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Rein Gold: Kalauernde Uraufführung

Michael Scaturro, pz (dpa)12. März 2014

Für die Münchner Opernfestspiele hatte Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek einen Essay über Wagners Ring geschrieben. Regisseur Nicolas Stemann hat den Text mit Musik verbunden und in Berlin als Oper uraufgeführt.

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Das Bühnenbild der "Rein Gold"-Uraufführung macht die Baustelle der Staatsoper Unter den Linden selbst zum Walhall. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

2012 hatte die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek auf 130 Seiten ihre Gedanken zum deutschen Komponisten Richard Wagner und dem Kapitalismus aufgeschrieben. Ausgehend vom großen Dialog zwischen Göttervater Wotan und seiner Lieblingstochter Brünnhilde im 3. Akt der "Walküre", rollte die Österreicherin die Geschehnisse neu auf und verlängerte sie in unsere Gegenwart. Der gefeierte Theaterregisseur Nicolas Stemann hat den Text in Berlin jetzt mit der Musik von Wagner und allen verfügbaren technischen Mitteln verbunden. Dazu spielt die Staatskapelle Berlin unter Dirigent Markus Poschner.

Die Lindenoper als Kreditfalle

Wotan, verkörpert von Jürgen Linn, hat sich für den Bau von Walhall überschuldet. Seine von Rebecca Teem gegebene Tochter Brünnhilde steht im Konflikt: "Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie." Rein Gold" stellt die Verbindung zwischen dem "Ring des Nibelungen" und unserer Konsumwelt her.

Kronleuchter schlummern unter Folie. Das Bühnenbild von Katrin Nottrodt stellt Walhall als (immer teurer werdende) Dauerbaustelle der Lindenoper Unter den Linden selbst dar.

Szene der "Rein Gold"-Uraufführung zeigt die Sänger und Schauspieler unter Kronleuichtern, die unter Folie schlummern. (Foto: picture alliance/Tagesspiegel)
Kronleuchter unter FolieBild: Arno Declair/Staatsoper Berlin

Drei Schauspieler - Philipp Hauß, Katharina Lorenz, Sebastian Rudolph - halten als Kinder den Text von Elfriede Jelinek immer in der Hand, verausgaben sich in marxistischen Lehrstunden und erbitterten Anklagen: Vater Wotan habe sich das Geld von den Banken geholt, sich damit selbst zum Sklaven der Finanzindustrie gemacht.

Mit Gesang gegen Protest

Wotan reagiert mit Gesang auf ihren Protest. Doch dem Wagner-Puristen geht die knapp dreistündige, mal brillante, oft aber langatmige Inszenierung schnell zu weit: Richard Wagners "Ring"-Musik steht zwar im Mittelpunkt der Inszenierung, wird aber von Regisseur Nicolas Stemann ganz nach dem Jelinekschen Prinzip als Material übernommen, überschrieben und neu zusammengesetzt.

Komponist David Robert Coleman zielt in seinen Arrangements auf Demontage. Er zitiert Wagner - auch mal rückwärts, überblendet und verfremdet. So stimmt Jürgen Linn über der Orchesterklage zu Siegfrieds Tod "No More Heroes" von The Stranglers an. Über verfremdete Synthesizer-Elektroklänge dozieren die drei Schauspieler, bis es jeder im Publikum versteht: Kapitalismus, Karl Marx, Wagner und das Scheitern der Erlösung durch Geld hängen zusammen. Eigentum ist Diebstahl. Letztlich ist jeder von uns ein Dieb. "Und Gott selbst ist zum Sklaven des Geldes geworden", kalauert es kapitalismusfeindlich von der Bühne im Schiller-Theater. Wagner selbst hatte 1849 ähnlich in seinem Aufsatz "Die Revolution" geschrieben.

Theaterregisseur Nicolas Stemann (Foto: doris spiekermann-klaas pixel)
Regisseur Nicolas StemannBild: Picture-Alliance/Tagesspiegel

"Rein Gold" will im Heute sein: Die Rheintöchter schwimmen im Geld. Aber die Finanzwirtschaft vernichtet Arbeitsplätze. Die Staatskapelle wird auf einem Podium lautlos von der Bühne gerollt. Dann kommen nur noch Synthesizer. "Hat doch seit Jahren keiner mehr gesehen, so einen Arbeiter", kommentiert Brünnhilde. Papa habe einen Helden versprochen und könne nun nicht liefern, beklagt sie weiter. Moderne Helden tragen kein Schwert sondern Smartphones. Wagners Musik verschmilzt mit modernen Klängen.

Leichen vom Bühnenhimmel

Leichen fallen mit lautem Krach vom Bühnenhimmel. Paulchen Panther betritt die Bühne, das Maskottchen der nationalsozialistischen NSU-Terrorgruppe. Drei Schauspieler fahren auf dem Fahrrad im Kreis über die Berliner Bühne. Das Wohnmobil der Terrorgruppe rollt herein. Per Handkamera ist die Selbsterschießung der zwei NSU-Mitglieder zu sehen.

Das Wohnmobil fängt Feuer. Ein Kind spielt die Schlusstöne der "Götterdämmerung" von Band ab. "Wir werden tot sein, aber das Geld wird leben!", heißt es am Ende. Ganz platt.

Das brennende Wohnmobil in der "Rein Gold"-Uraufführung (Foto: doris spiekermann-klaas pixel)
Terror in der OperBild: Arno Declair/Staatsoper Berlin