche in erster Linie, für sich selbst herauszufinden, ob die Vorwürfe der Mädchen wirklich legitim seien, so Donovan.
Die Fälle aufklären, die Beschuldigten vor Gericht stellen und bestrafen - das können die UN nicht, bestätigt Rosa Freedman, Spezialistin für internationales Recht an der Universität Birmingham im Gespräch mit der DW: Die UN verfüge über keine solche juristische Instanz; die Länder, die die Truppen entsenden, müssten selbst über ihre eigenen Soldaten richten. "Was wir aber hier im Fall der Friedenstruppen in der Zentralafrikanischen Republik sehen ist, dass die meisten Länder den Vorwürfen gegen ihre Soldaten nicht nachgehen und die Straftaten sogar vertuschen". Sanktionen seitens der UN hätten diese Länder nicht zu befürchten.
Anfang April reiste die Sonderbeauftragte der UN für sexuellen Missbrauch, Jane Holl Lute, in die Zentralafrikanische Republik. Was dort geschehen sein soll, nannte sie "inakzeptabel" und betonte: "Die UN müssen dafür sorgen, dass die Opfer sich trauen, solche Vorkommnisse zu melden und dass sie Gerechtigkeit erfahren."
Prozesseröffnung im Kongo
In der Demokratischen Republik Kongo stehen seit dem 11. April drei ehemalige Blauhelmsoldaten wegen Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigung in Zentralafrika vor Gericht. Der Prozess könnte mehrere Monate dauern; es ist der erste überhaupt im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen internationale Friedenstruppen in der Zentralafrikanischen Republik.
Der Kongo habe ein großes Interesse daran, auch weiterhin Truppen in internationale Einsätze der UN zu schicken - eine wichtige Einnahmequelle für die Armee des Landes, sagen Beobachter. Darin sieht auch Donovan die Haupterklärung für die relative Eile, mit der der Prozess im Kongo eröffnet wurde. Sie sieht den Prozess als einen "Schritt in die richtige Richtung". Er lege aber auch die "schrecklichen Defizite" im System offen: Denn die Soldaten würden tausende Kilometer vom Tatort entfernt vernommen. "Aller Wahrscheinlichkeit nach werden weder Opfer noch Zeugen präsent sein. Diese Soldaten müssen nicht den Opfern ins Gesicht sehen." Der Prozess zeige zwar einen "gewissen politischen guten Willen" des Kongo, mehr aber auch nicht.
Vorermittlungen in Frankreich
In den anderen Herkunftsländern mussten sich Soldaten, denen sexuelle Übergriffe in der Zentralafrikanischen Republik zur Last gelegt werden, bislang nicht vor Gericht verantworten. Vor allem Frankreich steht deshalb stark in der Kritik von internationalen Menschenrechtsorganisationen.
Nach den jüngsten Missbrauchsvorwürfen habe man "Vorermittlungen" eingeleitet, hieß es Anfang April von der Staatsanwaltschaft in Paris. Unter Verdacht stehen Militärangehörige, die zwischen 2013 und 2015 im Zuge des französischen Militäreinsatzes Sangaris in der Stadt Dékoa stationiert waren. Der Fall sei an die zuständige französische Militärpolizei übergeben worden.
"So ein Verhalten auf keinen Fall tolerieren"
Für Menschenrechtsaktivistin Donovan ist klar: Es könne lange dauern, bis in Frankreich ein Prozess eröffnet werde - wenn überhaupt. " Das wird sicherlich kein Prozess nach normalen französischen Standards sein." So weit weg vom Tatort sei die Möglichkeit wirkliches Recht herzustellen gleich Null, so Donovan.
Auch wenn die französische Operation in Zentralafrika unabhängig von den UN sei, müsse Frankreich die Vorwürfe aufklären, sagt Freedman von der Universität Birmingham. "Auf Frankreich sollte international Druck ausgeübt werden, damit das Land seiner Verpflichtung nachkommt", sagt sie. "Außerdem sollte Frankreich verboten werden, für einen bestimmten Zeitraum Truppen in Friedensmissionen zu entsenden, gewissermaßen als Signal - auch an die anderen Länder - dass diese Art Verhalten auf keinen Fall toleriert wird."
Menschenrechtsaktivisten fordern unabhängige Ermittlungen
Menschenrechtsaktivistin Yasmin Sooka von der südafrikanischen "Foundation for Human Rights" kritisiert das Vorgehen der Franzosen. "Die Franzosen haben ihre eigenen Ermittler in die Zentralafrikanische Republik geschickt, die sich benommen haben wie Elefanten im Porzellanladen." Die französischen Ermittlungen kämen zudem viel zu spät, sagt Sooka im Interview mit der DW.
Sooka wurde im Juni 2015 auf Einladung des UN-Generalsekretärs in die unabhängige Untersuchungskommission zu den Vergewaltigungsvorwürfen in der Zentralafrikanischen Republik bestellt. Ihre bisherigen Erkenntnisse: Über Vergewaltigungsvorwürfe sollte dort gerichtet werden, wo die Soldaten stationiert waren und wo die Taten mutmaßlich stattgefunden haben. Und die Opfer und ihre Vertreter sollten den Prozessen beiwohnen können. Gerade im Falle der französischen Sangaris-Soldaten sei es so, dass die Opfer niemals darüber informiert wurden, was die französische Regierung unternehme: "Die Opfer glauben bis heute, dass ihnen der Zugang zu ihrem Recht vorenthalten wird", sagt Sooka.