Schnee aus allen Rohren
23. Dezember 2015Er ist legendär, ein Publikumsmagnet: Trotzdem mussten die Organisatoren im thüringischen Wintersportort Oberhof den Biathlon-Weltcup vom 7. bis 10. Januar absagen - zum ersten Mal in der Geschichte der Traditionsveranstaltung. Auch die Nordischen Kombinierer sitzen auf dem Trockenen. Der Wettbewerb am 2. und 3. Januar in Klingenthal fällt aus, obwohl die Veranstalter in den vergangenen Tagen wieder rund um die Uhr gearbeitet haben.
Schon zu DDR-Zeiten sammelten die Skifans aus dem Erzgebirge Erfahrung im Schneekonservieren. "Wir haben Schnee schon in Gemüse- und Fleischkisten an Strecken und Schanzen getragen", sagt Pressesprecher Gunter Brand. "Letztes Jahr haben wir 10.000 Kubikmeter unter einer Schicht mit Sägespänen und Kunststoffplanen übersommert."
Diesen Herbst belegten die Klingenthaler die rund zwei Kilometer lange und fünf Meter breite Laufstrecke mit 15.000 Kubikmeter selbst produziertem Schnee. Doch die Luft erwärmte sich zu stark, der Boden weichte vom Regen auf, so schmolz das menschgemachte Produkt letztendlich weg. Der Deutsche Skiverband hat zwar Spezial-Schneemaschinen gekauft, um sie an Veranstalter zu verleihen, doch der Wintersportverein Klingenthal hatte damit den Weltcup im Skispringen im November gesichert. Eine erneute Anmietung konnte sich der Klub nicht leisten. "Was soll nur aus unseren Nachwuchs-Sportlern werden?", sorgt sich Gunter Brand. "Die Sportler trainieren im Sommer bis zum Umfallen und haben im Winter keine Wettkämpfe."
Wettkämpfe zur Imageförderung
Lediglich die Skispringer können sich auf den sportlichen Vergleich freuen. Für die prestigeträchtige Vier-Schanzen-Tournee vom 28. Dezember bis 6. Januar wurde ausreichend Schnee hergestellt. Stefan Huber, Geschäftsführer der Skisport- und Veranstaltungs GmbH Oberstdorf ist froh darüber, im November damit begonnen zu haben als die Temperaturen es zuließen. Die Pracht lagert komprimiert und mit Planen abgedeckt auf einem riesigen Haufen in einem Seitental, weil es dort kühler ist als an der Schattenbergschanze: "Wir brauchen die Veranstaltung aus Prestigegründen, damit Oberstdorf international bekannter wird." Das gleiche Argument führen die Macher vom Ski-Club Willingen an.
Dort soll der Skisprung-Tross nach der Vier-Schanzen-Tournee Halt machen. Das Sauerland gilt als Einzugsgebiet für Millionen Touristen aus Rheinland, Ruhrgebiet und den Beneluxstaaten. Die Region lebt vom Fremdenverkehr. Und Skisprung-Events locken schon mal hunderttausend Zuschauer in das nordhessische Dorf. Doch die Bedingungen für Wintersport im wärmsten Dezember seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sind im Mittelgebirge noch aussichtloser als in Orten alpiner Lagen. Wolfgang Schlüter schaut daher gar nicht erst erwartungsvoll zum Himmel. Schneewolken sehen anders aus. Die milden 15 Grad treiben dem Schanzenchef die Schweißperlen auf die Stirn - nicht die Anspannung. Die Willinger sind daran gewöhnt, dass der Schnee durchaus nicht vom Himmel fällt, sondern aus Kanonen schießt.
Sehr begehrt: gebrauchter Schnee
Für das Belegen der Mühlenkopfschanze werden rund 4000 Kubikmeter Schnee benötigt. Produziert wird das Gros des "weißen Goldes" direkt an der Schanze. "Wir planen, die Schanze innerhalb von drei bis vier Tagen unmittelbar vor dem Weltcup mit dem Schnee zu belegen. Die Planung ist von den Außentemperaturen abhängig. Bei kalter Witterung werden wir schon früher beginnen", sagt Vereinssprecher Dieter Schütz.
