Wenn Kinder ausgebeutet werden
12. Juni 2012Zenabou Ilboudou ist eine große Schwester. Keine im üblichen Sinne – nein, die 20-Jährige nimmt für die Schweizer Stiftung Terre des Hommes die Rolle der "großen Schwester" für Mädchen und junge Frauen wahr, die als Hausangestellte oder Dienstmädchen beschäftigt sind. Denn Zenabou Ilboudou kennt deren Probleme– sie war selbst sieben Jahre lang Hausangestellte in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou. Als sie anfing, war sie neun Jahre alt. "Normalerweise weckt dich die Chefin morgens um 5 Uhr, damit du den Haushalt machst, und gibt dir Geld für den Einkauf", erzählt sie aus ihrem Leben als Dienstmädchen. "Danach musst du kochen, und wenn die Hausherrin findet, dass deine Sauce nicht schmeckt, hast du ein Problem." Oft sei sie wegen solcher Kleinigkeiten geschlagen worden. Was das Dienstmädchen esse, sei den Hausherren relativ egal, und "dein Schlafplatz ist oft entweder die Küche oder in irgendeinem Flur".
Unmenschliche Arbeitsbedingungen, Schläge, Missbrauch
Hunderttausende Mädchen in Burkina Faso und anderen afrikanischen Ländern teilen das Schicksal von Zenabou Ilboudou: Meist sind sie zwischen 9 und 14 Jahre alt, wenn sie sich Arbeit suchen müssen. Die meisten verlassen ihre Familien, weil zu Hause kein Geld da ist, oder werden gar von ihren Familien verkauft. Die Arbeitsbedingungen sind oft unmenschlich, die Kinder werden wie Sklaven behandelt, geschlagen, misshandelt oder missbraucht.
Alima Fogo etwa ist heute 21 Jahre alt. Sie war sechs Jahre lang Dienstmädchen und musste sich immer wieder gegen sexuelle Belästigung durch die Hausherren wehren: "Wenn der Chef nach der Arbeit nach Haus kommt und merkt, dass seine Frau nicht da ist, geht es los", berichtet sie. "Er macht mir Avancen und sagt, wenn ich mit ihm schliefe, würde er mir am Ende des Monats mehr bezahlen." Unmoralische Angebote, leere Versprechungen. Umso mehr, als der größere Teil der Kinderarbeiter, etwa zwei Drittel, sowieso kaum oder kein Gehalt bekommt. Die meisten sind im so genannten informellen Sektor tätig – dort existieren weder Verträge noch Sozialleistungen.
Hilfsprogramme reichen nicht aus
Inzwischen hat auch die Regierung Burkina Fasos die Ausmaße der Problems erkannt und versucht gegenzusteuern - in Zusammenarbeit mit verschiedenen lokalen Initiativen, aber auch mit internationalen Organisationen wie Terre des Hommes oder Unicef. Dabei geht es vor allem darum, Sklaverei, Kinderprostitution, Einsatz als Kindersoldaten und illegale oder gefährliche Tätigkeiten zu verhindern. "Wir haben derzeit ein Programm für etwa 700 Mädchen, denen wir in ihrem Heimatdorf den Schulbesuch ermöglichen", sagt Herman Zoungrana, Projektmanager von Terre des Hommes in Burkina Faso. Weitere rund 200 Mädchen seien für ein Berufsbildungsprojekt in einem Restaurant oder einer kleinen Schneiderei oder besuchten ein Gymnasium.
Doch leider sind solche Initiativen ein Tropfen auf den heißen Stein. Mehr als 500.000 Kinderarbeiter werden laut internationaler Arbeitsorganisation in Burkina Faso ausgebeutet. Und das nicht nur in Privathaushalten. Fast die Hälfte arbeitet in einer der rund 600 Goldminen des Landes: Kleine Hände zertrümmern Gesteinsbrocken, um Goldkrümel zu finden. Kleine Körper kriechen in extrem enge Minenschächte. Kleine Lungen atmen giftige Chemikalien wie Cyanid oder Schwefelsäure ein. Bezahlt werden sie selten, nur mit Essen versorgt. Die 15-jährige Zenabou Dipama hat rissige Hände vom Steineklopfen. Die Arbeit sei sehr anstrengend, klagt sie. Der ebenfalls 15-jährige Sayouba Bonkoungou wird konkreter: "Geregelte Arbeitszeiten gibt es hier nicht. Wir fangen morgens an, mittags machen wir eine Pause und dann geht es weiter bis Mitternacht."
Kaum Interesse am Schulbesuch
Viele der Schulen in den Goldregionen haben daher wenig Zulauf: Die Kinder haben schlicht keine Zeit zu lernen. Dem UN-Kinderhilfswerk Unicef ist es dennoch gelungen, rund 7000 Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen und sie dafür zu begeistern. Das ist gar nicht immer so leicht: Denn die Arbeit in den Minen ist für viele Kinder trotz aller Anstrengung attraktiv. Haben sie doch die Illusion, dort dank ein paar Goldkrümeln ihrer Armut zu entkommen.