Schmeiß weg die olle Stradivari
9. Mai 2017Unter Musikliebhabern ist weitgehend unumstritten, dass die Streichinstrumente, die Antonio Giacomo Stradivari Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts im italienischen Cremona hergestellt hat, vom Klangbild nicht zu überbieten sind. Aber stimmt das noch?
Etwas über 600 echte Stradivari-Violinen soll es noch auf der Welt geben, hinzu kommen unter den Streichern Violoncelli und Bratschen. Auch Zupfinstrumente hat der Meister gefertigt.
Viel wurde darüber spekuliert und geforscht, woher eine echte Stradivari ihr einzigartiges Klangbild hat. War es die kleine Eiszeit in den Jahrzehnten vor der Zeit Antonio Stradivaris? In dieser Zeit waren die Jahresringe der Bäume schmaler als in warmen Jahren, folglich hatte das Holz, das der Meister nutzte, eine festere Qualität.
Oder war es schlicht seine einzigartige Handwerkskunst, die dazu führte, dass seine Geigen besonders weithin im Konzertsaal hörbar sind? Oder die Lackierung?
Die dutzende-Millionen-Dollar Frage
Heutzutage sind echte Stradivaris und Geigen aus der benachbarten Werkstatt von Giuseppe Guarneri del Gesù so begehrt, dass sich normal sterbliche Musiker sie sich kaum leisten können. Viele befinden sich mittlerweile im Besitz von Banken oder Versicherungsgesellschaften und werden an Spitzenmusiker ausgeliehen. In Auktionen erzielte Preise sind seit den 1980er Jahren von niedrigen sechsstelligen auf achtstellige Eurosummen gestiegen.
Aber ist der ganze Stradivari-Hype gerechtfertigt? Diese Frage stellte sich das Team um die französische Toningenieurin und experimentelle PsychologinClaudia Fritz, die an der Pierre und Marie Curie Universität in Paris forscht: "Weil alte italienische Instrumente für die meisten Spieler heute preislich nicht erschwinglich sind, erscheint es wichtig, die grundlegende Annahme ihrer klanglichen Überlegenheit zu überprüfen", schreiben die Autoren am 8. Mai in der Fachzeitschrift Proceedings (PNAS)der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA.
Zwei Konzertsäle - und erfahrende Probanden
Die Forscher ließen also vorspielen: Auf drei echten Stradivari-Violinen und auf drei neuen Violinen. Das Publikum durfte nicht sehen, welche Violine jeweils gespielt wurde und sollte das Klangbild bewerten. Auch die Violinisten mussten blind spielen, ihnen wurden die Augen verbunden. Es wurde sowohl mit als auch ohne Orchesterbegleitung gespielt.
Dabei ging es einerseits darum, wie der Klang des Instruments in die Tiefe des Raumes hineinwirkte, selbst bei sehr gering empfundener Lautstärke unter dem Ohr des Spielers. Die Fähigkeit besonders weit zu klingen, aber gleichzeitig im Ohr des Musikers leise zu wirken, gilt landläufig als besondere Stärke einer Stradivari. Andererseits fragten die Forscher ihre Probanden nach der persönlichen Klang-Vorliebe.
Im Publikum befanden sich Musikliebhaber, klassische Musiker und auch Violinisten. Der Versuch wurde zweimal durchgeführt, berichtet AFP: In einer Konzerthalle in Paris mit 55 und in New York mit 82 Zuhörern.
Violinisten und Publikum sind sich einig
Die Violinisten, die selber im Versuch musiziert hatten, gaben überwiegend den neueren Geigen den Vorrang. Außerdem konnten sie eine neue Geige nicht von einer echten Stradivari unterscheiden - jedenfalls nicht statistisch messbar.
Auch im Publikum waren die Ergebnisse eindeutig: Die neueren Violinen übertrugen ihren Klang besser in die Tiefe des Saales, sowohl mit als auch ohne Orchesterbegleitung. Auch vom persönlichen Klangempfinden gaben die Zuhörer den neuen Geigen den Vorzug.
Und noch ein Mythos brach in sich zusammen: Alle getesteten Geigen (auch die Stradivaris), die in der Tiefe des Raumes gut zu hören sind, empfindet der Musiker am Ohr immer als laut. Vom Musiker als leise empfundene Geigen haben hingegen stets nur eine mäßige Tiefenwirkung.