Portrait Mukasarasi
17. Dezember 2011Godeliève Mukasarasi hat einen langen Atem. Seit fast zwei Jahrzehnten setzt die Mittfünfzigerin sich für die Belange von Witwen und Waisen in Ruanda ein. Sie kämpft dafür, ihnen nach dem Völkermord von 1994 neue Perspektiven zu eröffnen. Mukasarasi hat den Völkermord überlebt. Auch sie hat Angehörige verloren – doch den Mut verloren hat sie nie. "Ich schöpfte Mut aus meinem Gelübde", erzählt sie. "Ich hatte mir geschworen: Wenn meine Kinder überleben, dann werde ich handeln, dann werde ich ein gutes Werk für unglückliche Menschen tun. Diese Kraft ist es, die mich bis heute handeln lässt."
Kampf für das Ansehen in der Gesellschaft
So kam es, dass Mukasarasi, die vor dem Völkermord in einem Bildungszentrum arbeitete, Ende 1994 die Organisation SEVOTA gründete. Das steht für "Solidarität mit Witwen und Waisen in der Arbeit und Selbstförderung". Hier können betroffene Frauen und Kinder einander unterstützen und aus der Gemeinschaft neues Selbstvertrauen gewinnen. Eine entscheidende Voraussetzung auch für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, betont Mukasarasi. Wenn man sich selbst positiv betrachte, sehe auch die Gesellschaft einen so. "Du magst verletzlich sein, aber wenn du dich selbst für deine Zukunft einsetzt, wirst du nicht mehr so gesehen, weil du Verantwortung trägst für dein Leben und in der Gemeinschaft."
Mindestens 250.000 Frauen sind Schätzungen zufolge während des Völkermords vergewaltigt worden, viele davon haben in der Folge Kinder zur Welt gebracht. "Kinder des Hasses" nennt man sie in Ruanda. Eine ständige Erinnerung an Geschehnisse, die man lieber vergessen möchte. Zusammen mit dem Verein "Kanyarwanda" veranstaltet SEVOTA seit 2006 regelmäßige Frauenforen, die solchen Frauen und ihren Kindern einen geschützten Raum für Austausch und psychotherapeutische Arbeit bieten.
Indem sie lernen, sich selbst und ihre Kinder wertzuschätzen, können die Frauen auch in die Öffentlichkeit gehen und ihre Rechte einklagen. Mukasarasi erzählt vom neuen Selbstbewusstsein dieser Frauen, die auch in Radioprogrammen von ihrer Situation berichteten. Sie würden von anderen ausgelacht: 'Du traust dich, zu sagen, dass du eine Hure warst, die Frau eines Milizen'. Und diese Frauen hätten dann geantwortet: 'Ja, ich traue mich, weil sonst niemand davon spricht, und das muss sich ändern'. Die Gesellschaft müsse die Vergewaltigungsopfer anders wahrnehmen und bereit sein, diese Kinder anzunehmen.
Große Erfolge - doch die Arbeit geht weiter
Weil sie nicht geschwiegen haben, konnten diese Frauen viel erreichen. Am Kriegsverbrechertribunal für Ruanda in Arusha wurde Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Godeliève Mukasarasi hat für ihre Arbeit mit SEVOTA bereits mehrere Preise erhalten, zuletzt den "Human Rights International - Preis für Menschenrechte". Sie freut sich über die Fortschritte, doch sieht sie sich noch nicht am Ziel. Sie hält etwa die traditionellen Dorfgerichte, genannt Gacaca, nicht für ausreichend. "Die Fälle wurden vor den Gacaca-Gerichten verhandelt. Doch es gab keine Entschädigung. Ohne Entschädigung kann man nicht von Gerechtigkeit sprechen." Eine Entschädigung, wenn sie auch symbolisch bleibt, würde dabei helfen, dass diese Frauen sich selbst versorgen und so eine aktivere Rolle in der ruandischen Gesellschaft spielen können. Während die Gacaca-Gerichte und auch das internationale Kriegsverbrechertribunal nun ihre Arbeit beenden, wird Mukasarasi sich weiter für gesellschaftliche Veränderung stark machen.
Autor: Philipp Sandner
Redaktion: Lina Hoffmann/Sabine Faber