Saure und überdüngte Böden gut für die Luft
15. September 2011Hydroxylradikale (OH) nennen sich Verbindungen, die dafür sorgen, dass wir überhaupt saubere Luft atmen können. Sie bestehen aus einem Sauerstoff- und einem Wasserstoffatom. Radikale heißen sie, weil sie sehr reaktionsfreudig sind. Deshalb haben sie auch nur ein kurzes Leben. Denn kaum werden sie gebildet, reagieren sie auch schon wieder mit allen möglichen anderen Stoffen, auf die sie treffen - vor allem mit Schadstoffen.
Ulrich Pöschl, Geochemiker am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz bezeichnet diese Stoffe deswegen auch gerne als Waschmittel der Atmosphäre. Denn sie können allerhand aus der Luft herausholen: Zum Beispiel organische Stoffe wie Benzindämpfe oder das Treibhausgas Methan. Aber auch das hochgiftige Kohlenmonoxid, das bei unsauberen Verbrennungen entsteht, können OH-Radikale aus der Luft holen, indem sie durch eine Oxidation daraus Kohlendioxid machen.
Und bei industriellen Verbrennungsprozessen werden riesige Mengen Kohlenmonoxid freigesetzt. "Bereits in den Anfängen der Erforschung der Atmosphärenchemie haben sich deshalb die Wissenschaftler gefragt: 'Warum ersticken wir nicht längst alle?'" erklärt Pöschl. Auch viele andere Stoffe holen die Hydroxylradikale aus der Luft. Stickoxide, zum Beispiel, oxidieren zu Salpetersäure und Schwefeldioxid wird zu Schwefelsäure. Der Regen wäscht diese Säuren dann aus.
Die Suche nach dem HNO2
Wie wichtig die Hydroxylradikale sind, wussten die Forscher schon lange, aber nicht, woher die großen Mengen dieser OH-Radikale kommen, die nötig sind, um die riesige Menge an Schadstoffen in der Atmosphäre zu bewältigen. Hang Su, ein junger Wissenschaftler aus China, der mit Pöschl in Mainz zusammenarbeitet, hatte die entscheidende Idee: Es könnte doch etwas mit dem Stickstoffkreislauf zu tun haben. Denn es war bekannt, dass Hydroxylradikale aus Salpetriger Säure entstehen, wenn diese mit UV-Licht von der Sonne bestrahlt wird.
Obwohl sich die Säure aber unter Sonneneinstrahlung sehr schnell durch Photolyse zersetzt, bleiben noch immer mehr Moleküle der salpetrigen Säure in der Luft, als sich die Wissenschaftler durch ihre Rechenmodelle erklären konnten. "Wenn man es nachrechnet, kommt man darauf, dass es irgendwo eine sehr große Quelle für salpetrige Säure geben muss," erläutert Su.
Dünger als Quelle
Bis dahin hatten viele Forscher die in der Luft befindlichen Stickoxide als mögliche Quelle der salpetrigen Säure im Verdacht, konnten aber nicht beweisen, dass sie wirklich Ausgangsprodukte für Salpetrige Säure waren.
Su hingegen hatte eine ganz andere Idee: "Weil ja bereits sehr viel Stickstoff in Form von Nitriten im Boden ist, muss der Stickstoff gar nicht aus der Gasphase, also der Luft, kommen". Und er konnte zeigen, dass der Boden mit Salpetriger Säure, die aus Nitriten entsteht, völlig übersättigt ist. "Wenn der Boden aber übersättigt ist, sollte er auch diese Säure in die Luft abgeben können", schlußfolgerte der Wissenschaftler.
Die Nitrite im Boden sind giftig und deshalb unerwünscht. Sie entstehen vor allem dadurch, dass die Böden mit Ammonium-Dünger überdüngt sind. Sein Nachweis gestaltete sich dann vergleichsweise einfach. "Man nimmt einfach Erde, tut sie in eine Kammer, schließt sie und pumpt dann saubere Luft hinein. Und wenn die Luft Salpetrige Säure aufnimmt, dann weiß man, dass die Theorie stimmt", so Su.
