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Reisen und CO2 - Urlaub mit schlechtem Gewissen?

23. Juni 2023

Staus auf Autobahnen, volle Flughäfen: Millionen Deutsche starten in die Sommerferien, produzieren jede Menge CO2 und schaden dem Klima. Kann Verzicht die Lösung sein?

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"Climate Action" steht auf einem großen grünen Quader, der auf Kunstrasen steht. Im Hintergrund ist die Altstadt von Lübeck vor blauem Himmel zu sehen.
Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind auch bei Städtereisen mehr und mehr ein ThemaBild: Sabine Kinkartz/DW

80 Prozent aller Deutschen sind sich über die Verantwortung des Menschen für den Klimawandel im Klaren. Das sagt der WWF, der World Wildlife Fund. Auf ihre Urlaubsreisen wollen die meisten trotzdem nicht verzichten. 2022 zählte der Deutsche Tourismusverband mehr als 67 Millionen Reisen. Das Niveau vor der Corona-Pandemie ist damit längst wieder erreicht, 2023 könnte sogar ein neues Rekordjahr werden.

Wer wissen will, wie eine Reise die persönliche CO2-Bilanz belastet, für den stellt das Umweltbundesamt im Internet einen Rechner zu Verfügung. Nach Angaben der Welttourismusorganisation, UNWTO, verursacht eine Reise im internationalen Durchschnitt etwa 0,25 Tonnen CO2. Laut WWF trägt der Tourismus mit rund fünf Prozent aller Treibhausgasemissionen zur Erderwärmung bei. Drei Viertel dieser Emissionen werden durch die Verkehrsmittel verursacht.

Reisen hat zwei Seiten

Petra Hedorfer, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus, sieht das Problem durchaus. Die Konsequenz könne aber nicht Verzicht sein. "Keine Mobilität ist sicherlich die schlechteste Lösung", sagt sie im Gespräch mit der DW. Reisen habe einen sozialen Aspekt, fördere Weltoffenheit und Toleranz.

Petra Hedorfer, Vorstand DZT und Christian Martin Lukas, Geschäftsführer der Lübeck Travemünde Marketing stehen an einem Sommerabend in Lübeck nebeneinander und schauen sich an. Hedorfer hält ein Mikrofon in der Hand und spricht.
Werben für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus: DZT-Vorstand Petra Hedorfer und Christian Martin Lukas, Geschäftsführer Lübeck-Travemünde MarketingBild: Sabine Kinkartz/DW

Der Tourismus sei zudem in sehr vielen Ländern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber. "Allein in Deutschland haben wir drei Millionen direkt Beschäftigte." Und zudem stehe der Tourismus für Freiheit. "Nicht mehr zu reisen hieße ja auch, den Menschen das Grundrecht zu nehmen, individuelle Freiheit nach der UN-Charta auch individuell gestalten zu können."

Flugzeuge, die 30 Prozent weniger Kerosin verbrauchen

Die Branche setzt vor allem auf technologische Lösungen. Mehr Fahrten mit der Bahn, weniger mit dem Auto, und wenn ja, dann mit elektrischem Antrieb. Flugzeuge der neuesten Generation verbrauchen bis zu 30 Prozent weniger Kerosin. Bis 2030 will die Lufthansa 195 dieser neuen Maschinen in Betrieb nehmen. Große Hoffnungen, so sagt der Vertriebs-Direktor Deutschland der Lufthansa, Alexander Tolweth, setze man auf Sustainable Aviation Fuels, also Kraftstoffe, die ohne fossile Energiequellen hergestellt werden können.

Umweltfreundlicher reisen: Nachtzug statt Flugzeug

Schon jetzt können Kunden Flugtickets kaufen, über die sie diese Kraftstoffe mitfinanzieren, die anteilig bis zu 20 Prozent beigemischt werden können. Doch die bislang produzierten Mengen reichen bei weitem noch nicht aus. Die Lufthansa, so Tolweth, habe sich vertraglich bereits nachhaltiges Kerosin für eine Viertelmilliarde US-Dollar gesichert, um die in den kommenden Jahren absehbar steigende Nachfrage bedienen zu können.

Geringerer Ressourcenverbrauch spart Geld 

"Eine Brücke dorthin kann die CO2-Kompensation sein", sagt Touristikerin Petra Hedorfer und meint damit Ausgleichszahlungen an Klimaschutzprojekte. "Viel zu wenige Menschen kompensieren ihre Reisen. Das klarer auch herauszustellen und dafür zu werben und es einfacher zu machen finde ich einen guten Schritt."

In einem Hotelzimmer in Lübeck steht ein Flyer, der den Gästen Anweisungen gibt, wie sie Ressourcen sparen können: Die Fenster nicht dauerhaft offen halten, Heizung und Licht in Abwesenheit ausschalten, Treppe statt Aufzug nutzen. Wer auf die Zimmerreinigung verzichtet, bekommt ein Freigetränk
Wasser, Strom und Wärme sparen: Appell an Hotelgäste in LübeckBild: Sabine Kinkartz/DW

Doch nicht nur der Verkehr zählt. Die gesamte Reisebranche will nachhaltiger werden - und das nicht nur aus ökologischen Gründen. Wer als Hotelier weniger Bettwäsche, Handtücher, Wasser und Strom verbraucht, reduziert die Betriebsausgaben deutlich. Mit Nachhaltigkeit wird auch zunehmend geworben. "Eine klare Positionierung des Reiselandes Deutschland als Marke für nachhaltigen Qualitätstourismus ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft im internationalen Wettbewerb der Destinationen", so Hedorfer.

