Rosalía Arteaga - Frau an der UN-Spitze?
10. Mai 2021Betritt man das UN-Hauptquartier in New York, fallen einem im Eingang vor allem die großen, majestätischen Porträts der UN-Generalsekretäre auf. Ölgemälde, neun sind es an der Zahl. Boutros Boutros Ghali, Kofi Annan, Ban Ki-moon - seit 76 Jahren führen Männer die Vereinten Nationen.
Wenn es nach der zivilgesellschaftlichen Initiative "Forward" ginge, dann würde hier bald das Porträt einer Frau hängen. Und zwar das der ehemaligen ecuadorianischen Präsidentin Rosalía Arteaga. Eine Frau, eine Kandidatin der Zivilgesellschaft, die von außen, zum ersten Mal demokratisch legitimiert von "echten" Menschen, den UN-Generalsekretär herausfordert.
Eine realistische Chance hat sie wohl nicht. Denn dass António Guterres, der ehemalige portugiesische Premierminister, dieses Jahr in seinem Amt bestätigt wird, steht so gut wie fest. Dafür, dass er die Interessen von sieben Milliarden Menschen und 193 Mitgliedsstaaten vertreten soll, ist es zwar still um seine Wiederwahl, doch diese ist so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz. Bisher wurde mit nur einer Ausnahme jeder Generalsekretär, der wollte, für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Das liegt nicht nur an ihm, es liegt auch an der Art und Weise, wie er bestimmt wird.
Der lange komplizierte Weg zum Generalsekretär
"Der Auswahlprozess ist obskur, undemokratisch und man hat kein Mitspracherecht", sagt Colombe Cahen-Salvador. Zusammen mit Andrea Venzon hat sie die Kampagne ins Leben gerufen, vor einem Monat erst. Die beiden haben Erfahrung mit dieser Art von Mobilisierung, sie haben die europäische Partei Volt mitgegründet.
Seitdem haben sie von London aus 8000 Unterstützerinnen und Unterstützer mobilisiert. Und zwei Kandidatinnen gefunden, die im Team antreten: Neben Arteaga ist das die argentinische Diplomatin Paula Bertol. Forward-Freunde aus 71 Ländern haben ihre Unterstützung zugesichert.
Ihr Ziel: vor allem die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass die Wahlen für diesen wichtigen Posten immer noch in Teilen hinter verschlossenen Türen stattfinden. "Es ist 2021 und unsere Politik steckt immer noch 50 Jahre in der Vergangenheit fest", sagt Venzon im DW-Gespräch. "Wir müssen da echt besser werden."
In der UN-Charta ist festgehalten, dass der UN-Generalsekretär vom Sicherheitsrat vorgeschlagen wird, die UN-Generalversammlung wählt ihn dann. Da die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates Vetorecht besitzen, muss ein Kandidat oder eine Kandidatin, will er oder sie erfolgreich sein, ihre Unterstützung haben. Guterres hat diese ausdrücklich schon von mehreren Mitgliedern signalisiert bekommen, unter anderem von China und Großbritannien. Zudem es gibt auch viele ungeschriebene Gesetze.
Ein Kandidat oder eine Kandidatin muss zum Beispiel von einem Mitgliedstaat unterstützt werden. Das steht zwar nirgendwo explizit, war aber schon immer so. Und es soll geographisch rotiert werden. Wann und wie genau der Sicherheitsrat den Kandidaten vorschlägt, ist unklar. Dieses Jahr wird es irgendwann zwischen Mai und Oktober passieren.
Dabei hat sich schon viel getan, auch auf Initiative der Zivilgesellschaft. So transparent wie António Guterres vor fünf Jahren wurde noch kein Generalsekretär vor ihm gewählt. Die Generalversammlung verabschiedete eine Resolution, welche die Details des Auswahlprozesses festlegte. Zum ersten Mal mussten alle Kandidaten eine Vision präsentieren, es gab öffentliche Anhörungen und Fragerunden mit der Zivilgesellschaft.
Arteaga von der Zivilgesellschaft gewählt
Auf dem Papier erfüllt Rosalía Arteaga viele der Voraussetzungen, die eine UN-Generalsekretärin erfüllen muss - offiziell und inoffiziell. Sie war kurzzeitig Präsidentin von Ecuador, war Vize-Präsidentin, hat Erfahrung als Ministerin und als Generalsekretärin einer großen Organisation. Und sie kommt aus Lateinamerika, der Region, die, so Cahen-Salvador, "als nächstes dran" wäre. Zusammen mit der argentinischen Diplomatin Paula Bertol als Stellvertreterin hat "Forward" Arteaga ins Rennen geschickt.
Bei der Pressekonferenz von "Forward" wirkt Rosalía Arteaga ein bisschen nervös und aufgeregt. Sie betont, wie sehr sie sich über die Unterstützung gefreut habe, über die vielen Nachrichten, die sie aus der Zivilgesellschaft weltweit erreicht hätten. Dass sogar die Regierung ihres Landes angerufen habe, und ihr Unterstützung zugesichert hätte. Dass sie diese Hilfe aus Quito aber nicht annehmen würde.
Denn Arteaga will als Kandidatin der Zivilgesellschaft im Rennen bleiben. Man merkt, dass das eine Entscheidung ist, welche die Entscheidungsträger von "Forward" anders getroffen hätten. Schließlich war es ihr großes Ziel, staatliche Unterstützung für ihre Kandidatin zu bekommen.
Hat eine Kandidatin von außen überhaupt eine Chance?
Natürlich, nirgendwo steht, dass Kandidaten von außen nicht auch eine Chance haben können. Es gibt auch andere Namen, Akanksha Arora, eine 34-jährige Mitarbeiterin der UNDP zum Beispiel, hat sich selbst für die Rolle vorgeschlagen. Bisher ist auf der Website der UN jedoch nur das Profil von António Guterres zu finden.
Denn allein um offiziell Kandidat oder Kandidatin zu werden, müssen die Präsidenten des Sicherheitsrates und der Generalversammlung in einem Brief ihn oder sie dazu deklarieren. Das passierte bisher nur, wenn ein Mitgliedstaat einen Vorschlag gemacht hatte. Sonst bleibt die Kandidatur eher ein Symbol.
"Eben diese Symbol-Akte sind absolut notwendig und erforderlich, um auch Interesse zu wecken", sagt Andreas Bummel, er hat Erfahrung mit UN-Reformen. Seit er 16 ist, erzählt der 45-jährige im DW-Interview, beschäftige er sich mit den Vereinten Nationen und damit, wie sie demokratisch legitimierter, transparenter und offener für die Zivilgesellschaft werden könnten.
Zusammen mit 100 anderen Organisationen hat seine Organisation "Democracy without Borders" gerade drei Vorschläge zur Reform der UN veröffentlicht, unter anderem die Gründung einer parlamentarischen Versammlung. "Die Vereinten Nationen sind natürlich die wichtigste Organisation für den Multilateralismus, die wir haben", sagt Bummel. "Es ist im Interesse aller Mitgliedstaaten, eine effizientere und legitimere UN zu haben."
Die Initiative "Forward" möchte weitermachen mit ihrer Kampagne. Protest-Aktionen sind geplant, es wird an Wegen getüftelt, wie sie den großen UN-Apparat von außen in Bewegung versetzen können. Colombe Cahen-Salvador sagt: "Wir glauben fest daran: Wenn wir jetzt richtig Lärm machen, dann können wir dabei helfen, dass der Prozess sich in Zukunft verändert."