Reporter-Tagebuch Chile
1. Juni 2010Paradies Kontrollzentrum
Nach 5 Stunden Autofahrt von der Hauptstadt Santiago in den Norden Chiles, kommen wir am Nachmittag im Windpark Totoral an. Das Problem: wir sind nicht angemeldet. Die isländische Aschewolke hat unsere Abreise aus Berlin um drei Tage verzögert. Nun haben sich alle Termine verschoben. Zu unserer Überraschung ist der Park 24 Stunden, 7 Tage die Woche besetzt. An diesem Samstag hat Javier Dienst. Freundlich empfängt er uns in einem hochmodernen Kontrollzentrum. Es ähnelt eher einer edlen Villa. Dunkles Holz, viel Glas und von der Terrasse ein grandioser Blick weit über den Pazifik. Nun fehlen nur noch der Sonnenstuhl und dazu ein Cocktail. Damit hätten wir hier in der chilenischen Provinz nicht gerechnet.
Sicher ist sicher sicherer
Bevor wir jedoch zum Drehen in den Park dürfen, gibt Javier uns eine Sicherheitseinweisung. Die ist für alle Besucher obligatorisch. Er wirft seinen Laptop an. Ich ahne schon, das könnte länger dauern. Er beginnt mit allgemeinen Hinweisen: Helm, Sicherheitsschuhe und Warnweste seien zwingend vorgeschrieben. Auf den Schotterpisten im Park darf nicht schneller als 30 km/h gefahren werden, immer mit Licht und selbstverständlich nicht unter Drogeneinfluss. Damit wäre im Grunde alles Wesentliche gesagt. Doch die Powerpoint-Präsentation von Javier ist erst auf Seite Eins.
Es folgen Verhaltensregeln im Umgang mit Chemikalien und beim Arbeiten in großer Höhe, Gefahren von Elektrizität im Allgemeinen und Besonderen. Na gut, aber wir wollen ja keine Windräder installieren, sondern sie lediglich filmen. Javier ist erst auf Seite drei. Eine gute halbe Stunde ist vergangen. Ich werde langsam nervös, doch Javier lässt sich nicht beirren: Hinweise zu schwebenden Gegenständen von Kränen, zu Kollisionen mit anderen Fahrzeugen, Vorsichtsmaßnahmen bei zu hoher Sonneneinstrahlung, bei Kälte und Wind - inzwischen ist er auf Seite 5 angelangt. Rund 45 Minuten sind vergangen. Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her. Nun folgt eine umfangreiche Einweisung über das Verhalten bei Erdbeben. O.k., das ist ein heikles Thema hier in Chile. Ich traue mich daher nicht, etwas einzuwenden. Nachdem Javier uns noch das Basiswissen über Evakuierungspläne und Erste-Hilfe-Maßnahmen vermittelt hat, entlässt er uns nach gefühlten 3 Stunden endlich in den Park - ohne Begleitung, ohne Helm und Warnweste, ohne Sicherheitsschuhe. Unsere Anwesenheit interessiert von da an niemanden mehr.
Wer essen will, muss laufen können
Sonntagmorgen 09:00 Uhr: das 2000-Einwohner-Dorf Canela am Fuße der Anden schläft noch. Sagen sich hier auch sonst Fuchs und Hase im wahrsten Sinne des Wortes Gute Nacht, so ist nun erst recht nichts los. Sonntägliche Ruhe ist zwar schön, aber wir haben Hunger. Unsere Pension ist ohne Frühstück, also müssen wir sehen, was das Dorf so zu bieten hat. Und das ist nicht allzu viel. Es lassen sich weder Einwohner auf der Straße blicken, noch sind irgendwelche Geschäfte geöffnet – von Restaurants oder Cafés ganz zu schweigen.
Wir unternehmen einen ausgedehnten Spaziergang. Mit uns unterwegs ist Tim-Patrick Meyer, der Projektleiter von der GTZ. Auch ihm knurrt der Magen. Doch er bleibt optimistisch: es könne eigentlich in Chile nicht sein, das ALLES zu hat. Irgendeinen Laden gäbe es immer. Wir suchen weiter. Noch mal eine Runde in die andere Richtung. Inzwischen sind wir an etwa 5 geschlossenen Restaurants vorbeigekommen. Unter Restaurant darf man sich in Canela nicht zu viel vorstellen. Doch am Vorabend haben wir trotzdem sehr lecker gegessen. Ich freunde mich mit dem Gedanken an, dass ein Tag ohne Frühstück nicht schlimm ist und am Mittag ja alles aufmachen wird.
Geschichte zum Frühstück
Inzwischen haben wir das ganze Dorf gesehen und weitere geschlossene Geschäfte. Doch plötzlich taucht „El Castillo“ auf. Zu Deutsch: das Schloss oder die Festung. War der Laden vorhin auch schon da? Beim Betreten deutet zunächst nichts auf Essen hin. Doch siehe da: versteckt unter blaukarierten Tüchern finden wir Backwaren! Kein Schloss, sondern ein Bäcker. Und ein ganz besonders netter noch dazu. Eigentlich wollte er erst gar nicht öffnen, hat es sich dann aber anders überlegt. Und dann zaubert der Inhaber Hernan Käse, Schinken und hausgemachte Marmelade hervor und macht uns belegte Brote. Dazu gibt es Instantkaffee und Geschichten aus dem Dorf.
Sein Laden läuft viel besser, seit die Windparks in der Nähe sind. Und Arbeiter und Touristen in den Ort kommen. Er sei ja der einzige Bäcker und komme mit der Arbeit kaum nach. Das Bäckerhandwerk hat er sich selbst beigebracht. Und demnächst will er noch einen Brotback-Kurs machen. Super! Chilenisches Frühstück. Und wieder mal ein Beispiel für die große Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Einwohner – nicht nur von Canela.
Autorin: Claudia Laszczak
Redaktion: Klaus Esterluß