Das Schauspiel zur Finanzkrise: "Die Kontrakte des Kaufmanns"
30. April 2009Eigentlich hatte Elfriede Jelinek ihre Abrechnung mit betrügerischen Bankern und gutgläubigen Kleinanlegern vor dem Hintergrund eines österreichischen Bankenskandals geschrieben. Am Kölner Schauspiel aber wollte man das Stück unbedingt inszenieren. Und noch während die Proben im Gange waren lieferte sie weiteres Material nach: Aktueller kann ein Theaterstück wohl kaum sein. Und aufsehenerregender.
Dies sei bereits die dritte Uraufführung lässt uns Regisseur Nicolas Stemann gleich zu Beginn wissen. Jeder Abend verlaufe anders. Das Ensemble lese vom Blatt, man habe – so Stemann - eine "Textumsetzungs-Maschine" errichtet. Das klingt nach Arbeit.
Neunundneunzig Seiten
Eine Digitalanzeige vorne links auf der Bühne zeigt: 99. Das heißt, hundert minus eine Seite Text. Es wird rückwärts gezählt. In den folgenden dreieinhalb Stunden werden Manuskriptblätter zu Boden rauschen und die Bühne schließlich bedecken. Wenn die Tafel Null anzeigt, haben wir es geschafft. Pausen sind nicht vorgesehen, dafür dürfen wir jederzeit durch die geöffneten Türen hinaustreten ins Foyer.
Meine Nachbarn sind froh gestimmt - so wie ich. "Ich weiß, dass ich 3 ½ Stunden ohne Pause sitzen muss, aber ich denke, das geht", sagt die Dame - "Ich lass mich überraschen", der Herr.
"Weh, weh, weh!"
Die Bühne ist vollgestopft mit Requisiten: Mobiliar, technische Geräte, ein Kleiderständer, Mikrofone, Videoinstallationen. Ein"Chor der Kleinanleger" tritt auf, ein "Chor der Greise" intoniert "Weh-weh-weh". Die ersten Seiten sind schnell herum. Rasch zeigt die Anzeige "90". Erster Beifall bei Seite 86. Jelineks Text gefällt mir - ich hatte schon immer ein Faible für ihren Sarkasmus, ihre Boshaftigkeit, ihre geschliffenen Formulierungen.
Seite 76: Auf der Bühne sind jetzt Schauspieler mit Wolfsmasken. Einschmeichelnde Stimmen versichern uns: "Ihr Kapital lebt gut, auf einer kleinen Insel, dort ist es nicht allein. Sie können Ihr Geld jederzeit bei uns besuchen." Kaskadengleich ergießt sich Elfriede Jelineks Text in den Zuschauerraum. Ich brauche dringend Bewegung.
Hungriges Geld
Seite 58: Einige Reihen lichten sich, man verlässt den Saal. Vielleicht, weil auf der Bühne gerade gesagt wurde, "Das Geld hat Hunger"?! Die ersten Zuschauer kommen mit Bier zurück in den Raum.
Seite 51: Massenexodus. Ich schließe mich an. Das Pausenfoyer ist voll mit Erholungssuchenden. Zeit für eine Zwischenbilanz. Die erste Besucherin, die ich anspreche, arbeitet bei einer Bank und gehört somit zur Gruppe der Betroffenen. Dreieinhalb Stunden Banker-Beschimpfung? Ihr reicht’s, sie wird das Theater vorzeitig verlassen. Bei den anderen geteiltes Echo: Die einen sind genervt von den vielen Text-Wiederholungen, andere fühlen sich gut unterhalten. Die dritten sehen sich ertappt: "Ich kam mir selbst so vor wie ein Schaf", sagt eine Zuschauerin.
Wummern und Schweben
Zurück im Zuschauerraum stelle ich fest, ich habe 15 Seiten versäumt! Also erst einmal orientieren. Aha! Man trägt inzwischen Pappmasken, Modell Obama, Modell Ackermann. Dazu wummernde Klänge und derwischartige Tänze. Die Hosennaht eines smarten Theater-Bankers ist im Getümmel geplatzt.
Seite 32: Der ultimative Angriff auf die Trommelfelle, riesige Eisenstangen knallen auf die Bühne. Dann – Erleichterung: Wunderbare Luftballons schweben lautlos in den Lüften. Aber ach, das stille Schweben dauert nicht lang. Schon haucht der erste Ballon mit einem lauten Krachen seine Seele aus.
Zwei Zöpfe
Seite 19: Meine Aufmerksamkeit erlahmt etwas. Jetzt nicht schlappmachen! Auch meine Nachbarn zeigen noch keine Schwäche!
Seite 2: Erschöpfung. Aber auch die Gewißheit, an einem ganz besonderen Theaterabend teilgenommen zu haben. "Steigen Sie von Ihrem hohen Ross!" ruft uns Elfriede Jelinek zu. Nein, dazu bin ich nun wirklich nicht mehr in der Lage.
Aber wie alle anderen springe ich auf und applaudiere – es war doch einfach grandios! Da hält Regisseur Stemann eine Damenperücke hoch, eine Ponyfrisur mit zwei Zöpfen… ja also… wenn das nicht… natürlich! Elfriede Jelinek. So weilt sie doch zumindest symbolisch unter uns.
Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Conny Paul