Regenbogen auf die Ränge
3. Juli 2014An die Bedrohungen hat sie sich fast schon gewöhnt. Mindestens ein Mal pro Woche bekommt sie eine "unfreundliche" Nachricht über Facebook, erzählt Thaís Nozue. Manche wünschen ihr den Tod, andere beleidigende Mitteilungen fordern, dass sie die Fanclub-Seite wieder einstellt.
Nozue ist Mitbegründerin des alternativen Fanclubs "Palmeiras Livre" (Deutsch: Freie Palmeiras). Seit Anfang 2013 hat der Club auch eine Seite in dem sozialen Netzwerk Facebook. Sie und ihre Freunde wollen mehr Toleranz gegenüber Menschen erreichen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben, und Anfeindungen von den Tribünen des traditionsreichen Fußballclubs Palmeiras aus São Paulo verbannen.
Mehr als zehn Fanclubs, die sich gegen Homophobie aussprechen und für mehr Vielfalt einsetzen, haben sich im ganzen Land seit 2013 gegründet. Den Anfang machten Fans des international erfolgreichen Fußballvereins Atlético Mineiro aus der Großstadt Belo Horizonte. Sie gründeten den Fanclub "Galo Queer", den mittlerweile rund 7500 Menschen auf Facebook unterstützen. Eine kleine Revolution in einem Land, in dem Machismus noch immer eine große Rolle spielt.
Homophobe Beleidigungen
Diese neuen Fanbewegungen untersucht Flávio de Campos, Professor an der Universität São Paulo: "Die Diskussion über Homophobie im Fußball steht in Brasilien gerade am Anfang", sagt Campos. Es sei ein langer und langsamer Prozess, ergänzt er. Campos will die Diskussion weiter anheizen und organisiert neben seinen Forschungen zahlreiche Kampagnen für mehr Toleranz im Fußball.
Homophobe Beleidigungen sind auf den Tribünen der brasilianischen Fußballstadien keine Seltenheit. Auch während der WM sollen bereits mehrmals Spieler von aufgebrachten Fans als "Schwuchteln" bezeichnet worden sein. Die FIFA ist dagegen noch nicht vorgegangen, obwohl sexuelle Diskriminierungen von den Fantribünen aus ausdrücklich verboten sind.
Fußballer küsst seinen Freund
Der Fußballspieler Emerson Sheik vom brasilianischen Erstligisten Botafogo aus Rio de Janeiro bekam die negativen Vorurteile gegen Schwule besonders stark zu spüren. Nachdem er mit seinem damaligen Team Corinthians aus São Paulo im August 2012 ein wichtiges Spiel gewann, feierte er den Sieg mit seinem besten Freund. Im sozialen Netzwerk Instagram postete er ein Foto, auf dem er diesem einen Kuss auf den Mund gibt. "Man muss sehr mutig sein, um seine Freundschaft zu feiern - ohne Angst davor, was Menschen, die Vorurteile haben, sagen werden", schrieb er unter das Foto. Sheik hat sich nie als homosexuell geoutet und hatte bis vor Kurzem eine Beziehung mit einer brasilianischen Schauspielerin.
Die negativen Reaktionen nach der Veröffentlichung des Fotos ließen nicht lange auf sich warten: Nicht nur im Internet wurde Sheik von allen Seiten schwer beleidigt, selbst Anhänger des eigenen Fanclubs fertigten riesige Banner an. "Hier ist nur Platz für Männer", "Schwuchteln - nein danke!" sind nur zwei der Anfeindungen, die die Mitglieder des zweitgrößten organisierten Fanclubs der Corinthians, "Camisa 12", sich daraufhin einfallen ließen. Die Posse um das Foto war einer der Gründe, warum Sheik sich kurz darauf dazu entschied, den Club zu wechseln.
Die WM-Chance verpasst
Die WM wäre eine gute Gelegenheit gewesen, noch größere Kampagnen für mehr Toleranz im brasilianischen Fußball zu starten, sagt Flávio de Campos. "Wir sprechen viel über Rassismus, was auch sehr wichtig ist, doch wir verpassen gerade eine große Chance: Und zwar die, mehr Aufmerksamkeit - auch von den Medien - für das Thema Homosexualität zu bekommen."
Auch Thaís Nozue hätte gerne die WM genutzt, um zum ersten Mal öffentlich gegen Homophobie auf den Rängen im Stadion zu protestieren und nicht mehr nur über den virtuellen Fanclub zu agieren. Doch noch traut sie sich nicht: "Wir sind zu wenige", sagt Nozue. "Wir versuchen gerade, eine größere Gruppe zusammenzubekommen, um uns dann gemeinsam im Stadion für mehr Toleranz einzusetzen."
Dabei gab es bereits in den 1970er-Jahren organisierte Fanclubs, die sich auch öffentlich in brasilianischen Stadien zeigten. Die Gruppe "Coligay", die den südbrasilianischen Verein Grêmio Porto Alegre unterstützte, gilt als die erste schwul-lesbische Fanvereinigung Brasiliens. Diese inspirierte auch damals die Gründung weiterer Clubs, wie der "Flagays" von Flamengo aus Rio de Janeiro. Als das Team allerdings damals ein wichtiges Spiel verlor, wurden die "Flagays" dafür öffentlich verantwortlich gemacht und von vielen Seiten attackiert, woraufhin sie sich wieder auflösten.
Gesellschaft im Wandel
Brasiliens Schritte hin zu einer toleranteren Gesellschaft sind zwar klein, doch es gibt sie. So sind Küsse homosexueller Paare in den beliebten Telenovelas fast schon zur Normalität geworden und auch auf den Straßen großer Städte zeigen sich immer mehr homosexuelle Paare problemlos in der Öffentlichkeit. Seit 2011 sind gleichgeschlechtliche und heterosexuelle Partnerschaften rechtlich gleichgestellt.
Auch der deutsche Autor des Buches "Fußball in Brasilien: Widerstand und Utopie", Thomas Fatheuer setzt darauf, dass die Gesellschaft sich weiter öffnet: "Ich glaube, diese Fanclubs sind Teil eines großen Wandels." Fatheuer lebte fast 20 Jahre in Brasilien und leitete dort zuletzt das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro: "Es sind viele kleine Funken, die allerdings zusammenkommen und ein Zeichen setzen."
Trotzdem: Der Fußball ist noch immer ein spezielles Territorium, in dem das Thema Homosexualität ein großes Tabu ist. In ganz Brasilien gibt es keinen bekannten Spieler, der sich öffentlich als schwul geoutet hat. Auch das großes Aufsehen um das zeigt, dass selbst in Deutschland das Thema noch nicht zur Normalität gehört. Thaís Nozue, die schon von klein an Fan ihres Clubs Palmeiras ist, bleibt trotzdem zuversichtlich: "Auch Schwule und Lesben mögen Fußball." Und das muss einfach mal gesagt werden.