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Schnüffel-Journalismus - auch in Deutschland?

9. Juli 2011

Geknackte Mobiltelefone, geschmierte Polizisten, Geschichten um jeden Preis. Der journalistische Amoklauf der "News of the World" schockt die Briten. Wie weit gehen deutsche Journalisten für eine "gute" Geschichte?

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Titelseite des Skandalblattes "News of the World"
Bild: newsoftheworld.co.uk

Grenzen kannten sie offenbar schon lange nicht mehr, die Journalisten des britischen Boulevard-Blattes "News of the World". Gemeinsam mit Privatdetektiven hackten sie die Handy-Mailbox eines verschleppten Mädchens und behinderten dadurch die Ermittlungen der Polizei. Auch die Mobilboxen von Familien getöteter Soldaten sowie von Angehörigen von Terror-Opfern wurden von den Reportern geknackt. Kriminelle Informationsgewinnung also.

Wäre das in Deutschland möglich?

Stern-Titel vom 25.04.1983
Stern-Titel (25.04.1983)Bild: Stern

In den vergangenen Jahren gab es auch in der Bundesrepublik immer wieder Medienskandale. Die Illustrierte "Stern" zum Beispiel veröffentlichte 1983 unter großem Tam-Tam die angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers. Mehr als 9 Millionen D-Mark hatte der Verlag Gruner + Jahr für die mehr als 60 Bände gezahlt.

Doch schon wenig später stellte sich heraus, dass die Journalisten einem Fälscher aufgesessen waren. Die Räuberpistole um den "Stern"-Reporter Gerd Heidemann und den Fälscher Konrad Kujau wurde später sogar verfilmt.

Auf der Jagd: Der Medienskandal Gladbeck

Die Jagd nach Auflagenzahlen und Einschaltquoten spielte auch im Skandal um das Gladbecker Geiseldrama eine wichtige Rolle. Am 16. August 1988 überfiel das Gangsterduo Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner eine Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck. Auf ihrer zweitägigen Flucht nahmen sie mehrmals Geiseln. In einem Linienbus erschoss Degowski einen 15-jährigen Jungen, bei der abschließenden Polizeiaktion starb die 18-jährige Silke Bischoff. Das Geschehen wurde teilweise live im Fernsehen übertragen.

Der Entführer Hans-Jürgen Rösner gibt während der Irrfahrt im Fluchtwagen ein Interview.
Der Entführer Hans-Jürgen Rösner gibt während der Irrfahrt im Fluchtwagen ein Interview.Bild: picture-alliance/ dpa

In der Kölner Innenstadt umringten Journalisten das Fluchtfahrzeug und interviewten die Geiselnehmer. Einige setzten sich sogar zu den Gangstern ins Auto. Das Verhalten der Medienvertreter entfachte eine Debatte über Verantwortung und Grenzen der Berichterstattung.

Einen Fall wie jetzt in Großbritannien, bei dem Journalisten bewusst und massiv gegen Gesetze verstoßen, hat es in Deutschland aber noch nicht gegeben. Ella Wassink, Sprecherin des Deutschen Presserates, hält eine ähnliche Entwicklung zudem für unwahrscheinlich. "Wir haben keinerlei Anlass und auch keinerlei Erkenntnisse, dass es in Deutschland auch nur annähernd in diese Richtung geht."

Presserat: "Selbstkontrolle funktioniert"

Der deutsche Presserat ist ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle und der zentrale Ansprechpartner für Beschwerden über die Arbeit von Medien und Journalisten. Im Presserat wachen Vertreter von Verlegern und Journalistengewerkschaften über die Einhaltung bestimmter Grundregeln. Wer gegen den sogenannten Pressekodex verstößt, wird öffentlich gerügt und muss diese Rüge auch im eigenen Medium publizieren. In diesem Pressekodex ist unter anderem festgelegt, dass sich Journalisten an die Gesetze halten müssen und keine unlauteren Recherchemethoden benutzten dürfen.

In den vergangenen Jahren, sagt Ella Wassink, habe es nur wenige Rügen wegen der Recherchemethoden von Journalisten gegeben. Den Skandal in Großbritannien führt Wassink auf die stärkere Boulevardisierung der britischen Zeitungslandschaft zurück. Offensichtlich "goutiert die Leserschaft diese Art von Journalismus."

Machtfaktor Murdoch

Rupert Murdoch 2007 (Foto: AP)
Medienunternehmer Rupert MurdochBild: AP

Das britische Boulevard-Blatt "News of the World" gehört zum Konzern des Medienmoguls Rupert Murdoch. Dessen Zeitungen dominieren den britischen Pressemarkt. Die britische Politik, ob Links oder Rechts, ob Labour oder Tory, sucht deswegen die Nähe zu Murdoch. Dessen "übermächtige Stellung" sei ein wichtiger Grund für die Vorgänge in Großbritannien, meint Michael Haller, wissenschaftlicher Direktor des Leipziger Instituts für praktische Journalismusforschung: "Das gibt den Redaktionen das Gefühl, sie dürften und könnten alles. Das ist aus meiner Sicht das eigentliche Übel."

In Deutschland, so der der Wissenschaftler und Publizist weiter, gebe es bisher keinen Medienkonzern mit einer ähnlich dominierenden Stellung. "Wir haben ein wesentlich strengeres und restriktiveres Kartellrecht", betont Haller. So untersagte das Kartellamt 2006 dem Springer-Konzern, Herausgeber der Boulevardzeitung "Bild", den Kauf der privaten Fernseh-Sendergruppe Pro SiebenSat1.

Schutz vor Berichterstattung

Auch der Persönlichkeitsschutz im Strafrecht, erklärt Haller, sei in Deutschland wesentlich stärker ausgeprägt als in Großbritannien. Insbesondere Prominente würden diesen inzwischen auch mit Hilfe von auf Medienrecht spezialisierten Anwälten durchsetzen. Schon häufiger mussten deutsche Verlage nach Persönlichkeitsrechtsverletzungen empfindliche Geldbußen zahlen.

Trotzdem will Haller es nicht völlig ausschließen, dass auch deutsche Journalisten in Einzelfällen zu Recherchezwecken gegen Gesetze verstoßen. Ausreißer gebe es schließlich in allen Berufsgruppen: "Aber das sind schwer gestörte pathologische Formen, die mit Journalismus nichts mehr zu tun haben."

Autor: Nils Naumann
Redaktion: Hartmut Lüning