Russland Opposition
12. Dezember 2011Moskau kommt nicht zur Ruhe. Schon wieder versammelten sich an diesem Montag (12.12.2011) tausende Menschen zu Demonstrationen in der russischen Hauptstadt. Diesmal sind es Anhänger der Regierungspartei "Geeintes Russland". Sie trommelten und schwenkten russische Nationalfahnen für Wladimir Putin, um zu zeigen, dass der Ministerpräsident und designierter Präsidentschaftskandidat nicht nur Gegner, sondern auch viele Anhänger hat.
Putin und Medwedew geben sich unbeeindruckt
Noch immer steht Russland unter dem Eindruck der Demonstration vom Wochenende. "Der Putin-Administration muss jetzt sehr klar sein, dass große Teile der Bevölkerung nicht mehr mit ihnen sind", sagt Hans-Henning Schröder, Leiter der Russland-Forschungsgruppe bei der Stiftung "Wissenschaft und Politik" in Berlin. Zehntausende hatten am vergangenen Samstag an der Kundgebung "Für faire Wahlen" auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz teilgenommen - so viele wie seit über zehn Jahren nicht mehr. Sie forderten eine Wiederholung der Parlamentswahl vom 4. Dezember, bei der nach offiziellen Angaben die Kreml-Partei "Geeintes Russland" rund 50 Prozent der Stimmen und damit eine absolute Mehrheit bekommen haben soll. Die Demonstranten zweifeln an diesem Wahlergebnis und werfen den Behörden massive Fälschungen vor.
Der Kreml weist Manipulationsvorwürfe zurück. "Ich bin weder mit den Thesen, noch mit den Forderungen der Demonstranten einverstanden", schrieb der russische Präsident Dmitri Medwedew am Sonntag auf seiner Internetseite im sozialen Netzwerk Facebook. Auch Ministerpräsident Putin zeigte sich von den Kundgebungen wenig beeindruckt. Zuvor hatte er den Westen und vor allem die USA beschuldigt, mit ihrer Kritik den Demonstranten ein "Signal" gegeben zu haben.
Der Kreml will die Proteste kanalisieren
Wie geht es weiter? Das ist die zentrale Frage, über die in Russland in diesen Tagen am meisten diskutiert wird. "Es darf nicht sein, dass die Kundgebung am Samstag als eine einmalige Aktion zum Dampf ablassen in die Geschichte eingeht". So oder ähnlich lauten die Kommentare in den Internetforen.
Eine Wiederholung der Parlamentwahl werde es nicht geben, sagt Hans-Henning Schröder von der Stiftung "Wissenschaft und Politik". Der Kreml werde auf die Proteste "flexibel" reagieren. Seine Prognose: "Es wird eine Untersuchung geben, es werden eine Reihe von Missbräuchen aufgedeckt werden und es wird vielleicht punktuell nachgewählt".
Außerdem werde der Kreml versuchen, die Proteststimmung zu kanalisieren, sagt der Russland-Experte. Als Beispiel dafür nannte Schröder die Ankündigung des ehemaligen russischen Finanzministers Alexej Kudrin, eine neue rechtsliberale Partei gründen zu wollen. "Das kündigt er natürlich nicht von sich aus an, sondern das ist ein Teil der Strategie, mit der die Kreml-Administration jetzt versucht, diesen Unwillen aufzufangen", meint Schröder. Kudrin galt jahrelang als Putin-Vertrauter und wurde vor wenigen Wochen entlassen, nachdem er sich kritisch über Präsident Medwedew geäußert hatte.
Kudrin solle nun die Rolle übernehmen, die der Kreml ursprünglich für den russischen Milliardär Michail Prochorow vorgesehen hatte, glaubt Schröder. Prochorow war im Sommer zum Vorsitzenden einer rechtsliberalen Partei "Gerechte Sache" gewählt worden. Beobachter vermuteten, der Geschäftsmann habe die Stimmen der Unzufriedenen in der russischen Mittelschicht binden sollen. Doch dazu kam es nicht. Prochorow trat wenige Monate vor der Parlamentswahl zurück und beschuldigte seine Partei, eine "Marionette" des Kremls zu sein. Der geschasste Finanzminister Kudrin könne nun erneut versuchen, "das Modell Prochorow" umzusetzen, mutmaßt der Russland-Experte Schröder.
Auch Prochorow meldete sich an diesem Montag zurück. Der drittreichste Mann Russlands kündigte an, bei der Präsidentenwahl am 4. März 2012 antreten zu wollen. Nun wird darüber spekuliert, ob das ein neuerliches Manöver des Kremls sein könnte, um der politischen Debatte die gewünschte Richtung zu geben.
Kein Anführer, kein Team
Fest steht, dass die aus der städtischen Mittelschicht entstandene neue Oppositionsbewegung in Russland, noch keine Anführer hat. "Ich sehe nicht, dass sich aus der Menge heraus Führerpersonen abzeichnen werden", sagt Hans-Henning Schröder. Das unterscheide die aktuellen Proteste in Russland von der so genannten "Orangenen Revolution" bei der Präsidentenwahl in der Ukraine 2004. Damals habe es Anführer aus Teilen der ukrainischen Elite gegeben. "Wir haben in Russland eine geschlossen Elite, da ist sozusagen keiner rausgebröckelt und lässt sich in Stellung bringen gegen den Kreml", meint der Berliner Osteuropa-Experte.
Auch Teilnehmer der Moskauer Kundgebung vom Samstag sehen das ähnlich. Es gebe zwar bekannte Oppositionspolitiker wie den ehemaligen Vize-Regierungschef Boris Nemzow, bisher konnte er jedoch keine großen Teile der Protestbewegung mobilisieren. Als einziger Anführer, der dem Kreml erfolgreich die Stirn bieten könnte, wird von vielen Kundegebungsteilnehmern immer wieder der ehemalige Ölmagnat und Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski genannt. Doch der sitzt seit Jahren in Haft.
Der russischen Opposition fehle derzeit nicht nur eine starke Persönlichkeit an der Spitze, sagt Schröder, es fehle auch "ein Team, das diesen Drive der Bewegung aufnimmt und ihn zur Politik macht". Vieles werde nun davon abhängen, ob es weitere Aktionen wie am Samstag geben wird. Die nächste große Kundgebung "Für faire Wahlen" ist für den 24. Dezember geplant.
Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Bernd Johann