Prozess gegen R. Kelly: Zeugenanhörung beginnt
17. August 2021Mitte der 1990er-Jahre führt an R. Kelly kein Weg vorbei: Musikgrößen wie Michael Jackson, dessen Schwester Janet oder auch Whitney Houston verhilft er als Songwriter und Produzent zu Welterfolgen. Mit Hits wie "I Believe I Can Fly" oder "Ignition" singt er sich in die Herzen der Fans - vor allem in die junger, zumeist afroamerikanischer Mädchen.
Etliche von ihnen soll er sexuell genötigt haben. Vor Schulen, in Einkaufszentren oder nach Konzerten soll er sie angesprochen und sie - etwa mit dem Versprechen, sie eines Tages groß rauszubringen - sexuell gefügig gemacht haben. Später sollen Mitglieder seines Teams ihm immer wieder systematisch Mädchen vermittelt, sie erpresst und zum Sex gezwungen haben.
R. Kelly bestreitet jegliche Anschuldigungen
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert stehen Missbrauchsvorwürfe gegen den 54-jährigen Musiker im Raum. Er soll sogar einen Sex-Kult betrieben haben. 2008 steht er erstmals vor Gericht und muss sich wegen des Vorwurfs der Herstellung von sexuellen Abbildungen mit Kindern verantworten. Das Verfahren wird mangels hinreichender Beweise eingestellt. In anderen Fällen einigt sich der R&B-Star mit den Klägerinnen außergerichtlich.
Anfang August hat nun ein weiterer Prozess gegen Robert Sylvester Kelly, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, begonnen. Mit den Auftaktplädoyers ging es an diesem Mittwoch dann richtig los. Bei einer Verurteilung droht Kelly eine lange Haftstrafe.
Und dieses Mal sieht es nicht so aus, als könne er sich so leicht aus der Affäre ziehen: Von den sechs mutmaßlichen Opfern, die im Mittelpunkt des Prozesses stehen, waren mehrere zum Zeitpunkt der Geschehnisse minderjährig. Die Staatsanwaltschaft hat zudem die Anhörung von etwa 15 weiteren Zeuginnen und Zeugen beschlossen, die behaupten, von R. Kelly sexuell oder körperlich missbraucht, gequält oder bedroht worden zu sein.
20 Jahre nach ihrem Tod wird Aaliyah zur Kronzeugin
Im Mittelpunkt des Verfahrens steht auch seine Beziehung zu der verstorbenen Sängerin Aaliyah. 1993 hatte Kelly die damals 14-Jährige unter seine Fittiche genommen und ihr Debutalbum "Age Ain't Nothing But A Number" produziert. In der gleichnamigen, von Kelly geschriebenen Ballade, singt Aaliyah über ein junges Mädchen, das von einem älteren Liebhaber träumt. Nach dem Erscheinen des Albums im Mai 1994 brodelt die Gerüchteküche: Kelly und die damals minderjährige Sängerin sollen sich nur nicht nur musikalisch nähergekommen sein.
Kurz darauf veröffentlicht der Musiksender MTV die Heiratsurkunde der beiden Musiker. Darauf wird Kellys Alter mit 27 angegeben, das seiner Braut mit 18. Der Anklageschrift zufolge hat Kelly einen Beamten des Staates Illinois dafür bezahlt, ihm einen gefälschten Ausweis für Aaliyah zu besorgen, um die damals eigentlich 15-Jährige zu heiraten. Als die Eltern der 2001 bei einem Flugzeugabsturz verunglückten Sängerin von der Hochzeit erfahren, lassen sie sie umgehend annullieren. 20 Jahre nach ihrem Tod wird Aaliyah nun unter dem Platzhalternamen "Jane Doe #1" zur Kronzeugin gegen R. Kelly.
Keine Ausnahme, sondern die Regel
Aaliyahs Fall "ist einer von vielen", sagt Kathy Iandoli gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. "Bei der Verhandlung werden wir sehen, dass sie keine Ausnahme war, sondern die Regel", so die Autorin einer demnächst erscheinenden Aaliyah-Biografie weiter. "Zum ersten Mal wird diese Ehe als das gesehen werden, was sie ist: ein Bruchteil eines sehr gewalttätigen Systems", fügt sie hinzu und beklagt, dass die Verbindung lange "als eine schöne Liebesgeschichte" dargestellt worden sei.
