EU-Reformen: Mehr Partnerschaft, weniger Differenzen
29. August 2022An der fast 700 Jahre alten Universität von Prag hat Olaf Scholz seine Eckpunkte für eine Neuausrichtung der Europäischen Union skizziert. Als Konsequenz aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine müsse die EU deutlich stärker und wirtschaftlich unabhängiger werden, sagte der deutsche Kanzler. Ein vereintes Europa sei dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Dorn im Auge.
"Wir sehen nicht einfach zu, wie Frauen, Männer und Kinder umgebracht, wie freie Länder von der Landkarte getilgt werden und hinter Mauern oder eisernen Vorhängen verschwinden", sagte Scholz. "Daher unterstützen wir die angegriffene Ukraine: wirtschaftlich, finanziell, politisch, humanitär und auch militärisch." Und diese Unterstützung werde aufrechterhalten "so lange wie nötig". In den nächsten Wochen und Monaten erhalte die Ukraine von Deutschland hochmoderne Luftverteidigungs- und Radarsysteme im Wert von über 600 Millionen Euro.
EU-Erweiterung "um die Ukraine, Moldau und perspektivisch auch um Georgien!"
Der Kanzler skizzierte ein geopolitisches Europa, das aus 27, 30 oder 36 EU-Staaten bestehe. "Ich setze mich ein für die Erweiterung der Europäischen Union - um die Staaten des Westbalkans. Um die Ukraine. Um Moldau und perspektivisch auch um Georgien!"Dafür benötige die Union neue Regeln. "Europäische Regeln lassen sich ändern", sagte der Bundeskanzler, "wenn wir gemeinsam zu dem Schluss kommen, dass die Verträge angepasst werden müssen, damit Europa vorankommt, dann sollten wir das tun".
Scholz sprach sich dafür aus, in der Gemeinsamen Außenpolitik, aber auch in anderen Bereichen wie der Steuerpolitik, schrittweise zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen. "Ein Festhalten am Prinzip der Einstimmigkeit funktioniert nur, solange der Handlungsdruck gering ist. Spätestens angesichts der Zeitenwende ist das nicht mehr der Fall", betonte der Kanzler.
"Europäisches Hauptquartier"
Unter dem Begriff "europäische Souveränität" warb der deutsche Regierungschef ebenso für die Abkehr von wirtschaftlichen und technologischen Abhängigkeiten wie auch für eine möglichst autarke Energieversorgung.
Als Konsequenz aus dem Ukraine-Krieg plädierte Scholz zudem für eine gemeinsame Verteidigungspolitik der EU. So müssten beispielsweise gemeinsame Waffensysteme entwickelt werden, auf die alle Soldaten der Mitgliedsländer trainiert und die besser gewartet werden könnten.
Konkret sprach sich Scholz für ein gemeinsam aufgebautes Luftverteidigungssystem aus, das "kostengünstiger und effizienter" als eigenständige nationale Lösungen wäre und zugleich einen "Sicherheitsgewinn für ganz Europa" darstellen würde.
Mittelfristig brauche es "ein echtes EU-Hauptquartier" und ab 2025 eine schnelle Eingreiftruppe. Scholz bekräftigte, dass Deutschland für die geplante Einheit mit rund 5000 Soldaten zu Beginn den "Kern" stellen will.
rb/ehl (AFP, dpa, DW, Reuters)