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Politik

“Schutzstädte” protestieren gegen Abschiebung

Amien Essif myk
18. November 2016

Der designierte US-Präsident Donald Trump droht mit der Abschiebung illegaler Einwanderer - liberale Bürgermeister wollen ihre Einwohner davor schützen. Doch das könnte schwierig werden.

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USA Chicago Skyline John Hancock Center
Bild: picture-alliance/Robert Harding/A. Hall

Fast eine halbe Million illegale Einwanderer leben in Chicago. Ihnen widmete der Bürgermeister der bevölkerungsstärksten Stadt des US-Bundesstaat Illinois, Rahm Emanuel, Anfang dieser Woche eine ganz besondere Ansprache:

"An alle, die nach der Wahl [des US-Präsidenten] sehr nervös oder angsterfüllt sind: Ihr seid sicher in Chicago, ihr seid geschützt in Chicago und ihr werdet in Chicago unterstützt", sagte Emanuel. "Chicago wird immer eine Schutzstadt sein." Eine "sanctuary city".

Anlass für die Rede des Bürgermeisters war der frisch gewählte Präsident Donald Trump. Das zukünftige Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten hatte am Tag zuvor in einem Fernsehinterview sein Wahlkampfversprechen wiederholt, schnellstmöglich bis zu drei Millionen illegale Einwanderer abzuschieben. Derzeit leben schätzungsweise elf Millionen Menschen ohne Ausweispapiere in den USA.

Illegale Einwanderer in den USA
Schätzungsweise 11 Millionen illegale Einwanderer leben in den USABild: picture-alliance/AP Images/E. Gay

Emanuel ist nicht der einzige Bürgermeister einer US-Metropole, der seinen undokumentierten Einwohnern Schutz zusichert. In mehreren Großstädten, inklusive New York und Seattle, sprachen sich die Bürgermeister gegen Trumps Deportationspläne aus und versicherten: Sie würden ihre "Schutzstadt" als Zufluchtsort für papierlose Einwanderer anbieten.

Die Tradition von "Schutzstädten” in den USA

Diese "Schutzstädte" sind keine Neuheit in den USA: 1989 verhinderte eine Verordnung der Stadtregierung von San Francisco, dass die örtliche Polizei das Einwanderungsgesetz vollstreckt. Die Zahl der "Schutzstädte" stieg vor allem in der Amtszeit von Präsident Obama. Zwischen 2009 und 2015 wurden 2,5 Millionen Menschen abgeschoben. Die Rekordzahl brachte dem US-Präsidenten in Einwanderungskreisen den Spitznamen "Oberabschiebekommandeur" ein.

In den USA ist es Aufgabe der Bundesregierung Verstöße gegen das Einwanderungsgesetz zu ermitteln. Dafür gibt es sogar eine eigene Polizei und Zollbehörde (ICE) im Ministerium für Innere Sicherheit. Nur die ICE-Beamten haben die Erlaubnis Verhaftungen und Abschiebungen durchzuführen.

Dabei bitten die Beamten oftmals örtliche Polizeikräfte mutmaßliche illegale Einwanderer zu melden oder sie für die ICE-Behörde zu verhören. Es wird also von der einheimischen Polizei erwartet als Augen und Ohren der Behörde zu arbeiten. Nicht aber in "Schutzstädten".

Keine Befehlsverweigerung für Polizisten

Es gibt keine rechtliche Definition des Begriffs, sagt Kemi Bello, die Sprecherin des Zentrums für Einwanderungsrechte: "Aber wir betrachten Schutzstädte als Orte, die entweder das Engagement der örtlichen Polizei bei Abschiebungen der Einwanderungsbehörde begrenzen oder Abschiebungen komplett ablehnen."

In Chicago beispielsweise verbietet die "Willkommensverordnung" der städtischen Polizei, diese Abschiebungen durchzuführen. Sollten Polizisten in Chicago eine Person wegen Diebstahls verhaften, dürften sie nicht zur Staatsbürgerschaft des Verdächtigen ermitteln.