Im Dschungel der Zertifikate für nachhaltiges Reisen

Doch wie genau kann diese Nachhaltigkeit aussehen? Da müsse sich auch in Deutschland viel ändern, sagt Uwe Hiksch vom Verband Naturfreunde Deutschland. "Es darf ein Urlaub nicht darin bestehen, dass die Alpen zu Disneyland ausgebaut werden, und es darf nicht passieren, dass die Luxus-Resorts ausgebaut werden. Ich denke nur beispielsweise an das Recht auf Wasser, wenn Golfplätze mitten in wasserarmen Regionen gebaut werden, wenn Swimmingpools in wasserarmen Bereichen gebaut werden", so Hiksch bei einer Anhörung im Tourismus-Ausschuss des Bundestags.

Italien: Kampf ums Wasser

Wer sich um Nachhaltigkeit bemüht, möchte das natürlich auch glaubhaft an die Gäste und Kunden vermitteln. Aus diesem Bedürfnis hat sich eine regelrechte Zertifizierungsindustrie entwickelt. Weltweit gibt es rund 800 verschiedene Zertifikate und Labels, die nachhaltige Angebote im Tourismus auszeichnen. Deutschland kommt auf rund 180. Wer soll da noch durchblicken? Experten regen an, Dachmarken zu bestimmten Kriterien zu installieren, unter denen einzelne Labels gebündelt werden könnten.

"Kilometer liegen vor uns"

Die Stadt Lübeck, nordöstlich von Hamburg gelegen, ist 2023 mit dem Zertifikat "Nachhaltiges Reiseziel" ausgezeichnet worden. Mit ihrem pittoresken mittelalterlichen Stadtkern, der UNESCO-Weltkulturerbe ist, zieht Lübeck jedes Jahr bis zu 2,4 Millionen Gäste an und macht damit bis zu 840 Millionen Euro Umsatz. Damit ist der Tourismus einer der größten Wirtschaftsfaktoren der Stadt, die weltweit für Marzipan bekannt ist, eine Süßigkeit aus Mandelkernen, Zucker und Rosenwasser.

In einem Schaufenster in Lübeck stehen aus Marzipan geformte Häuser, die das Stadtbild von Lübeck nachbilden. Die Farben sind dunkles Rot und helles Braun
Stadtbild aus Marzipan in einem Schaufenster in LübeckBild: Sabine Kinkartz/DW

Christian Martin Lukas, Geschäftsführer von Lübeck-Travemünde Marketing, ist stolz, dass seine Stadt nun als nachhaltiges Reiseziel gilt. "Die Zertifizierung fußt auf sehr, sehr vielen einzelnen Kriterien. Ob Hoteliers, Gastronomen oder touristische Anbieter, man muss seinen Betrieb unter die Lupe nehmen und Schritt für Schritt verbessern", erklärt er im Gespräch mit der DW. Ein Weg, für den das Zertifikat nur der Beginn sein könne. "Die ersten Meter liegen hinter uns, aber ich sage auch ganz offen, es liegen Kilometer vor uns."

Elektrisch fahren oder Bäume pflanzen

Zur Anreise nach Lübeck werden öffentliche Verkehrsmittel empfohlen, das 49-Euro-Ticket, mit dem man bundesweit den Nahverkehr nutzen kann, sei eine "große Chance", sagt Lukas. Wer dennoch mit dem Auto anreist, kann Bäume pflanzen, um den CO2-Ausstoß der Reise zu kompensieren. Immer mehr Busse in Lübeck fahren elektrisch, und auch die Boote, mit denen man auf dem Fluss Trave die Altstadt umfahren kann, haben einen Elektromotor.

Touristen stehen in der Altstadt von Lübeck auf dem Marktplatz und fotografieren die mittelalterlichen, prunkvollen Hausfassaden
Mit Handel und Schifffahrt verdiente Lübeck über Jahrhunderte viel Geld. Heute erfreuen sich viele Touristen an den prunkvollen Hausfassaden Bild: Sabine Kinkartz/DW

Lukas erzählt von einem Festival, bei dem für die Werbeflyer Papier benutzt wurde, das mit Blumensamen präpariert ist. Nach dem Gebrauch können die Flyer ins Blumenbeet gesteckt werden. "Wir haben das Catering-Angebot so ausgelegt, dass wir auf Fleisch tatsächlich verzichtet haben, und haben mit lokalen Künstlern und Anbietern gearbeitet."

Bewusst für ein nachhaltiges Reiseziel entscheiden

Der Weg zur Nachhaltigkeit, so betont Lukas, sei ein "sehr, sehr kleinteiliger", und er habe auch nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen ökonomischen und sozialen Aspekt. Jeder Einzelne sei gefragt, auch die Touristen. "Als Gast kann man sagen, ja, man geht in eine Destination, die Nachhaltigkeit ernst nimmt. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen."