Rundgang durch Wagners private Gefilde
26. Juli 2015Die 70-jährige Nike Wagner, Richard Wagners Urenkelin, hat sich als Dauerleihgabe für das neu eröffnete Wagner-Museum angeboten. "Die letzten Wahnfried-Kinder erklären sich hiermit bereit, Teile des Museums zu werden", sagte sie am Sonntag in ihrer bissigen und unterhaltsamen Festrede zur Neueröffnung des Museums. "Es ist ja so wenig Originalmobiliar erhalten."
Ihre Rede enthielt viele Spitzen gegen die Stadt Bayreuth, das "große Ego des Museumsdirektors" und den anderen Zweig der Familie Wagner, zu der die Festspiel-Chefinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier zählen. Nike Wagner erinnerte vor allem daran, dass das Haus einst das Zuhause einer Familie war, "eine Villa Kunterbunt".
Ein Rundgang durch die neue Villa
Was hat sich im neuen Wagner-Museum verändert? Der Charme der alten Räume ist hin, denn es gibt weniger Exponate und weniger Informationen - das werden die Einen sagen. Die Anderen werden erwidern: Dies ist eine echte Multimedia-Ausstellung, die den Besucher dennoch nicht erschlägt. Man verlässt sie erneuert, nicht erschöpft.
Wie bei allen Aspekten rund um Richard Wagner und die Bayreuther Festspiele wird es sicher auch um das Richard Wagner-Museum hitzige Diskussionen geben. 15 Jahre hat es von der Idee bis zur Fertigstellung des neuen Museums gedauert, drei Jahre haben die Bauarbeiten gedauert, Kosten von 20 Millionen Euro sind entstanden. Es gibt jetzt eine doppelt so große Ausstellungsfläche und ein erweitertes unterirdisches Archiv. Eröffnet wird das Museum am Sonntag, einen Tag nach dem Auftakt der diesjährigen Festspiele.
Wagner-Museum in drei Gebäuden
Die gesamte Museumsanlage besteht jetzt aus drei Teilen. Ein Neubau präsentiert die Festspielgeschichte nach dem Tod Richard Wagners. Im Siegfried-Wagner-Haus ist eine Dauerausstellung untergebracht. Dort werden insbesondere die Beziehungen der Familie Wagner zum Nationalsozialismus thematisiert. Schließlich die Ausstellung in der Villa Wahnfried selbst. Sie ist den Jahren gewidmet, in denen Richard und Cosima Wagner dort lebten.
"Das Museum ist wie ein Eisberg", sagt Sven Friedrich, Direktor des Richard-Wagner-Museums: "Den größten Teil der Baukosten sieht man nicht. Er ist durch die Klimaanlage und die Baumaßnahmen zur Barriere-Freiheit entstanden sowie durch die unterirdische Anlage. Die Kosten für das Museum selbst betrugen nur zwei Millionen Euro."
"Wir wollten kein Disneyland"
Auf den ersten Blick könnte man glauben, dass die weißen Decken, die über vielen der Möbelstücke in der Villa Wahnfried hängen, zur Eröffnung wohl noch abgenommen werden. Doch weit gefehlt: Es soll bewusst so aussehen, als ob die Wagners gerade auf Reisen sind, ihre Möbel mit weißen Stoffdecken überzogen zurückgelassen haben und jederzeit zurückkehren könnten.
"Wir wollten den Originalen keine falschen historisierende Stücke hinzufügen. Das hätte sie entwertet. Wir wollten kein Disneyland hier schaffen", erklärt Sven Friedrich diesen ungewöhnlichen museumspädagogischen Ansatz. Wer das frühere Wagner-Museum kennt, das hier von 1976 bis 2012 existierte, wird einzelne Gegenstände, Bilder und vor allem die Infotafeln vermissen. "Nur die wertvollsten Stücke werden ausgestellt", sagt Friedrich. Die fehlende Information auf den Wänden und in Bildunterschriften werde jetzt durch Texte und Bilder auf mobilen Endgeräten ersetzt, die den Besucher von Raum zu Raum begleiten, erklärt er.