Symbolbild Razzia Kinderpornographie Immigration and Customs Enforcement
Die US-Einwanderungsbehörde (ICE) ist für die Abschiebung illegaler Einwanderer zuständig (Symbolbild)Bild: AP

Sollte die Person aus dem Polizeigewahrsam entlassen werden und die Einwanderungsbehörde ist selbst an einem Verhör interessiert, ist es der Polizei von Chicago nicht erlaubt, laut Verordnung "Zeit für die Anfragen der Einwanderungsbehörde aufzuwenden". Wenn die örtliche Polizei einer Schutzstadt sich weigert, einen Inhaftierten auf Anfrage der Behörde in Gewahrsam zu behalten, bricht sie damit kein Bundesrecht. Die Anfragen der Behörde sind unverbindlich und keine Befehle. 

Eine Frage der Verfassung

Laut dem Zentrums für Einwanderungsrechte gibt es derartige Verordnungen derzeit in 39 Städten in den USA, unter anderem in den drei größten des Landes: New York, Los Angeles und Chicago. Zusätzlich haben vier Bundesstaaten (Kalifornien, Vermont, Rhode Island und Connecticut) und in 364 Bezirken ähnliche Regelungen in ihren Gesetzesbüchern. Allerdings, so Bello, variieren diese in den einzelnen Bundesstaaten und Bezirken.

Schutzstädte "halten die Einwanderungsbehörde nicht davon ab, ihre Arbeit zu machen”, sagt Cesar Cuauhtemoc Garcia Hernandez, Rechtsprofessor an der Universität von Denver und Experte zur Kriminalisierung illegaler Einwanderer. Laut Hernandez sorgen die Verordnungen nur dafür, dass die Einwanderungsbehörde sich an die Verfassung hält und einen Haftbefehl vorliegen hat, bevor sie einen Verdächtigen festnimmt.

Bislang hat kein US-amerikanisches Gericht die Verordnungen der Schutzstädte für verfassungswidrig erklärt. Tatsächlich könnte ein Rechtsstreit auch zu ihren Gunsten ausgehen. Ein Bundesgericht urteilte im Oktober dieses Jahres, dass die Anfragen der Einwanderungsbehörde – nicht etwa die Abwehr der Städte – verfassungswidrig sei. Das Gericht argumentierte die Behörde übertrete ihre Befugnis indem es die Polizei bitte, Verdächtige ohne Haftbefehl festzunehmen. Das verbietet der vierte Zusatzartikel der Verfassung.

Das "Donald Trump Gesetz”

Als während des Präsidentschaftswahlkampfs die Debatte um Einwanderungspolitik hochkochte, rückten auch Schutzstädte in den Fokus der Diskussion. So wurde im Juli vergangenen Jahres in San Francisco eine junge Frau namens Kate Steinle mutmaßlich von einem illegalen Einwanderer aus Mexiko erschossen. Der Mann war bereits fünf Mal abgeschoben worden. Der Tod der Frau wurde zum Politikum als der damalige Kandidat Trump den Mord als "schändlich und absolut vermeidbar" deklarierte.

Anti-Trump-Proteste in Chicago
Chicago gegen Trump: Protestanten vor dem Trump-GebäudeBild: Getty Images/AFP/N. Safo

Als Reaktion auf den Mord entwarfen Republikaner einen Gesetzesentwurf, der Schutzstädte mit der Sperrung von Staatsgeldern bestraft, sollten sie die Kooperation mit der Einwanderungsbehörde verweigern. Der Entwurf wurde von den Demokraten als "Donald Trump Gesetz" verspottet, da er den Mord erst politisiert hatte.

Trump gegen die Bürgermeister

Den Demokraten gelang es, den Entwurf zu blockieren, aber Trump versprach während seines Wahlkampfs, dass er als Präsident hart gegen Schutzstädte vorgehen würde, da sie "zu so vielen unnötigen Toden geführt hätten".

Abseits der legalen Streitigkeiten hatte Trump gedroht den Schutzstädten Staatsgelder vorzuenthalten - eine Bestrafung, die er sogar ohne die Zustimmung des Kongresses durchsetzen wolle. Für Metropolen wie Chicago würden das Millionen von Dollar bedeuten, die in Form von Fördergeldern für öffentliche Projekte verloren gingen.

Noch ist es zwischen Trump und den Schutzstädten zu keiner direkten Auseinandersetzung bekommen, da der designierte Präsident erst im Januar 2017 sein Amt antritt. Bis dahin zeigen sich die mächtigsten Bürgermeister des Landes mindestens so entschlossen wie Trump, wenn es um das Schicksal der elf Millionen illegalen Einwanderer im Land geht.