Retten statt Essen!
21. April 2010Im Flüsterton und mit vorsichtigen Schritten kämpfen sich Sladjana Miskovic und ihr Helfer Yung durch den Wald. Es ist später Nachmittag, doch von der Sonne dringt kaum ein Strahl durch das grüne Dickicht. Kleine Stirnlampen erhellen ihren Weg. Plötzlich erblicken sie versteckt im Unterholz ein eingerolltes Tier mit schwarzen Streifen, friedlich vor sich hin schlummernd. "Ganz vorsichtig", sagt die 28-jährige Biologin in Richtung ihres vietnamesischen Kollegen.
Mit einer speziellen Zange wird das Tier unter dem Kopf gepackt und in einen dunklen Beutel gesteckt. Was für den Laien aussieht wie eine ganz normale Schlange, ist in Wahrheit eine beinlose Echsenart. Ein Leuchten blitzt in Sladjana Miskovics Augen auf, denn das Tier ist noch völlig unbekannt.
Paradies für die Wissenschaft
Die junge Wissenschaftlerin arbeitet seit einem Jahr im Phong Nha Ke Bang-Nationalpark in Zentralvietnam. Einst durchstreiften die Vietcong, kommunistische Untergrundkämpfer, das rund 1000 Quadratkilometer große Gebiet. Es ist eine der größten Karstlandschaften der Welt und ein Paradies für Tiere und Pflanzen.
"In den letzten Jahren wurden hier sogar zwei neue Säugetierarten nachgewiesen – das Sahola-Rind und der Riesenmuntjak", erzählt Sladjana Miskovic begeistert. "Wissenschaftlich ist das schon ein Wahnsinn." Seit zehn Jahren forschen und engagieren sich Wissenschaftler des Kölner Zoos in dem Nationalpark. Seitdem wurden rund 150 neue Tierarten entdeckt.
Selbstbedienungsladen Natur
Doch die Artenvielfalt ist seit Jahren bedroht. Die seltenen Schlangen und Affenarten werden illegal von Wilderern gefangen und landen oft im Kochtopf. "Armut in der Umgebung ist ein riesiges Problem", gesteht die Biologin. "Wie will man Leuten erklären, dass sie nicht in den Wald dürfen, wenn sie nichts zu essen haben?"
Und so ist eine der Hauptaufgaben der deutschen Wissenschaftler, Bewusstsein in der einheimischen Bevölkerung für Artenschutz zu schaffen. Zu zeigen, dass das Verschwinden einer Tierart das ganze Ökosystem aus der Balance bringen kann. Die Nahrungskette wird gestört, Lebensraumverlust ist früher oder später die Folge.
Austausch auf Augenhöhe
Davon hatte der Bauer Hoan bis vor ein paar Jahren noch nie etwas gehört. Der kleine Mann mit der sonnengegerbten Haut ist einer von vielen ehemaligen Wilderern, die zu Waldführern ausgebildet wurden. "Ich ging fast zwanzig Jahre lang in den Wald, um meine Familie zu ernähren", erklärt Hoan, dessen Vater auch schon Wilderer war. "Doch irgendwann wurde ich beim Jagen erwischt und kam ins Gefängnis. Da wusste ich, es muss sich etwas ändern."
Hoan nahm das Angebot der dortigen Wissenschaftler an, sie bei ihren Waldexkursionen zu führen. "Wir sind hier aufgewachsen. Niemand kennt den Wald besser als wir", wirft Hoan stolz ein. "Die Forscher profitieren davon und wir verdienen unseren Lebensunterhalt." Es ist ein Austausch auf Augenhöhe. Seit Hoan die Seiten gewechselt hat, isst er auch privat kein Schlangen- und Affenfleisch mehr. Doch Hunde seien ok, gesteht er und lächelt verlegen.
Primaten als Kuscheltiere
Doch das Umschulungsprogramm ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Für die traditionelle Medizin werden in Vietnam immer noch bedrohte Bären- und Schlangenarten genutzt. Außerdem gilt Wildtierfleisch in Asien als teure Delikatesse. Großwilderei ist lukrativ, und die Grenzkontrollen gerade zu Laos sehr lasch.
Nach der Waldexkursion hält Sladjana Miskovic noch im nahe gelegenen Rescue-Center an. Sie besucht die Dutzend Makaken und Gibbons, die in Käfigen gefüttert werden. Viele der Affen wurden Jahre lang illegal als Haustiere gehalten. Bis sie konfisziert und hierher gebracht wurden. Primaten als Kuscheltiere – Pascal Fust schüttelt nur den Kopf.
Zurück in die Natur
Der Schweizer Biologe leitet im Nationalpark ein weltweit einmaliges Auswilderungsprojekt. "Das Programm ist spezifisch für Rotschenklige Kleideraffen und Hatinh-Languren, die nur in dieser Region vorkommen und stark bedroht sind", sagt Pascal Fust. Die konfiszierten Tiere werden in Nordvietnam nachgezüchtet und anschließend zu ihm in den Phong Nha Ke Bang-Nationalpark gebracht.
"Viele sind gar nicht mehr gewohnt, sich in der freien Natur zu bewegen", meint der 40-jährige mit den graumelierten Haaren. "Deswegen lernen sie erst einmal in einem Halbfreigehege, natürliches Fressen zu finden und sich zu bewegen." Nach etwa sechs Monaten werden die Affen in den Nationalpark entlassen.
Aber sie verschwinden nicht völlig für die Wissenschaft. Pascal Fust kann sie anhand der Computerchips, die er ihnen implantiert hat, jederzeit verorten und so studieren, wie sie sich in der freien Natur bewegen. Dabei wird auch er unterstützt von vietnamesischen Kollegen.
Investition in die Artenvielfalt
Den westlichen Wissenschaftlern ist es wichtig, Wissen und Erfahrung weiterzugeben, wie Sladjana Miskovic betont. "Das Projekt ist nicht dazu gedacht, dass wir ewig hier bleiben. In den nächsten Jahren wollen wir mehr und mehr Verantwortung abgeben." Noch unterstützt der Kölner Zoo den Nationalpark jedes Jahr mit rund 60.000 Euro. Ziel ist es aber, dass die vietnamesische Seite irgendwann alleine in der Lage sein wird, den Park zu managen - fachlich und finanziell.
Autorin: Aygül Cizmecioglu
Redaktion: Judith Hartl