Vielfältiges Multimedia-Angebot
Neu ist auch eine interaktive Partitur: Während man in dem großen leeren Buch blättert, werden Bilder auf die Seiten projiziert, die den Kompositionsprozess erklären sollen. Ebenfalls neu sind Sitzreihen, auf denen man mit Kopfhörern seinen Lieblingsaufnahmen lauschen oder auch ganz neue kennenlernen kann - es stehen Hunderte Aufnahmen zur Auswahl. Zum Multimedia-Angebot gehört darüber hinaus ein kleines Kino.
Und die Ausstellung im Siegfried-Wagner-Haus? "Welche Ausstellung?" könnte man fragen. Das Gefühl in den leeren, dunklen holzvertäfelten Zimmern ist zunächst einmal erdrückend. Der 30er-Jahre-Look stammt noch aus der Zeit von Winifred Wagner, der Schwiegertochter des berühmten Komponisten. Sie hatte die Festspiele von 1930 bis 1944 geleitet.
Verstrickungen und Vereinnahmungen
Winifred Wagner war eine enge Freundin Hitlers, seit 1926 Mitglied der NSDAP. Immer wieder war Hitler zu Gast in der Villa Wahnfried. Die Nationalsozialisten versuchten stets Person und Werk des Komponisten zu vereinnahmen. Richard Wagners antisemitische Tendenzen begünstigten dies. "Die Auseinandersetzung mit der Ambivalenz in Person und Werk des großen Künstlers steht stellvertretend für die Herausforderung im Umgang mit unserer Kulturtradition", sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Berlin. "Das neue Richard-Wagner-Museum veranschaulicht dies eindrucksvoll und würdigt gleichzeitig die zeitlose Modernität der Kunst Wagners im 21. Jahrhundert."
Im Siegfried-Wagner Haus trifft man jedoch kaum auf Exponate. Stattdessen hört man eine Sprecherstimme. Es sind Tonaufnahmen, die vom dunkelsten Kapitel der Festspiel-Geschichte erzählen. Weil es nichts gibt, was das Auge nach oben lenken könnte, wandert es nach unten - zu Monitoren, die auf dem Boden stehen. Sie zeigen, passend zur Sprecherstimme, eine Kollage aus historischem Bildmaterial, Texten und Videos.
Komplizierter Sachverhalt gut aufgearbeitet
Umso länger man darüber nachdenkt, erscheint das sinnvoll. Die Pervertierung der Kunst Richard Wagners durch die Ideologie der Nazis ist ein abstraktes Thema, das ohne die historischen Zusammenhänge, nur mit Gegenständen allein, schwer zu erfassen wäre. Auch auf die Auseinandersetzung von Philosophen und Schriftstellern wie Friedrich Nietzsche und Thomas Mann mit Richard Wagner geht die Ausstellung ein.
Der Neubau im dreigliedrigen Museum wurde vom Berliner Museumsarchitekten Volker Staab entworfen. Große Teile befinden sich unter der Erde. Neben den Räumen, die die Geschichte der Bayreuther Festspiele nach dem Tod von Richard Wagner darstellen, ist das National-Archiv der Wagner-Stiftung dort untergebracht. Zum Bestand dieses weltweit wichtigsten Archivs, das sich mit Wagner beschäftigt, gehören die Originalhandschriften und die Briefkorrespondenz des Komponisten.
Einiges bleibt noch zu tun…
Die Aufarbeitung der Bestände wird das nächste große Projekt des Richard Wagner-Archivs, das über einen nur kleinen Personalstab verfügt. So ist bisher eine kritisch-wissenschaftliche Ausgabe der Briefe von Richard und Cosima Wagner immer noch nicht in Sicht, bemerkt Sven Friedrich.
Ist das neue Museum nun insgesamt gelungen? Zu dieser Beurteilung gehört auch der kritische Blick auf die Multimedia-Exponate. Und der fällt kontrovers aus - neben den antiken Möbeln fehlen die einst vertrauten Exponate. Der Besucher trifft jetzt auch auf einen Museumsshop sowie eine Cafeteria in Wagners "heiligen Hallen". Die Zeiten ändern sich. Auch in Bayreuth.