Weitere Mengen liegen in der Skihalle Neuss am Rhein bereit. Von dort bringen Sattelschlepper eines Bonner Transportunternehmens die Fuhren mit jeweils 50 Kubikmeter zunächst nach Gelsenkirchen. In der Arena des Fußball-Erstligisten FC Schalke wird damit eine Loipe angelegt für die Biathlon-Challenge, einen internationalen Wettkampf der Skijäger. Tags darauf, am 29. Dezember, soll der Schnee erneut verladen und ins zwei Autostunden entfernte Willingen verfrachtet werden. "Wir müssen den Schnee kaufen, obwohl er gebraucht wurde", sagt SCW-Vereinsvorsitzender Jürgen Hensel. Ein Kubikmeter kostet 60 Euro - zuzüglich Verladung und Lieferung.
Schnee aus der "Fabrik"
In Willingen hängen seit Wochen Tag und Nacht die zwei Container-ähnlichen Maschinen aus Italien, genannt SnowFactory, am Strom. Die 13 Meter lange "Schneefabrik" kann, im Vergleich zu herkömmlichen Schneekanonen, auch bei Lufttemperaturen über vier Grad produzieren. "Die Maschinen arbeiten bei bis zu 15 Grad Celsius zuverlässig und produzieren täglich zusammen 200 Kubikmeter Schnee", sagt Wolfgang Schlüter und lächelt entspannt. "Aus einem Kubikmeter Wasser erhält man zwei Kubikmeter Schnee", fügt sein Stellvertreter Andi Rohn hinzu, "weil in einer Doppelwand, Kühlflüssigkeit gespeichert wird." Die lässt sich auf etwa zwölf Grad unter Null runterkühlen. Dann wird neun Grad warmes Leitungswasser in den Zylinder eingespritzt, so entsteht an der Innenwand eine Eisschicht, die ständig mit einem scharfen Messer abgeschabt wird. Zu guter Letzt wird der fertige Schnee mit einer Temperatur von acht Grad unter dem Gefrierpunkt auf einen großen Haufen im Auslauf der Schanze gesprüht.
Absage ist keine Option
In der örtlichen Eissporthalle wird zusätzlich Schnee produziert, der danach in einem 150 Quadratmeter großen Zelt gelagert wird. Für weiteren Bedarf stehen Schneelogistiker im Snow Dome in Bispingen bereit. Doch der Transport von der Skihalle in der Lüneburger Heide, südlich von Hamburg, ins 300 Kilometer entfernte Willingen verursacht zusätzliche Kosten.
Für den Fall, dass auch diese als Ersatz kalkulierten Mengen nicht reichen, wären die Sauerländer sogar bereit, Crushed-Eis aus Bremerhaven anzuschaffen, das sonst zur Kühlung von Fischtransporten verwendet wird.
25 Free Willis, wie sich die freiwilligen Helfer des Ski-Clubs Willingen nennen, arbeiten in diesen Wochen für die Operation "Weltcup-Skispringen". "Der Ski-Club lebt durch den Weltcup", begründet Dieter Schütz den Aufwand. "Vom Überschuss hängt die gesamte Sportförderung der rund 100 jungen Sportlerinnen und Sportler im Biathlon sowie im nordischen Skisport ab."
Vereinstrainer, Ausrüstung, Trainingslager, Reisen zu nationalen und internationalen Wettkampforten, Pflege der Wettkampfstätten, all das sei nur möglich, wenn ein Gewinn erzielt werde. Außerdem ist die Mühlenkopfschanze das Wahrzeichen der Touristik-, Freizeit- und Wintersporthochburg, der Event hat unbezahlbare Werbewirksamkeit.
Alle Ausrichter von Ski-Weltcups haben zwar Ausfallversicherungen abgeschlossen, die bei einer Absage einen Teil der Kosten für TV-Rechte, Stornokosten für Anreise und Unterbringung übernehmen. Offizielle Zahlen will kein Vereinsvertreter nennen. "Was ein Ausfall kosten würde, lässt sich nicht beziffern. Damit wollen wir uns auch gar nicht erst beschäftigen, weil wir positiv denken", sagt Dieter Schütz. Bisher hat sich der Aufwand noch immer gelohnt.