Sittenpolizei im Iran - Nebelkerze für die Öffentlichkeit?
18. Juli 2023Mandana (Name von der Redaktion geändert) hat eigentlich gar keine Lust, auf die Straße zu gehen. Die 25-jährige Studentin lebt in der südiranischen Großstadt Shiraz. "Aber ich habe meine Meinung geändert", sagt sie, "ich habe gehört, dass Gascht-e Ershad zurück ist."
Gascht-e Ershad ist ein persisches Wort. Wörtlich übersetzt bedeutet es "Streife der Belehrung", im Westen bekannt als die "Sittenpolizei". Die Moralpolizei wurde 2005 gegründet. Ihre Aufgabe besteht überwiegend darin, Frauen zu ermahnen oder gar festzunehmen, die in der Öffentlichkeit kein Kopftuch tragen. Und ausgerechnet dieser Polizei will Mandana auf die Nerven gehen.
In der islamischen Republik ist das Tragen von Kopftüchern, Hidschab genannt, ein Muss für erwachsene Frauen. Kurz nach der Islamrevolution 1979 wurde die Pflicht eingeführt. Jedoch gilt nach den bisher schwersten landesweiten Protesten 2022, die der Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini auslöste, der Verzicht auf Kopftuch als ein Symbol des Widerstands. Viele machen mit.
So auch Mandana. Sie geht absichtlich an einer Polizeipatrouille vorbei, ohne Kopftuch. "Die Beamten standen einfach nur da und ermahnten mich verbal, meinen Kopf zu bedecken. Mehr nicht."
Staatliche Kampagne gegen Widersacherinnen
Mandana hat Glück. Die iranische Führung hat neulich eine Kampagne gestartet. Die Sittenpolizei ist wieder in der Öffentlichkeit präsent und setzt nun mit allen Mitteln die Kopftuchpflicht durch. Für das geistliche Oberhaupt des Lands, Ali Khamenei, und seine Hardliner in der Regierung wäre eine lockere Kleiderordnung in der Öffentlichkeit undenkbar. Sie sehen darin einen Fluch westlichen Lebensstils.
Am Sonntag (16.07.) bestätigte Saeid Montazeralmahdi, Sprecher der iranischen Polizeibehörde, dass Moralpolizisten sowohl mit Fahrzeug als auch zu Fuß unterwegs seien. Die Polizei werde Frauen, die kein Kopftuch tragen, zunächst verwarnen. "Diejenigen, die hartnäckig gegen das Gesetz verstoßen, werden an die Strafverfolgung übergeben", so Montazeralmahdi gegenüber der staatlichen Agentur IRNA.
Augenzeugen in Teheran und anderen Städten berichten vermehrt über Begegnungen mit der Sittenpolizei. Letzte Woche kursiert ein Video in den sozialen Medien, das zeigen soll, dass Dutzende Passanten versuchten, die Festnahme einer Frau ohne Kopftuch in der nordiranischen Stadt Rasht durch die Sittenpolizei zu verhindern. Ob die Rettungsaktion gelang, kann nicht unabhängig verifiziert werden.
"Ein gescheitertes Projekt"
"Das Regime im Iran ist fest entschlossen, die Kopftuchpflicht durchzusetzen", sagt Azadeh Kian-Thiebaut, Soziologin an der Université Paris Cité. "Es war eine der größten Errungenschaften der Revolution. Trotz öffentlichen Widerstands werden die Machthaber die Durchsetzung anders organisieren - oder wenn es sein muss - neue Instrumente entwickeln."
Neue IT-Technologien und die künstliche Intelligenz helfen seit Monaten, Frauen mit Überwachungskamera zu identifizieren, die keine Kopfverschleierung tragen. Einkaufszentren, Cafés und Restaurants droht die Zwangsschließung, wenn sie Frauen ohne Kopftuch Zugang gewähren. Taxifahrer dürfen keine unverschleierten Frauen befördern.
Kian-Thiebaut glaubt dennoch, dass all die Maßnahmen Frauen nicht davon abhalten würden, sich dem Gesetz zu widersetzen. "Die Hidschab-Pflicht ist ein gescheitertes Projekt", ist sie überzeugt. "Die iranischen Frauen feiern ihren Sieg. Ihre Männer haben sie unterstützt."
Nebelkerze für die Öffentlichkeit
Zwar gibt es im Iran selbst auch kritische Stimmen zu der strengen Kleiderordnung. Jede Frau solle selbst entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen will oder nicht. Doch die Forderung bleibt unerhört und wird im politischen Leben marginalisiert.
Die öffentliche Agenda im Iran wird derzeit dominiert von steigenden Preisen, hoher Arbeitslosigkeit und grassierender Korruption. Für all die Probleme hat die Regierung keine wirklich guten Lösungsansätze. Es sei offensichtlich, dass es an allgemeiner Unterstützung für das derzeitige Regime fehle und der Iran sich "in einem andauernden Zustand der Unruhe und Rebellion" befinde, so Kian-Thiebaut.
"Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Rückkehr der 'Sittenpolizei' mit den Bemühungen zusammenhängt, verschiedene Korruptionsfälle zu vertuschen", schreibt Homayoun Kheyri, ein in London lebender Journalist, auf seinem Twitteraccount in Farsi. "Die Anhänger dieser unfähigen Regierung werden finanziell und organisatorisch vom religiösen Establishment unterstützt, das in der Vergangenheit das Land destabilisiert hat. Auch die Strafverfolgungsbehörden sind finanziell eingeschränkt. Nur eine Geldspritze ermöglicht es ihnen, solche Großaktionen zu organisieren."