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Interview zur Lage der Medien

29. Juli 2010

Olivier Basille hat für Reporter Ohne Grenzen einen Bericht zur Pressefreiheit im Kosovo verfasst. Sein Resümee: die Regierung instrumentalisiert Medien, und es gibt kaum unabhängige Journalisten.

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Porträt von Olivier Basille (Foto: Reporter ohne Grenzen)
Olivier Basille kritisiert Lage der Medien in KosovoBild: Reporters sans frontières

Herr Basille, was haben Sie bei ihrer Untersuchung im Kosovo herausgefunden?

Olivier Basille: Wir hatten bereits erwartet, dass die Situation nicht gut ist, und leider haben sich unsere Befürchtungen bestätigt: Es gibt allerhand Probleme in Kosovo. Es gibt Druck auf Journalisten, insbesondere im Rundfunk und Fernsehen, aber auch auf den Werbemarkt. Es wird auch Druck auf die Familien von Journalisten ausgeübt, auch wirtschaftlicher Druck – also die Lage ist schlecht. Allerdings ist sie nicht so schlecht, dass es nicht geändert werden könnte. Es gibt viel Unterstützung für die Medien. Es gibt finanzielle Unterstützung und auch viele internationale Organisationen sind aktiv, die Hoffnung geben, wenn es einen wirklichen Willen zur Veränderung gibt.

Hat sich denn die Lage im Verhältnis zu den vorangegangen Jahren verschlechtert?

Nein, ich muss sagen, dass die Lage eigentlich gleich geblieben ist. Offensichtlich ist es über die Jahre für einige unabhängige Journalisten immer noch möglich gewesen weiterzuarbeiten, aber die Bedrohungen und der Druck, denen sie ausgesetzt sind, sind noch immer dieselben. Es gibt noch immer eine starke Kontrolle der Regierung, besonders auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTK. Journalisten haben noch immer Schwierigkeiten an öffentliche Daten heranzukommen. Wenn Journalisten über Korruption schreiben oder andere kritische Themen, zum Beispiel darüber wie die Gesellschaft allgemein organisiert ist, sehen sie sich sehr schnell mit Vorwürfen konfrontiert, serbische Spione oder Nestbeschmutzer zu sein. Ich kann zwar nicht sagen, dass es schlimmer wird, aber es gibt überhaupt wenig Bewegung und das ist sehr frustrierend für die Journalisten. Es gibt zum Beispiel in Prishtina kein Pressezentrum. Das mag jetzt nicht so wichtig erscheinen, aber es ist doch wichtig, denn es fehlt ein Ort, an dem Journalisten sich Treffen und ihre Erfahrungen austauschen können. Es gibt viele Institutionen, die auch viel Geld ausgeben, um ihre Aktivitäten zu bewerben. Es wird von internatonalen Organisationen sehr viel Geld für Publikationen ausgegeben, die gar kein Mensch liest, die vielleicht irgendwer in Brüssel oder sonstwo liest. Wenn dieses Geld besser eingesetzt würde, hätten wir vielleicht eine bessere Situation für die Medienfreiheit in Kosovo.

Haben Sie Beispiele? Wofür wird dieses Geld ausgegeben?

Wie in vielen Ländern des Balkans gibt es im Kosovo eine sehr präsente Korruption und organisierte Kriminalität. Der Medienmarkt ist auf sehr komplizierte Art und Weise organisiert: Es gibt zu viele Leute auf dem sehr kleinen Markt. Offensichtlich ist es nicht für so viele Medien und Tageszeitungen möglich auf diesem kleinen Markt zu existieren. Daher stellt sich die Frage, wer, was, warum finanziert und wie das organisiert ist. Offensichtlich wird die Frage, wer die Medien im Kosovo betreibt, kaum behandelt. Es gibt natürlich die offiziellen Positionen, und so bekommt man auch Antworten, aber dann ist es schwierig herauszufinden, was wirklich dahinter steckt. Menschen in Prishtina und Menschen in Kosovo, besonders die Minderheiten müssen mehr Zugang zu den Schlüsselmedien bekommen. Es ist noch immer nicht möglich, wirkliche politische Debatten in den Medien in Kosovo anzustoßen. Es gibt zwar Debatten, aber es gibt keinen Dialog. Es ist nicht möglich die Frage aufzuwerfen: 'Wie organisieren wir unseren neuen Staat?' Und wenn man es trotzdem tun, riskiert man, als Verräter gebrandmarkt zu werden, weil man sich angeblich nicht für Kosovo einsetzt. Das ist das Hauptproblem. Die meisten Journalisten im Kosovo sind Profis. Sie sind bereit, professionell zu arbeiten und auch sehr stolz auf Kosovo. Sie wollen ein demokratisches Kosovo aufbauen. Aber wenn sie kritische Fragen stellen, fühlen sie sich als Verräter, sowohl gegenüber den Parteien in der Regierung als auch gegenüber den Oppositionsparteien. Journalisten können einfach nicht von den offiziellen Standpunkten abweichen. Wenn sie es trotzdem tun, zahlen sie den Preis dafür.

Was muss die Regierung tun, damit sich die Lage bessert?

