Krankheit durch schlechte Zähne
3. September 2021Die meisten von uns gehen nicht gerade gern zum Zahnarzt, nur wenn wir unbedingt müssen oder akute Schmerzen haben. Aber auch ohne Symptome können uns unsere Zähne auf gesundheitliche Probleme im gesamten Körper aufmerksam machen, nicht nur im Mund.
"Die meisten denken, Zähne und Körpergesundheit hätten nichts miteinander zu tun, aber die beiden stehen über den Organismus sehr wohl miteinander in Verbindung", sagt Roland Frankenberger von der Poliklinik für Zahnerhaltung an der Universität Marburg. Parodontitis etwa ist zur Volkskrankheit geworden, jeder zweite in Deutschland leidet darunter. Die Zahnfleisch- und Zahnbettentzündung steht im Mittelpunkt der Wechselbeziehung zwischen Zähnen und Körper. Sie wird vor allem durch Bakterien im Zahnbelag verursacht, dann entstehen Taschen, in denen sich die Bakterien ungestört vermehren können.
"Wenn Sie eine mittelschwere Parodontitis haben, dann haben Sie quasi eine offene Wunde in der Mundhöhle, die so groß ist wie eine knappe Handfläche", erläutert Frankenberger. "Hätte man solch eine Wunde am Rücken, würde sie dem Arzt viel früher auffallen und er würde sie entsprechend behandeln. "Wenn sich ein Patient zum Beispiel wundgelegen hat, ist das eine ideale Eintrittspforte für Bakterien, die ein Arzt oder eine Ärztin sofort sieht." In der Mundhöhle sei das anders, so der Zahnmediziner. Da merke es erst einmal niemand.
Zahnerkrankungen werden oft übersehen
Viele Patienten sind sich über die enge Verbindung zwischen Zahngesundheit und der allgemeinen Gesundheit ihres Körpers nicht im Klaren. Wenn es beim Zähneputzen manchmal etwas blutet, halten die meisten das für nicht so wichtig. Kann schon mal passieren!
Dabei ist es durchaus ernst zu nehmen, denn vom Mundraum aus können Bakterien ins Blut gelangen und sich so im ganzen Körper ausbreiten. Eine Parodontitis ist immer ein Alarmzeichen.
"Zwischen der Prävalenz von Parodontitis, also der Anzahl der Krankheitsfälle, und den Fällen, die tatsächlich behandelt werden, gibt es eine viel zu große Lücke", gibt Frankenberger zu Bedenken. Es gebe etliche Allgemeinmediziner, die von der Wechselwirkung während ihrer Ausbildung nie etwas gehört hätten. "Es muss im Studium dringend vermittelt werden, dass die Mundhöhle kein eigener, abgeschlossener Raum ist, und dass sie vieles im Körper beeinflusst."
Von Verspannungen bis zu Demenz
Auch wenn Ärzte und Zahnärzte bereits seit vielen Jahren interdisziplinär arbeiten, sind die Möglichkeiten für erfolgreiche Behandlungen bei weitem nicht ausgeschöpft. Der Einfluss der Zahngesundheit auf andere Bereiche geht von Schulter- und Gelenkschmerzen über Tinnitus bis hin zu Herzproblemen. Auch Allergien und Rheuma können durch Zahnerkrankungen ausgelöst werden.
Nicht nur die fachübergreifende Arbeit zusammen mit Orthopäden und Kardiologen ist nötig, auch die Zusammenarbeit mit Neurologen. Demenz gehöre ebenfalls zu den Erkrankungen, auf die Zähne und Mundhöhle Einfluss hätten, sagt Frankenberger. Umgekehrt funktioniere es aber leider nicht: Eine Demenz könne durch gesunde Zähne nicht rückgängig gemacht werden.
Am stärksten ist die Interaktion bei Diabetes. Das Immunsystem eines Diabetikers ist geschwächt. Für Bakterien ist es ein Leichtes, sich in der Mundhöhle einzunisten. Zahngesundheit und Diabetes könnten sich gegenseitig hochschaukeln, so Frankenberger. "Patienten, die eine Parodontitis haben, kommunizieren gewissermaßen wechselseitig mit dem Diabetes. Parodontitis ist ein Risikofaktor dafür, dass Diabetes entsteht oder ein vorhandener Diabetes schlimmer wird. Man kann allerdings nicht einfach sagen: Weil du eine Parodontitis hast, hast du Diabetes entwickelt."
Eine Korrelation besteht auch bei anderen Erkrankungen. In dem Moment, in dem schädliche Bakterien über die offene Mundhöhle in den Blutkreislauf gelangen, können sie ins Herz eindringen und dort beispielsweise eine Endokarditis hervorrufen, eine Entzündung der Herzinnenhaut. Wird diese nicht behandelt, verläuft sie fast immer tödlich. Eine Parodontitis ist also mehr als nur ein bisschen Zahnfleischbluten.
Gefahr für Schwangere
Besonders Schwangere sind anfällig für eine Zahnfleischentzündung, denn ihr Körper ist hohen Belastungen ausgesetzt. Und Parodontitis schwächt den Körper. Wird sie nicht schnell behandelt, kann sie das Risiko einer Frühgeburt um das bis zu 7,5-fache erhöhen. Die Bakterien breiten sich über die Blutbahn zum Mutterkuchen hin aus, und das Wachstum des Fötus kann beeinträchtigt werden.
Vermeiden lassen sich schwere Entzündungen weitestgehend durch gute Mundhygiene. Dazu gehört nicht nur Zähneputzen, sondern auch professionelle Zahnreinigung und der regelmäßige Besuch beim Zahnarzt. Er kann am ehesten feststellen, ob etwas nicht stimmt, und die Palette der möglichen Erkrankungen ist sehr umfangreich. Fast täglich gibt es neue Forschungsergebnisse, einige auch zu sehr aktuellen Fragen.
"Eine finnische Studie hat jetzt gezeigt, dass Patienten mit einer Parodontitis wesentlich schlimmere Verläufe bei COVID-19 hatten als diejenigen, deren Zähne und deren Mundhöhle gesund waren. Die Studie erscheint demnächst im Fachmagazin 'Clinical Oral Investigations', so Frankenberger.
Auch das Kiefergelenk spielt eine wichtige Rolle
Nicht nur gesunde Zähne und eine intakte Mundhöhle tragen zur Gesundheit bei, auch das Kiefergelenk. Ist es gestört, können Nacken-, Kopfschmerzen und auch Rückenschmerzen die Folge sein. Die Kiefermuskulatur versucht Fehlstellungen zu korrigieren, indem sie sich zusammenzieht und verkrampft. Das kann bis in die Halswirbelsäule oder die Schultern ausstrahlen.
Die wenigsten aber denken bei solchen Beschwerden in erster Linie an ihre Zähne, sondern machen eher ihre schlechte Haltung vor dem Computer dafür verantwortlich. Das könnte ein Grund sein, aber der Einfluss den Zähne, Mundhöhle und Kiefer auf unsere allgemeine Gesundheit haben, sollte nicht unterschätzt werden.