Russische Revolution im Museum
23. Oktober 2017Lenin ist schon da. Seine überlebensgroße eiserne Statue dominiert das Foyer des Deutschen Historischen Museum in Berlin. Sein Wert als Fotomotiv wird schnell erkannt. Chinesische Touristen schießen eifrig Fotos, lächelnd. Ein ähnlich unverkrampftes Verhältnis zum Revolutionsführer sucht man in weiten Teilen des eurasischen Kontinents vergeblich. Putins Verhältnis zu Lenin ist frostig, wenn nicht eisig.
Die ganze Revolution passt nicht in das Narrativ von Putins Russland, sagt der Historiker Jan Claas Behrends vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. "Unter Putin wurde der Kult um den Großen Vaterländischen Krieg [im Zweiten Weltkrieg, Anmerkung der Redaktion], so groß, dass er fast keine anderes Gedenken neben sich duldet." Der Umgang Russlands mit der Revolution in der Ukraine 2014 oder dem Arabischen Frühling 2010 habe gezeigt, dass Russland solche Umstürze ablehnt. "Man hat in Russland ein Problem mit dem Phänomen Revolution an sich und deswegen möchte man das auch nicht so richtig feiern."
Museale Revolutionswirren
Wenn auch das Deutsche Historische Museum nicht für offizielle Gedenkpolitik zuständig ist: Das Museum versteht sich als Ort der "Aufklärung und Verständigung über die gemeinsame Geschichte von Deutschen und Europäern". Wie bei der Kolonialismus-Ausstellung im vergangenen Jahr, habe sich die Idee für diese Schau während der Konzeption der großen Ausstellung zum Ersten Weltkrieg entwickelt, erklärt die Kuratorin Kristiane Janeke. "Es geht uns darum, die Besucherinnen und Besucher von der Relevanz der Russischen Revolution für den Verlauf der Geschichte im 20. Jahrhundert zu überzeugen. Die Folgen der Revolution sind zentral für das Verständnis des 20. Jahrhunderts und damit auch für die deutsch-deutsche Geschichte."
Begrüßt und verabschiedet wird der Besucher in einem weißen Raum, in dem über die Bedeutung der Russischen Revolution sinniert werden darf. Die Kernausstellung führt an dunkelgrauen Wänden entlang im Zickzackkurs durch die Geschichte der Revolution. Relativ viel Platz nehmen die Vorgeschichte des zaristischen Russlands, die Vorboten und der Erste Weltkrieg ein, bevor es ans revolutionäre Kerngeschehen geht: Die Machtübernahme der Bolschewiki, die in der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober 1917 nach dem damals in Russland gültigen julianischen Kalender begann. Nach dem in weiten Teilen Europas geltenden gregorianischen Kalender war es der 7. November, der später als Revolutionstag pompös gefeiert wurde. Am 26. Oktober wurde die Machtübernahme im zweiten Allrussischen Sowjetkongress durch drei Umsturzdekrete legitimiert. Doch schon 1918 rutschte das Land ab in einen blutigen Bürgerkrieg, der bis 1922 andauerte.
Der Rote Oktober in Europa
Nicht nur dass das internationale Machtgefüge sich durch die Gründung der Sowjetunion grundlegend änderte. Nach der Oktoberrevolution kam es zu großen Migrationsströmen, es entstanden neue unabhängige Staaten wie Polen, Litauen, Lettland, Estland und Finnland. Die Reaktionen anderer Länder reichten von Begeisterung bis Angst und Ablehnung. Der britische Historiker Eric Hobsbawm sieht die Revolution von 1917 in seinem Standardwerk zur Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts "Zeitalter der Extreme" als grundlegendes Ereignis für das "kurze 20. Jahrhundert": "Sie war ein ebenso zentrales Ereignis, wie es die Französische Revolution für das 19. Jahrhundert gewesen war. [...] Die Oktoberrevolution brachte die gewaltigste Revolutionsbewegung der modernen Geschichte hervor." Die Ausstellung thematisiert die Auswirkungen in sechs europäischen Ländern, Deutschland, Polen, Italien, Frankreich, Großbritannien und Ungarn.
"Im Vergleich ist das Interesse in Deutschland an dem Thema noch relativ groß, aber ich sehe in vielen anderen Ländern nur noch ein sehr geringes Interesse", meint Jan Claas Behrends. Mit dem Niedergang der großen kommunistischen Parteien in Europa, sei auch das Feiern und Gedenken der kommunistischen Ideen vielerorts verschwunden. "Als europäisches Ereignis wird das Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs nächstes Jahr viel bestimmender sein", so Behrends Einschätzung. Eine ganz andere Art von Gedenken finde jedoch dort statt, wo vor allem die Opfer der Russischen Revolution und der in ihrem Zuge entstandenen kommunistischen Staaten thematisiert werden. Gefeiert werde die Revolution kaum noch.
Das Erbe der Oktoberrevolution in Deutschland
Die Signale aus Russland wurden hauptsächlich dort gehört, wo bereits Arbeiterorganisationen und sozialistische Bewegungen operierten. Auch in Deutschland: Im November 1918 wurde in Berlin die Republik ausgerufen - aber nur eine Minderheit wollte den Staat nach russischem Vorbild in eine Räterepublik umwandeln. Die Kommunistische Partei Deutschlands, gegründet Ende 1918, verfolgte eine revolutionäre Umgestaltung - erst recht nach der Ermordung der KPD-Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar 1919.
Doch bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 wurde die parlamentarische Demokratie bekräftigt, wenn auch die ideologischen Grabenkämpfe anhielten. "Eine der Folgen, die wir im konkreten politischen Alltag heute noch spüren, ist die Spaltung der Linken in das, was sich heute Linkspartei nennt - damals KPD - und SPD", sagt Behrends. "Diese Spaltung hat sich im Zuge der Russischen Revolution auch in Deutschland vollzogen."
Im Spiegel der Kunst
Die Historiker hätten in diesem Jahr viel diskutiert und sich die Frage gestellt, ob nicht viele der wesentlichen Fragen der Revolutionsjahre eigentlich noch offen und unbeantwortet seien, berichtet Jan Claas Behrends, der 2017 nicht nur viele Veranstaltungen zum Thema gemacht hat, sondern auch einen großen Sammelband mitherausgegeben hat.
Der Fülle der unbeantworteten Fragen nähert sich die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum auch mit einer Auswahl von Zitaten, zum Beispiel von Hannah Arendt: "[Die Russische Revolution] hat erst eine unvergleichliche Hoffnung in die Welt gebracht, um die gleiche Welt in eine umso tiefere Verzweiflung zu stürzen."
Außerdem stellen die Ausstellungsmacher drei zeitgenössische Kunstwerke ans Ende der Betrachtungen: eine Skulptur von Alexander S. Kosolapov, ein Triptychon von Werner Schulz und ein Gemälde von Georg Baselitz, die zeigen: Der eiserne Lenin ist gewichen.
Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt bis zum 15. April 2018 die Ausstellung "Umsturz 1917. Revolution. Russland und Europa".