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Politik

"Erschütternd, dass kaum jemand einschritt"

22. August 2022

30 Jahre nach den Angriffen auf Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen haben Politiker und Organisationen an die damaligen Ereignisse erinnert.

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Brandspuren und eingeworfene Fensterscheiben an der Asylbewerberunterkunft in Rostock-Lichtenhagen 1992
Steine und Molotow-Cocktails: Die Asylbewerberunterkunft in Rostock-Lichtenhagen nach den Angriffen vom August 1992Bild: Bernd Wüstneck/dpa/picture-alliance

Die Angriffe auf die Bewohner einer Aufnahmestelle für Asylsuchende in Rostock-Lichtenhagen gehörten zu den schlimmsten rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Berlin.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser
"Zu geringe Empathie in Politik und Gesellschaft": Bundesinnenministerin Nancy Faeser (Archivbild)Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture-alliance

"Es ist bis heute erschütternd, dass kaum einer gegen den Mob einschritt." Viele Menschen hätten sogar applaudiert und die Angreifer weiter angestachelt. Zugleich kritisierte die SPD-Politikerin das "zögerliche und halbherzige Verhalten der Sicherheitskräfte und die zu geringe Empathie in Politik und Gesellschaft".

Polizeikräfte mit Schilden in Rostock-Lichtenhagen 1992
"Zögerliches und halbherziges Verhalten der Sicherheitskräfte": Polizisten im August 1992 in Rostock-LichtenhagenBild: dpa/picture-alliance

Bundeskanzler Olaf Scholz erinnerte auf Twitter an die Ereignisse: "Wo Menschen Schutz suchten, wurden sie angegriffen - eine schreckliche Tat." Es gelte, "jeden Tag gegen Hetze und Rassismus zu kämpfen", so der sozialdemokratische Regierungschef.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb ebenfalls auf Twitter: "Der Hass ist nicht verschwunden. Es bleibt unsere Pflicht, unsere offene Gesellschaft gegen ihre Feinde zu verteidigen."

Feuerwehrleute löschen ein umgeworfenes Fahrzeug in Rostock-Lichtenhagen 1992
Umgeworfene PKW in Flammen: Feuerwehrleute während ihres Einsatzes im August 1992Bild: Jan Bauer/dpa/picture-alliance

Auch die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl warnte in einer gemeinsamen Erklärung mit der Amadeu-Antonio-Stiftung davor, Rassismus als Problem der Vergangenheit anzusehen. Noch immer seien Unterkünfte für Geflüchtete eine Zielscheibe rassistischer Gewalt und es fehle der politische Wille, konsequent hiergegen vorzugehen.

Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, erklärte indes, Gesellschaft und Politik hätten sich seither verändert. "Wir haben eine starke Zivilgesellschaft, die sich ganz klar gegen Rassismus stellt", sagte die Staatsministerin im Deutschlandfunk.

Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan
"Gesellschaft hat sich verändert": Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (Archivbild)Bild: Malte Ossowski/Sven Simon/picture alliance

Vom 22. bis zum 26. August 1992 - knapp zwei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung - gab es im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen nahe der Ostseeküste schwere rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Übergriffe. Ein aufgebrachter Mob hatte vier Nächte lang versucht, eine zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber, in der auch ehemalige vietnamesische DDR-Vertragsarbeiter wohnten, zu stürmen.

Demonstranten mit einem Plakat "Stoppt Rassismus - für offene Grenzen" in Rostock-Lichtenhagen 1992
Gegen rechts: Tausende Menschen gingen am 29. August 1992 in Rostock gegen Ausländerfeindlichkeit auf die StraßeBild: Wolfram Steinberg/AP Photo/picture alliance

Erst flogen Steine, dann Molotowcocktails. Nachdem das Gebäude in Brand gesetzt worden war, gerieten rund 150 Menschen in akute Lebensgefahr. Mehr als 200 Polizisten wurden bei Auseinandersetzungen mit den Angreifern verletzt, einer von ihnen schwer. Die Bilder vom sogenannten Sonnenblumenhaus gingen um die Welt und sorgten international für Entsetzen. Sie nährten damals die Sorge vor einer Ausbreitung rechtsextremer und ausländerfeindlicher Ideologien in Deutschland.

Rund vierzig Angreifer wurden in den folgenden Jahren wegen Landfriedensbruchs und Brandstiftung verurteilt - die meisten erhielten Bewährungsstrafen. In drei Fällen wurden Haftstrafen bis zu drei Jahren verhängt.

jj/hf (dpa, afp, epd, ndr)