Dass es schon häufiger vorgekommen ist, dass berühmte Musiker mit jungen, zum Teil minderjährigen Frauen eine Beziehung eingehen, ist kein Geheimnis: Elvis Presley heiratet 1967 die damals 22-jährige Priscilla Beaulieu. Kennengelernt hatten sich die beiden, als Priscilla erst 14 Jahre alt war. Offiziell beginnt ihre Beziehung mit dem zehn Jahre älteren Musiker etwa drei Jahre später.
Sänger Jerry Lee Lewis ehelicht im Dezember 1957 seine gerade mal 13-jährige Cousine ersten Grades Myra Gale Brown. Der Skandal um die Ehe zerstört Lewis' vielversprechende Rock'n'Roll-Karriere. Einige Jahre später wird er allerdings in der Country-Musik an seinen Erfolg anknüpfen können. Die Ehe zwischen Lewis und Brown wird 1970 geschieden. Brown zufolge sei sie "jeder nur denkbaren Art von körperlichem und geistigem Missbrauch ausgesetzt gewesen", wie sie 2014 in einem Interview mit dem Musikmagazin Cuepoint erzählt. Ihr Erlebnisse verarbeitet sie in einem autobiographischen Roman, der später unter dem Titel "Great Balls of Fire" erfolgreich mit Dennis Quaid und Winona Ryder verfilmt wird.
#MuteRKelly
Aber zurück zu R. Kellys Prozess: Den Stein ins Rollen bringt Anfang 2019 die Dokumentation "Surviving R. Kelly" des US-Senders Lifetime. Filmemacherin Dream Hampton war auf die Boykottaufrufe der Bewegung #MuteRKelly aufmerksam geworden, die zwei Jahre zuvor in den Sozialen Netzwerken brodelten. Hampton schafft es, Künstlergrößen wie John Legend und Schauspielerin Wendy Williams vor die Kamera zu kriegen und sich zu den Missbrauchsvorwürfen äußern zu lassen. Besonders eindrücklich und erschreckend sind allerdings die Interviews mit den mutmaßlichen Opfern: Eine seiner Backgroundsängerinnen berichtet, wie seine zweite Ex-Frau Andrea Kelly, geborene Lee, ihn jedes Mal um Erlaubnis bitten musste, wenn sie das Zimmer verlassen wollte, um sich etwa etwas zu essen zu holen. Eine andere erinnert sich, wie Kelly vor aller Augen Sex mit einem minderjährigen Mädchen in seinem Studio hatte. Die bekannte US-Moderatorin Kitti Jones erzählt , wie Kelly versuchte, sie und andere Frauen zu brechen, weitere Zeugen berichten von Pornofilmen mit Minderjährigen, Gewaltexzessen und Sexorgien.
Es entsteht das erschreckende Bild eines skrupellosen, unbarmherzigen Mannes, der Frauen und auch Jungen sexuell ausbeutet und bis dato auch straffrei damit durchkam. "Aktivisten, vor allem schwarze Frauen, fordern seit Jahrzehnten Rechenschaft", äußert sich Kenyette Barnes, Mitbegründerin der Bewegung #MuteRKelly, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Ihr zufolge lässt sich Kellys Straffreiheit auf seinen Ruhm zurückführen, aber auch auf die Tatsache, dass die Stimmen der Opfer - in der Regel schwarze Frauen - zum Schweigen gebracht wurden.
Seit zwei Jahren in Untersuchungshaft
Kelly und sein Management behaupten, es handle sich bei den Protagonisten um "Unruhestifter und Lügner", die nach "Profit und Ruhm" trachteten und weisen die Anschuldigungen zurück. Die Staatsanwaltschaft hingegen nimmt sie ernst und bittet mögliche Zeugen und Opfer, sich zu melden. Ein halbes Jahr nach der Ausstrahlung von "Surviving R. Kelly" wird der 1967 geborene R&B-Künstler bei einem Spaziergang mit seinem Hund in Chicago verhaftet.
Ursprünglich sollte sein Prozess bereits 2020 beginnen. Aufgrund der Corona-Pandemie startete er nun formell ein Jahr später, am 9. August 2021, in New York City, an diesem 18. August folgte der Start der Auftaktplädoyers. Nach dem Prozess in New York erwarten den Grammy-Preisträger auch Verfahren in Illinois und Minnesota. Sollte er schuldig gesprochen werden, kann sich R. Kelly auf eine jahrzehntelange Haftstrafe gefasst machen. Ruhm und Geld schützen am Ende wohl doch nicht vor Straffreiheit - zumindest nicht für immer.