1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rundfunk in Serbien: Ohne neues Personal keine Vergangenheitsbewältigung

3. August 2006

Empörung herrscht bei Journalistenverbänden und Medienexperten in der Vojvodina. Der Grund ist die neu gewählte Intendantin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – und ihre Vergangenheit.

https://p.dw.com/p/8tqS
Führungskraft mit dunkler Vergangenheit?

Journalistenverbände und Fachleute haben die Wahl von Dina Kurbatvinsky Vranesevic zur Intendantin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der serbischen Provinz Vojvodina, RTV Novi Sad, scharf kritisiert: Sie sei nichts anderes als eine Altlast aus der Milosevic-Ära. Die Kritiker erinnerten daran, dass Frau Kurbatvinsky Vranesevic zu Beginn der neunziger Jahre Mitglied des Führungsteams im „Rundfunk Novi Sad“(RTV Novi Sad) war. Zu dieser Zeit war RTV Novi Sad dem von Slobodan Milosevic kontrollierten Rundfunk Serbiens (RTS) angeschlossen worden. Im Programm wurden damals Hass und Zerstörung propagiert.

Der Medienexperte Rade Veljanovski sagte DW-RADIO, diese Wahl sei bedauerlicherweise zu erwarten gewesen, weil die zuständigen Institutionen nicht unabhängig seien. Der Rat der Rundfunkvertriebsagentur (RAA), dem zuständigen Aufsichtsgremium, wird vom Parlament gewählt. Dieser Rat ernennt wiederum die Verwaltungsräte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. „Wenn der Rat der Rundfunkvertriebsagentur solche Verwaltungsräte in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Vojvodina ernannt hat und die Expertenvorschläge der Medienorganisationen ausgeschlagen hat, die im übrigen hervorragend waren, dann ist es kein Wunder, dass solche Intendanten gewählt werden“, so Veljanovski.

Langwieriger Prozess

Dies verstoße gegen die Interessen der Bürger in der Vojvodina und somit auch gegen das öffentliche Interesse. Veljanovski zufolge ist die Schaffung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Ländern wie Serbien sehr langwierig. Daher müssten sich die Journalistenverbände, Nicht-Regierungsorganisationen und Fachleute weiterhin einsetzen und vor allem der Bevölkerung erklären, was öffentlich-rechtlicher Rundfunk und öffentliches Interesse im Bereich Medien bedeute. Es könne keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben, wenn die Bevölkerung keinen Bedarf danach verspüre. Dergleichen könnte in westlichen Ländern nicht geschehen, meint Veljanovski. „Ich erinnere nur an Großbritannien, wo Margaret Thatcher die BBC privatisieren wollte. Darüber wurde dann auf einem Referendum entschieden. Dabei hat sich eine überzeugende Mehrheit dafür entschieden, dass die BBC öffentlich-rechtlich bleibt und sich über Gebühren finanziert. So haben die Briten gezeigt, dass sie damit zufrieden waren, wie ihr öffentliches Interesse wahrgenommen wurde.“

Vom Musterknaben zum Bittsteller

Mitarbeitern vom „RTV Novi Sad“ zufolge erhält der Sender nicht ausreichend Geld aus Belgrad. Laut Gesetz stehen RTV Novi Sad 70 Prozent der Rundfunkgebühren zu, die aus der Vojvodina stammen. Bisher sei aber nur ein Drittel der eigentlich zu erwartenden Summe auf den Konten des Senders eingegangen. Bevor RTV Novi Sad 1993 Teil des von Milosevic dominierten serbischen Rundfunks RTS wurde, fiel ihm ein so hoher Prozentanteil der Rundfunkgebühren zu, dass er an dritter Stelle in Europa stand – gleich hinter Dänemark und Westdeutschland. RTV Novi Sad war einmal die finanzstärkste Anstalt des jugoslawischen Rundfunks. Der Sender verfügte über das modernste Gebäude, war technisch sehr gut ausgestattet und verfügte ebenfalls über ein sehr gutes Sendeanlagennetz.

Alle Hoffnungen zerschlagen?

Nach der Gleichschaltung mit RTS wurde RTV Novi Sad zum verlängerten Arm von Milosevics Kriegspropaganda und beteiligte sich somit indirekt an der Zerstörung von Vukovar, Slawonien und dem Donaugebiet Baranja. Danach wurde RTV Novi Sad geplündert und schließlich durch die NATO-Luftangriffe 1999 auch zerstört. Die demokratische Wende 2001 ließ hoffen, dass dieser Sender sich doch noch erholt und zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Vojvodina wird. Mit der neuen Intendantin, so die Befürchtungen der Kritiker, besteht dazu nun keine Hoffnung mehr.

Verantwortung auf höherer Ebene

Beim RTS in Belgrad sieht die Lage nicht besser aus. Der Verwaltungsratsvorsitzende Niksa Stipcevic wurde vom Parlament gewählt. Der Intendant, Aleksandar Tijanic, wurde ebenfalls von der Politik eingesetzt. Für diese Verhältnisse beschuldigen Journalistenverbände, Nicht-Regierungsorganisationen und internationale Organisationen wie die OSZE oder der Europarat den Rat der zuständigen Rundfunkvertriebsagentur (RAA). Dieser sei kein unabhängiges Gremium sei, weil er vom Parlament gewählt werde.

Veto des Präsidenten

Kürzlich billigte das Parlament in einem Eilverfahren Änderungen des Rundfunkgesetzes. Demnach soll künftig zusätzlich die Regierung die Finanzierung der RAA billigen. Auch der Rat hat mehr Rechte erhalten. So kann er Mitglieder suspendieren und somit die Zusammensetzung des Rates verändern. Ferner wird es ihm erlaubt, gleich nach Beschlussfassung einen Sender zu schließen oder seine Arbeit zu unterbrechen.

Das Gesetz musste jedoch noch vom Präsidenten Serbiens Boris Tadic gegengezeichnet werden, was er aber Ende Juli verweigerte und den Gesetzesvorschlag ins Parlament zur Debatte einreichte. Seinen Schritt begründete Tadic als ehemaliger Informationsminister damit, dass er die Freiheit der Medien und die Demokratie verteidigen wolle. Damit habe er ferner den Abgeordneten in Anbetracht dessen, dass es keine Debatte über den Gesetzesvorschlag gab, ermöglicht, die Meinung der relevanten Fachverbände und internationalen Organisationen einzuholen und ihre Entscheidung zu überdenken.

Dinko Gruhonjic, Novi Sad

DW-RADIO/Serbisch, 29.7.2006, Fokus Ost-Südost