Schotten vor zweitem Referendum
20. Oktober 2016Regierungschefin Nicola Sturgeon wird nicht müde, für die Eigenständigkeit und größtmögliche Souveränität zu trommeln - und sie glaubt an den Erfolg einer möglichen zweiten Abstimmung über die Loslösung von Großbritannien. Wie angekündigt legte Sturgeon jetzt einen Gesetzentwurf für ein erneutes Referendum über eine Unabhängigkeit vor.
Sorge über Nachteile durch Brexit
Sie zieht damit die Konsequenzen aus dem bevorstehenden Abschied der Briten aus der Europäischen Union ("Brexit"). Ihre Regierung sei zwar weiterhin bereit, mit der Londoner Regierung über die künftige Beziehung zur Europäischen Union zu verhandeln, die für das gesamte Vereinigte Königreich gelte. Wenn sich jedoch herausstelle, dass die Interessen Schottlands nur durch eine Unabhängigkeit gewahrt werden könnten, "dann muss die schottische Bevölkerung die Möglichkeit haben, diese Frage erneut zu stellen, und dies, bevor das Vereinigte Königreich die EU verlässt". Priorität habe, die schottische Position im europäischen Binnenmarkt zu sichern, auch "wenn der Rest des Königsreichs" gehe, so Sturgeon.
Die Wähler des United Kingdom hatten am 23. Juni beim Brexit-Referendum knapp für den EU-Austritt gestimmt. Die Schotten allerdings votierten mit 62 Prozent für einen Verbleib - ihnen droht nun aber, gemeinsam mit den anderen Landesteilen den Staatenbund verlassen zu müssen.
Jüngste Erklärungen aus London zum Brexit weckten bei der schottischen Regierung "ernsthafte Befürchtungen", erklärte Sturgeon bei der Vorlage des Gesetzentwurfs. Die Schotten stünden vor "inakzeptablen Risiken für ihre demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen und für das Mitspracherecht ihres Parlaments".
Zweiter Anlauf zum Separatismus
Der Gesetzentwurf ähnelt in weiten Teilen dem Gesetz zum Unabhängigkeitsreferendum von 2014. Damals hatten die Schotten schon einmal über eine Loslösung von London abgestimmt: 55 Prozent votierten für den Verbleib unter der Monarchie.
Die britische Premierministerin Theresa May will den EU-Austritt ihres Landes bis Ende März in Brüssel beantragen, für die anschließenden Verhandlungen gilt eine Zweijahresfrist. May nahm am Donnerstag erstmals an einem EU-Gipfel in Brüssel teil, wo sie über den Stand der Pläne für den EU-Austritt informieren wollte.
Exodus schon begonnen?
Im Zusammenhang mit dem Brexit-Votum stieg die Zahl der Briten, die die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Landes beantragten, in den ersten Monaten dieses Jahres um 250 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum an, wie die britische Zeitung "Guardian" berichtet. Demnach beantragten mehr als 2800 Briten in 18 EU-Ländern einen Pass des jeweiligen Landes. Die Länder Dänemark, Italien, Irland und Schweden verzeichneten den höchsten Anstieg. Nach offiziellen Angaben leben mindestens 1,2 Millionen britische Staatsbürger in anderen Ländern der EU.
SC/sti (afp, rtre)