"Polen hat die DDR-Bürger ermutigt"
8. November 2014DW: Polen hat sein großes Jubiläum bereits am 4. Juni dieses Jahres gefeiert: den 25. Jahrestag der ersten freien Wahlen. Wie wird der Jahrestag des Mauerfalls in Polen jetzt wahrgenommen?
Rafał Rogulski: Das sind ganz unterschiedliche Gefühle. Ein wenig "bedauert" man es, dass der Mauerfall so viel Aufmerksamkeit bekommt und damit die vorhergehenden Ereignisse in Polen vor der Weltöffentlichkeit in den Hintergrund stellt. Der Runde Tisch oder die ersten freien Wahlen im Sommer 1989 in Polen waren im Vergleich dazu vielleicht irgendwie nicht ganz so "pfiffig".
Trotzdem: Den Mauerfall haben auch wir in Polen als großes Ereignis erlebt. Ich war damals 19 Jahre alt und erinnere mich sehr gut an den Tag. Vielleicht waren wir in Polen von alldem weniger überrascht. Uns war klar, dass die Wende nicht mehr zu stoppen ist.
Hat die polnische Oppositionsbewegung Solidarność die Bürgerrechtsbewegung in der DDR mit angefacht?
Mit Sicherheit muss man das so sehen. Viele DDR-Oppositionelle sagen noch heute, dass die Solidarność für sie eine Art "Universität" war, die aufzeigte, wie man es machen kann. Deshalb hatte die DDR-Führung auch so große Angst vor diesen Veränderungen und schloss nach dem Aufkommen von Solidarność die Grenze zu Polen. Die freien Wahlen in Polen im Juni 1989 hatten dann eine ermutigende Wirkung auf die Menschen in der DDR, sie gingen auf die Straße. Ohne die Rolle Polens überbewerten zu wollen - der Einfluss war auf jeden Fall da.
Wird das Verdienst Polens um die Einheit in Deutschland zu wenig gewürdigt?
Das kommt darauf an, mit wem man spricht. Wenn ich in Deutschland auf Veranstaltungen bin, wird die Rolle Polens schon meistens herausgehoben. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls zum Beispiel gab es in Berlin eine große Installation mit Dominosteinen, die dann nach und nach die "Mauer" zum Einsturz brachten. Den ersten Stein durfte der ehemalige Solidarność-Vorsitzende Lech Wałęsa umstoßen. Das war aber erst nach großen diplomatischen Bemühungen möglich. Insgesamt wird die Rolle Polens noch zu wenig gewürdigt, da ist noch viel diplomatische Vorarbeit nötig, um alles in den wahren Kontext zu stellen.
Unter anderem deshalb ist das Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität gegründet worden: um Geschichte in den Kontext zu stellen, auch über schwierige Probleme zu sprechen und so die Zukunft besser zu gestalten.
Ihr Netzwerk begeht das europäische Wendejahr mit einer Ausstellung: "Wege zum Durchbruch". Was war die Intention?
Wir wollten die unterschiedlichen Wege zur Freiheit aufzeigen. Start ist 1939, denn für viele Länder in Ostmitteleuropa bedeutete der Hitler-Stalin-Pakt für viele Jahrzehnte das Ende der Freiheit. Über mehrere Stationen kommen wir dann zum Jahr 1989 und zeigen auf, wie der Umbruch in den einzelnen Ländern verlief - im gesamteuropäischen Kontext, der gerade für viele Jugendliche nicht selbstverständlich ist. Die Ausstellung wandert durch mehrere Städte, ist aber auch im Internet virtuell besuchbar.
Vor 25 Jahren haben die Ostdeutschen von den Polen gelernt. Was kann denn Deutschland heute noch von Polen lernen?
So hochnäsig bin ich nicht, zu behaupten, dass die Deutschen von uns lernen müssen (lacht). Ich denke, man kann sich mit den eigenen Erfahrungen gegenseitig bereichern. Wenn man aber anfängt zu denken, das eine Land müsse vom anderen lernen, dann leidet der Respekt voreinander. Genau das wollen wir vermeiden.
Rafał Rogulski ist polnischer Staatsbürger und Vorsitzender des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität, einer gemeinsamen Initiative der Regierungen Deutschlands, Polens, Ungarns und der Slowakei mit Sitz in Warschau. Die Ausstellung "Wege zum Durchbruch" wurde am 4. November in Berlin eröffnet und wandert von dort in zahlreiche weitere Städte Europas.