Damit gelang es ihm, eine wichtige Lücke im bisher bekannten Stickstoffkreislauf zu schließen und das ganz ohne komplexe Theorie. Su reichten für seinen Nachweis zwei hinlänglich bekannte chemische und physikalische Regeln: Das Gasgesetz von Henry, welches besagt, dass der Anteil eines in einer Flüssigkeit gelösten Gases proportional zum Anteil des Gases in der Luft darüber ist, und das Grundprinzip, dass Säuren und Basen immer in einem Gleichgewicht stehen.
Der Boden als wässrige Lösung
Für ihr physikalisches Modell betrachten die Forscher den Boden so, als sei er eine Flüssigkeit. "Der Boden ist zwar ein sehr komplexes System mit vielen Komponenten, aber im Allgemeinen ist Boden auch feucht und hat einen gewissen Wassergehalt. Wir fanden heraus, dass sich das Verhalten des Bodens näherungsweise beschreiben lässt wie das Verhalten einer einfachen wässrigen Lösung", erläutert Pöschl das Prinzip.
Das, was diese wässrige Boden-Lösung an die Luft abgibt, scheint auf den ersten Blick gar nicht sehr viel zu sein: Nur eins von einer Milliarde Teilchen in der Luft ist salpetrige Säure. Aber in absoluten Zahlen reichen auch diese wenigen Teilchen aus, um allerhand reinigende Hydroxylradikale zu bilden; "und zwar einfach deswegen, weil Sie unter normalen Umgebungsbedingungen, wie hier im Raum, eine Konzentration von 10 hoch 19 Molekülen pro Kubikzentimeter haben", sagt Pöschl. "Das bedeutet immer noch, dass Sie 10.000 Millionen Teilchen der Salpetrigen Säure pro Kubikzentimeter haben. Das ist schon eine ganze Menge."
Puffer für Boden und Luft
Der jetzt entdeckte Teil des Stickstoffkreislaufs ist nicht nur gut für die Luft, weil er dort Schadstoffe bindet, sondern auch für den Boden. Denn wenn Überdüngung und saurer Regen zusammen kommen, wirkt dieser Mechanismus wie ein Sicherheitsventil, indem mehr Salpetrige Säure in die Atmosphäre abgegeben wird. Vor allem helfe die Entdeckung den Forschern aber, die Prozesse zwischen Boden und Luft besser zu verstehen. "In der Atmosphäre greifen hunderte und tausende Reaktionen in einander," meint Pöschl. Um genaue Vorhersagen machen zu können oder auch nur den Status quo zu verstehen, müsse man nicht nur qualitativ wissen, wer mit wem reagieren kann, sondern brauche auch "quantitativ das Wissen um die Konzentrationen der Substanzen, die diese Reaktionen beschreiben," so der Forscher.
Gerade die Bedeutung des Stickstoffkreislaufs für die Atmosphäre werde jedoch oft unterschätzt, meint Pöschl. Das liege daran, dass die öffentliche Diskussion zum Klimageschehen und zu den Treibhausgasen sich vor allem um das Kohlendioxid und das Methan drehe. Aber der Stickstoffkreislauf habe auch eine sehr große Bedeutung, "sowohl für den Klimawandel, aber noch viel weitergehender für die Funktion unserer Ökosysteme, nämlich in der Frage, wie wir überhaupt Landnutzung betreiben." Der Mensch beeinflusse den Stickstoffkreislauf nämlich um ein vielfaches stärker als den Kohlenstoffkreislauf, indem er große Mengen Dünger in den Boden einbringe, die er zuvor aus atmosphärischem Stickstoff und Wasserstoff herstellt.
Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Brigitte Osterath