Deutsches Logo von Reporter ohne Grenzen
ROG rät zu respektvollem Umgang mit Journalisten

Die Regierung muss zunächst einmal aufhören, Journalisten zu beleidigen. Es gibt genug Mitglieder der Regierung, die Journalisten an den Kopf werfen, diese seien Verräter. Damit senden sie natürlich ein Signal an die extremistischen Parteiaktivisten, also ehemalige UCK Soldaten oder extreme Rechte oder Linke. Von diesen gibt es genug. Sie sind zwar nicht gut organisiert, aber teilweise sehr mächtig. Und die bekommen dann quasi eine Nachricht: 'Aha, das ist ein Verräter. Man kann ihn umbringen, wenn man will.' Der erste Schritt muss sein, dass die Regierung klarstellt, dass Journalisten, die mit ihr nicht übereinstimmen, deshalb nicht gleich Verräter sind. Die Regierung muss die Presse als unabhängige Institution im demokratischen Prozess anerkennen und nicht nur als eine Stimme der Regierung oder der Nation. Es ist nicht die Hauptaufgabe der Journalisten einen Staat zu bewerben, das muss schon die Regierung selber tun. Die Rolle des Journalismus ist es, dem Staat auf die Finger zu schauen. So sollte es in einer Demokratie funktionieren, aber im Kosovo ist das noch nicht möglich.

Was kann die EU-Rechtsstaatsmission EULEX tun, um die Journalisten besser zu schützen?

EULEX kann dafür sorgen, dass Journalisten vor Gericht den Schutz bekommen, den sie brauchen. Offensichtlich gibt es auch viel Korruption im Justizapparat. Wir wissen das und versuchen, es zu ändern. Auf dem Papier ist die Pressefreiheit geschützt, aber die Justiz ist nicht in der Lage, diesen Gesetzen Geltung zu verschaffen - nicht weil sie es nicht gewohnt sind, sondern manchmal auch, weil sie es nicht wollen. Oft untersuchen Journalisten auch, wie das Justizsystem funktioniert, und deshalb wollen die Richter den Journalisten gar nicht helfen, wenn es um ihre Pressefreiheit geht. EULEX kann hier viel tun, wenn es um Trainings für Richter und Justizangestellte geht. Diese müssen für Fragen der Pressefreiheit sensibilisiert werden. Das ist gar nicht so schwer. Es gibt Standards die einfach gefördert werden können, aber nicht einfach direkt angewendet werden.

Wie steht es um die Vertretung der Minderheiten in den Medien?

Besonders schwierig ist natürlich die Situation im mehrheitlich von Serben bewohnten Nord-Mitrovica. Dort können albanische Journalisten so gut wie gar nicht arbeiten. Erst vor kurzem gab es dort einen Bombenanschlag gegen das Haus eines Journalisten. Aber auch außerhalb von Mitrovica gibt es Probleme. Besonders für Minderheiten ist die Lage sehr kompliziert - und dabei geht es nicht nur um die Serben. So haben nicht alle Journalisten Zugang zu Informationen in ihrer Sprache. In RTK werden zum Beispiel Sendungen auf Serbisch produziert, aber sie sind nur Übersetzungen der offiziellen Meldungen. Das heißt, es werden gar keine 'eigenen' Themen aufgegriffen. Die Beiträge reflektieren die 'eigene' Wirklichkeit der Serben im Kosovo nicht. Es reicht nicht, das Zeug zu übersetzen und zu senden, sondern es geht darum, Informationen zu senden, die einen Bezug zum eigenen Leben der Hörer und Zuschauer haben. Und das ist nicht der Fall. Wenn dieser Bezug fehlt, dann können wir auch nicht erwarten, dass diese Leute Fernsehen schauen.

Wie steht es um die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Medien?

Das Hauptthema ist die Kontrolle des Werbemarktes. Dieser wird stark durch die Regierungspartei kontrolliert. Viel Reklame geht deshalb an die Medien, die eher für die Regierung eingestellt sind. Die unabhängigeren Tageszeitungen bekommen offensichtlich auch hin- und wieder Werbung, aber es ist nicht so einfach. Zum Beispiel "Koha Ditore" und "Zeri", die meiner Meinung nach zu den professionelleren Publikationen gehören, schaffen es offensichtlich, sich über Wasser zu halten. Aber es ist für sie sehr kompliziert, weil der Markt nicht wirklich liberalisiert und so organisiert ist, wie ein normaler Markt es sein sollte. Nicht jeder hat Zugang zum Werbemarkt, und das ist abhängig von der Art der Programme, die die einzelnen Sender machen. In Prishtina ist der Werbemarkt sehr klein und auch Privatfirmen brauchen, wenn Sie erfolgreich sein wollen, Unterstützung der Regierung um ihre Wirtschaftstätigkeit entfalten zu können. Auch das ist ein Problem: Nicht nur die institutionell geschalteten Reklamen, die die Regierung selbst bestimmt, sondern auch der indirekte Druck über Privatunternehmer. Eine andere Form des politischen Drucks, kann es auch sein, wenn zum Beispiel Finanzbehörden plötzlich ein kritisches Medium einer Steuerprüfung unterziehen.

Das Interview führte: Vilma Filaj-Ballvora

Redaktion: Mirjana Dikic/ Fabian Schmidt