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Rechtsextreme Kameradschaften

Nicolas Martin24. August 2012

Es war ein harter Schlag gegen die Neonazi-Szene. Die Polizei löste gleich drei rechtsextreme Kameradschaften an einem Tag auf. Doch in Deutschland gibt es ungefähr 150 derartige Organisationen.

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Ein Teilnehmer einer NPD-Veranstaltung im Jahr 2008 in der Nähe von Aachen trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck "Kameradschaft" Foto: Fredrik von Erichsen dpa/lnw pixel
Bild: picture-alliance/dpa

"Fremdenfeindlich, antisemitisch und eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben", so begründete der Innenminister des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (NRW) Ralf Jäger sein Vorgehen gegen drei rechtsextreme Gruppen. Insgesamt 900 Beamte waren am Donnerstag (23.08.2012) gegen die Mitglieder der "Kameradschaft Aachener Land", dem "Nationalen Widerstand Dortmund" und der "Kameradschaft Hamm" ausgerückt. Die Beamten durchsuchten Gebäude, Wohnung und Vereinsheime in mehr als 32 Städten in NRW. Dabei beschlagnahmten sie Schusswaffen, Schlagstöcke und Springmesser.

In die Strukturen der Neonazis sind große Löcher gerissen worden, so Ralf Jäger. Der Verfassungsschutz NRW geht von 400 bis 600 Rechtsextremisten in dem Bundesland aus. Vor allem die Stadt Dortmund ist bekannt als neues Zentrum für Rechtsextreme, meint Fabian Wichmann von der Gesellschaft Demokratische Kultur, die "Exit", ein Aussteigerprogramm für Rechtsextreme, organisiert. Auch in Dortmund will "Exit" ein Büro eröffnen. "Die Stadt ist so etwas wie das logistische Zentrum der Rechtsextremen in NRW", sagt Wichmann. Unter anderem gebe es einen rechtsextremen Internet-Anbieter in Dortmund. "Wenn der abschaltet, wird ein Großteil aller deutschen Kameradschafts-Seiten weg sein". Auch ein soziales Netzwerk für Neonazis habe seinen Sitz in Dortmund. "Diese Aktivitäten wird man jetzt untersuchen", berichtet Aussteigeberater Wichmann im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Bei einer Durchsuchung beschlagnahmte Gegenstände der "Kameradschaft Hamm" liegen am Donnerstag (23.08.2012) in Dortmund auf einem Tisch. Foto: dpa
Beschlagnahmte Gegenstände bei der "Kameradschaft Hamm"Bild: picture-alliance/dpa

Europaweit vernetzt

Laut dem Verfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen sind die Kameradschaften in den 90er Jahren entstanden. Nach mehreren Brandanschlägen von Rechtsextremen mit vielen Todesopfern verbot die Polizei mehrere Neonazi-Vereinigungen. Die suchten sich daraufhin neue Schlupflöcher. "Man versucht heute über die losen Strukturen der Kameradschaften aktiv zu sein und so polizeilichen Repressionen auszuweichen, hat aber intern klare Strukturen mit Hierarchien und einem Anführer", beschreibt Wichmann.

Schon längst ist es nicht mehr nur der Osten Deutschlands, der wegen rechtsextremer Vorfälle Schlagzeilen macht. Insgesamt gibt es ungefähr 150 Kameradschaften, die auf ganz Deutschland verteilt sind. "Es ist ein Mythos, dass der Rechtsextremismus ein ostdeutsches Problem ist", sagt Wichmann. Zwar gebe es rund um Sachsen ganz besonders gewaltbereite Neonazis, die Strukturen seien aber ganz gezielt nach der Wende von "Kadern" aus dem Westen geschaffen worden: "Die haben die vielen Menschen, die nach dem Mauerfall orientierungslos waren, vorgefunden und das entsprechend genutzt."

Die Mitglieder der Kameradschaften sind heute längst nicht mehr nur klassische Skinheads mit Springerstiefeln und Bomberjacken: "Wir haben ein sehr breites Spektrum - also von sozial Schwachen bis hin zum wirklich gut integrierten Bürger", erklärt Wichmann. Darunter seien auch häufig Frauen: "Alle eint die Umsetzung des Nationalsozialismus und häufig auch die Hitlerverehrung." Die Kameradschaften sind bundesweit vernetzt, meistens über das Internet, betont Wichmann: "Gerade bei den Dortmundern sehen wir sogar Verbindungen nach Tschechien, Holland oder Bulgarien, wo man sich austauscht und diese Beziehung auch pflegt."

Neonazi Aufmarsch Foto: DPA
Seit den 90er Jahren dienen Kameradschaften als Schlupflöcher für gewaltbereite NeonazisBild: picture-alliance/dpa

Enge Verbindungen zu Parteien

Der vom Innenministerium erarbeitete Verfassungsschutzbericht 2011 spricht von einer leichten Zunahme von rechtsextremen Gewalttaten. Andererseits ist die Zahl der Personen, die zum rechtsextremen Spektrum gezählt werden können, leicht gesunken. Vor allem durch den Rückgang der Parteimitglieder. Die Deutsche Volksunion (DVU) ist in der Auflösung begriffen und hatte im vergangenen Jahr nur noch 1000 Mitglieder. Ein ähnlicher Mitgliederschwund ist auch bei der Nationaldemokratischen Partei (NPD) zu sehen.

Die Verbindung zwischen Kameradschaften und den rechtsextremen Parteien ist eindeutig. Bei der Razzia in Dortmund fielen den Beamten rund 1000 NPD-Plakate in die Hände. "Dies zeigt die enge Verflechtung dieser rechtsextremistischen Partei mit der gewaltbereiten Neonazi-Szene in NRW", bilanzierte NRW-Innenminister Jäger. Eines der Plakate trug sogar die Original-Unterschrift des ehemaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt.

Der ehemalige Vorsitzende der NPD, Udo Voigt bei einer Rede Foto: dapd
Die NPD verliert immer mehr MitgliederBild: dapd

Der Schlag gegen die Gruppen in NRW ist Teil einer laufenden Offensive gegen die rechte Szene. Bereits im März, April und Mai hatte die Polizei in NRW rechtsextreme Gruppierungen verboten. Ende 2011 wurde in Deutschland die Existenz der rechtsterroristischen Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bekannt. Die Gruppe hatte zur Zeit der Entdeckung bereits systematisch über Jahre hinweg insgesamt zehn Menschen aus rassistischen Motiven umgebracht. Zwar agierte das Trio autark, war aber dennoch über Kameradschaften in die rechtsextreme Szene eingebunden. Dies sei auch ein Grund, warum die Behörden jetzt sehr entschlossen bei den losen rechtsextremen Verbindungen durchgriffen, sagt Wichmann: "In Dortmund hat man sich schon länger intensiv um das Problem gekümmert, aber die Mordserie der NSU hat dann wahrscheinlich das Fass zum Überlaufen gebracht."