Südkorea entdeckt Vereinigung neu
25. März 2014Die Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten ist auf der Halbinsel am 38. Breitengrad überraschend wieder zum Thema geworden. Bei einer Rede zum ersten Jahrestag ihres Amtsantritts kündigte Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye Ende Februar unerwartet "Vorbereitungen für eine Wiedervereinigung" an. Sie bezeichnete die Vereinigung als einen "Glücksfall", der eine neue Ära auf der Halbinsel einleiten werde. Dafür will sie im April eine ihr direkt unterstehende Kommission einrichten, die "systematische und konstruktive" Vorschläge ausarbeiten soll. Bisher hatte Südkorea die Möglichkeit einer Wiedervereinigung mehr oder weniger in die ferne Zukunft verschoben.
Der Hauptgrund waren die abschreckend hohen Kosten durch das Wohlstandsgefälle zwischen beiden Staaten: Südkoreas Wirtschaft ist pro Einwohner etwa 20 Mal so groß wie die Nordkoreas. Jetzt vertritt Frau Park plötzlich die gegenteilige These. "Die Rendite einer Wiedervereinigung könnte enorm groß sein", erläutert Professor Shin Chang-min, der das Wort vom "Glücksfall" kreierte.
Veränderungen in Pjöngjang
Das Umdenken in Seoul ist vermutlich durch die jüngsten Veränderungen in der Führung von Nordkorea und die neue Haltung gegenüber dem Süden ausgelöst worden. Im Dezember war Prinzregent Jang Song-thaek, als Beschützer und Onkel von Führer Kim Jong-un de facto die Nummer 2 des Regimes, hingerichtet worden. Zu Neujahr sprach sich der junge Machthaber für ein "günstiges Klima" mit Südkorea aus. Man werde jedem die Hand reichen, der sich wahrhaftig für die Wiedervereinigung einsetze. Bald darauf verständigten sich Nord- und Südkorea auf die ersten Familienzusammenführungen seit über drei Jahren. Trotz des Frühjahrsmanövers von südkoreanischen und US-Streitkräften fanden die Treffen statt.
Nach Gesprächen in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul berichtete kürzlich Ian Bremmer, Gründer der Beratungsgesellschaft Eurasia Group, dass die südkoreanische Regierung eine Wiedervereinigung eher früher als später erwarte und sich deswegen darauf vorbereiten wolle. Ihn selbst würde es nicht überraschen, wenn sich das Regime in Pjöngjang plötzlich selbst zerstören würde, sagte er der japanischen Finanzzeitung Nikkei. Eine Vereinigung der beiden Staaten würde dann folgen.
Ihrer ersten vagen Ankündigung wolle Frau Park bei ihrem Deutschland-Besuch in dieser Woche (ab 26. März) eine Blaupause für die koreanische Wiedervereinigung in Gestalt einer "Doktrin" oder "Deklaration" folgen lassen, heißt es in koreanischen Presseberichten. Möglicherweise wird Frau Park dafür ihren Besuch in Dresden wählen, wo der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl im Dezember 1989 fünf Wochen nach dem Fall der Mauer den DDR-Bürgern wirtschaftliche Hilfe und eine Zukunft im gemeinsamen Europa versprach. Seit vielen Jahren versucht Seoul durch einen politischen Dialog mit Berlin, aus der deutschen Wiedervereinigung zu lernen.
Dreistufiger Plan
Südkoreas Präsidentin tritt mit ihrer Wiederentdeckung der Vereinigung in die Fußstapfen ihres umstrittenen Vaters Park Chung-hee, der sich zum Diktator aufschwang und das südkoreanische Wirtschaftswunder organisierte. Park hatte 1972 die erste Annäherung der beiden koreanischen Staaten vollzogen. Seine Tochter folgt ihm nun mit einem dreistufigen Plan, der einen Mittelweg zwischen der Sonnenscheinpolitik von Kim Dae-jung und der Nicht-Kooperationspolitik ihres Vorgängers Lee Myung-bak versucht.
Erstens besteht die konservative Präsidentin auf der Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit und einem Verzicht Nordkoreas auf Atomwaffen. Zweitens will sie die humanitäre Hilfe ausbauen. Dazu hat Frau Park vorgeschlagen, mehr Familientreffen abzuhalten, da die meisten durch den Krieg getrennten Angehörigen nicht mehr lange zu leben haben. Nordkorea hat den Vorschlag zwar schnell abgelehnt, aber in der vom Norden gewünschten Wiederaufnahme der Touristenbesuche im Kumgang-Gebirge besitzt Südkorea einen starken Hebel für weitere Begegnungen zwischen den zerrissenen Familien.
Globale Unterstützung gesucht
Drittens will sich Frau Park um einen globalen Konsens für eine Wiedervereinigung der beiden Koreas bemühen. Nach ihren eigenen Angaben hat sie bereits mit den Präsidenten von Russland und China darüber gesprochen. Gerade China wird bislang nachgesagt, lieber eine Kim-Diktatur in Pjöngjang als eine Wiedervereinigung zu akzeptieren. Als Grund wird die Furcht der Führung in Peking genannt, im Fall eines geeinten Koreas stünden US-Truppen an der chinesischen Grenze.
"Wir müssen mit unseren eigenen Vorbereitungen für die Vereinigung beginnen", betont Professor Park Sang-bong, Experte für die deutsche Wiedervereinigung an der Myongji-Universität in Seoul und Yongin. Die Regierung sollte sich auf Maßnahmen konzentrieren, die Nordkorea zu Reformen und einer Öffnung bewegen. China müsse durch die Aussicht auf mehr politische Stabilität und einen Wirtschaftsboom in Korea zur Zustimmung bewegt werden, meint der Vereinigungsexperte.