Saudi Tour: Mit Radsport Image aufpolieren
4. Februar 2022Im "Winter Park" von Al Ula setzt hektisches Gerenne ein. Schwarz verhüllte Frauen sausen, die Schleier gebläht im Wind, zur Rennstrecke der Saudi Tour. Nicht die dürren Körper der Radprofis, die Tour de France-Ausrichter ASO zu dieser Rundfahrt ins Land lotste, sind allerdings ihr Ziel. Auf dem Profi-Parcours findet vielmehr ein Kinderrennen statt. Mit blitzenden Augen, die durch die schmale Textilaussparung hervorschauen, beobachten die Mütter das sportlichen Tun der eigenen Sprösslinge. Das Kinderrennen ist ein Begleitevent der Saudi Tour. Mohammed Hussein, Mitarbeiter des Fahrradherstellers Trek, hat es organisiert.
"24 Kinder im Alter von 9 bis 13 Jahren nehmen daran teil. Es sind Mädchen wie Jungen. Sie kommen aus Schulen aus Al Ula", sagt Hussein der DW. Alle zwei Tage organisiert er in ganz Saudi-Arabien Kinderrennen. An diesem Tag allerdings scheint manch etwas pummeliger Junge zum ersten Mal überhaupt auf einem Rad zu sitzen. Zusammenstöße durch Fahrfehler werden durch herbeieilende Eltern und Betreuer im letzten Moment verhindert. Einige Mädchen im Nachwuchspeloton bewegen sich ganz ungezwungen bewegten - ohne Schleier, ohne Kopftuch, nur mit Fahrradhelm.
Radsport als Teil der Vision "2030"
Mit Radsport wollen die heimischen Co-Veranstalter der Saudi Tour, das Sportministerium aus Riad und die "Royal Commission of Al Ula", unter anderem den Tourismus in der Region rund um die antike Gräberstadt Hegra ankurbeln. Das fünftägige Rennen, das am vergangenen Dienstag begann und am Samstag zu Ende geht, ist Teil der "Vision 2030": Der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman hat sich auf die Fahne geschrieben, Land und Gesellschaft modernisieren und die Wirtschaft unabhängiger vom Öl machen zu wollen.
"Saudi-Arabien zielt mit der 'Vision 2030' darauf ab, große internationale Events zu veranstalten. Wir wollen zeigen, dass wir dazu gewillt und auch fähig sind", sagt Hussam Al Khalifa vom Sportministerium. "Vor kurzem ging die Rallye Paris-Dakar bei uns zu Ende. Es gab gerade in Riad die Formula E. In einem Monat kommt wieder die Formel 1. Alle diese Events werden für die nächsten zehn Jahre in Saudi-Arabien stattfinden."
Gewaltige Investitionen in den Sport
Das ist nur ein Teil der saudischen Investitionen in den Weltsport. Auf mehr als 1,5 Milliarden Dollar schätzt die unabhängige Organisation Grant Liberty die Summe, die von den Machthabern in Riad in den Sport gepumpt wird. Dazu gehören neben den genannten Motorsport-Veranstaltungen auch Tennis-, Golf-, Box- und Schachevents, der spanische und der italienische Supercup im Fußball sowie jüngst die Übernahme des Premiere-League-Klubs Newcastle United. Das Engagement im Radsport war in der Liste von Grant Liberty noch gar nicht enthalten.
Saudi-Arabien folgt damit dem Weg der Nachbarländer. Katar organisierte schon von 2002 bis 2016 die Tour of Qatar und richtete als Höhepunkt die Rad-WM 2016 aus. Der Oman veranstaltet seit 2010 ein Profirennen, die Vereinigten Arabischen Emirate seit 2014 - jeweils in Zusammenarbeit mit den großen europäischen Rennorganisatoren ASO und RCS.
Von einer Konkurrenzsituation will der saudische Regierungsvertreter nicht reden. "Wir rivalisieren nicht, sondern wollen der Welt zeigen, wie schön die Länder hier sind", sagt Hussam Al-Khalifa. "Sport ist der beste Weg, zu kommunizieren. Jedermann liebt Sport. Wenn all diese Leute Wettkämpfe in Saudi-Arabien besuchen, bringt es ein gutes Image."
Vorwurf Sportswashing
Genau das sehen Kritiker allerdings als Problem. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sprechen auch im Fall Saudi-Arabiens von "Sportswashing": Mit der Imagepolitur durch den Sport solle von Menschenrechtsverletzungen abgelenkt werden. Ausblenden lässt sich die Verfolgung saudischer Oppositioneller nicht. Die Liste von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten die eingesperrt sind, ist weiterhin lang. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Ermordung des regimekritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 in Istanbul.
Für die Sportlerinnen und Sportler, die an Veranstaltungen in Saudi-Arabien teilnehmen, stellt sich die Frage, wie sie damit umgehen sollen. Formel-1-Pilot Lewis Hamilton fand seinen eigenen Weg: Der siebenmalige Weltmeister aus Großbritannien trug bei seinem Sieg im Großen Preis von Saudi-Arabien im vergangenen Dezember einen Helm in Regenbogenfarben, um ein Zeichen gegen sexuelle Diskriminierung im arabischen Raum zu setzen.
Aldag sieht Sportverbände in der Pflicht
Die Radprofis sind vorsichtiger. In Gesprächen mit Journalisten äußern sie sich lieber zur teilweise spektakulären Landschaft oder überrascht darüber, dass in den Hotels viele Frauen nicht in Burkas verhüllt seien. Vor direkter Kritik am Gastgeberland scheuen sie zurück. "Wir haben bei der Tour de France mal auf die "Black Lives Matter"-Bewegung hingewiesen. Aber Einigkeit in einem Feld von 100 Fahrern zu erzielen, ist nicht einfach", sagt der Australier Caleb Ewan, Sieger der ersten Etappe der Saudi Tour, der DW.
Rolf Aldag, Sportdirektor des deutschen Rennstalls Bora hansgrohe, sieht die teilweise noch sehr jungen Athleten mit öffentlichen Stellungnahmen zu politischen Fragen auch tendenziell überfordert: "Ich finde, es ist weniger die Aufgabe eines Radrennfahrers, der eine Nummer auf dem Rücken hat und mit einem Puls von 185 von A nach B fährt, hinter die Fassade zu gucken, als vielmehr die eines Journalisten."
Aldag nimmt auch die großen Sportverbände in die Pflicht, als Rahmenbedingung von Sportwettkämpfen auch die Einhaltung grundlegender Menschenrechte einzufordern: "Die großen Sportorganisationen senden halt immer die Signale. Wenn sie nicht sagen, dass etwas geändert werden muss, und sei es nur in kleinen Schritten, dann wird sich nichts ändern. Dann laufen alle nur mit. Die Initialzündung muss von oben kommen."
Aber auch den Sportlern kommt eine Aufgabe zu, wenn sie souveräne Akteure anstatt nur Komparsen in einem großen Imagespiel sein wollen. Lewis Hamilton hat es vorgemacht. Weder er noch sein Formel-1-Rennstall hätten irgendwelche Repressionen von saudischer Seite erfahren, sagte ein Sprecher des Mercedes-Teams der DW. Der Freiraum ist also da. Man muss ihn nur nutzen wollen.