Schlechte Stimmung in Deutschland
29. April 2005"Ist das Glas halb voll oder halb leer?" Die Antwort hängt natürlich ganz von der persönlichen Stimmung des Betrachters ab. Auf die Stimmungslage in Deutschland bezogen, fällt sie auf den ersten Blick negativ aus. Nicht einmal jeder dritte Deutsche glaubt, dass man in einigen Jahren noch gut in Deutschland leben könne, fast jeder zweite sorgt sich um seinen Job und mehr als die Hälfte der Bundesbürger rechnet damit, dass sich die persönliche finanzielle Situation verschlechtern wird. Ergebnisse, die angesichts der schlechten Wirtschaftsprognosen nicht überraschen. Denn die Angst vor Massenarbeitslosigkeit schlägt aufs Gemüt und das geht letztlich wieder auf Kosten der Wirtschaft. "Sparen aus Angst vor der Zukunft ist Gift für die Konjunktur", wissen die Strategen im Kanzleramt schon längst und grübeln deshalb auch seit Monaten darüber, wie man die Stimmung im Lande aufhellen kann.
Gerade gerückt
Die Zukunftssorgen der Deutschen sind aber nur ein Teil der Umfrageergebnisse. Wer einen zweiten Blick auf die Umfrage wirft, der sieht, dass es auch Hoffnungsvolles zu berichten gibt. Denn nach Auskunft der Soziologen wird die Kluft zwischen den Ost- und Westdeutschen 15 Jahre nach dem Mauerfall deutlich kleiner. Viele Menschen in Ostdeutschland, insbesondere in den Wachstumsregionen Sachsen, Brandenburg und Thüringen sind mit dem Leben in ihrer Region zufriedener als früher. Das ohnehin schiefe Bild vom jammernden Ostdeutschen stimmt nicht mehr. Das belegen die Zahlen nun schwarz auf weiß.
Realismus
Nach Jahren der Depression wächst im Osten Deutschlands die Zufriedenheit deutlich. Woran liegt das? Ist es nur eine Folge der unübersehbaren Veränderungen zum Besseren, zum Beispiel bei der Sanierung von Städten und Dörfern, der Ansiedlung neuer Unternehmen? Das allein ist wohl nicht der Grund. Vielmehr hat sich vieles in der Wahrnehmung der Ostdeutschen verändert. Zunächst einmal scheinen sie die positiven Veränderungen in den Wachstumsregionen wie Leipzig und Bitterfeld auch entsprechend zu würdigen. Zum anderen haben sie vormals übertriebene Erwartungen inzwischen den realen Verhältnissen angepasst. Zweifellos spielt auch die schlechte konjunkturelle Entwicklung im Westen hierbei eine wichtige Rolle. Hatten sich die Ostdeutschen nicht lange mit dem angeblich so "goldenen Westen" verglichen? Hatte man nicht nur allzu gerne den vollmundigen Versprechungen der Politik von "blühenden Landschaften im Osten" Glauben schenken wollen? Inzwischen ist man ein bisschen realistischer geworden ohne dabei in Defätismus zu verfallen.
Weizsäcker
Dass die Kluft zwischen Ost und Westdeutschland kleiner geworden ist, ist bei näherer Betrachtung der Studie ein gutes Zeichen. Auch wenn sich die Gesamtstimmung angesichts der Konjunkturlage verständlicherweise getrübt hat. "Die Menschen sind vernünftiger geworden", bewertete Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei der Präsentation der Umfrage das Ergebnis der Studie. "Vernünftig", das bedeutet auch realistische Erwartungen zu haben und reformbereit zu sein. Was könnte sich die Politik mehr wünschen?