Angriffe auf lokale Politiker häufen sich
8. Januar 2020Arnd Focke hatte genug. Zu oft wurde er Opfer rechtsextremer Bedrohungen. Seine Konsequenz: Zum 31. Dezember 2019 legte der 48-Jährige sein Amt als Bürgermeister der Gemeinde Estorf nieder. "Die Entscheidung hat weh getan, aber sie war richtig", sagt Focke. Immerhin stand er acht Jahre lang an der Spitze des Örtchens in Niedersachsen, das knapp 1700 Menschen beheimatet.
Focke, der sich seit Jahren in der Flüchtlingshilfe einsetzt, wurde regelmäßig zur Zielscheibe von Attacken aus der ganz rechten Ecke. Schon vor einiger Zeit habe er "immer wieder mal" nachts Drohanrufe erhalten. "Aber dem habe ich mich gewappnet gesehen", sagt er.
Doch es blieb nicht bei Drohanrufen. Fockes Privatauto wurde mit Hakenkreuzen beschmiert. In seinem Briefkasten fand Estorfs Bürgermeister plötzlich Zettel. "Wir vergasen dich wie die Antifa", stand da drauf. "Das war jetzt einfach zu viel. Das wurde zu persönlich und zu direkt", sagt Focke.
Rücktritt als letzte Konsequenz
Der Rücktritt des ehemaligen Bürgermeisters sorgte für großes Aufsehen. Denn der Fall befeuert eine Frage, die schon seit einiger Zeit in Deutschland diskutiert wird: Wie sicher sind Kommunalpolitiker - vor allem vor rechten Attacken?
Die Fälle aus der Vergangenheit sind eindeutig: Im Oktober 2015 wird Henriette Reker - mittlerweile Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, damals noch Kandidatin - auf der Straße mit einem 40 Zentimeter langen Jagdmesser angegriffen und schwer am Hals verletzt.
Vor Gericht sagt der Täter Frank S., er habe in der viertgrößten Stadt Deutschlands ein Zeichen gegen die deutsche Flüchtlingspolitik setzen wollen. Wenige Monate zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Entscheidung getroffen, die deutschen Grenzen geöffnet zu lassen, als die Nachricht kam, dass Tausende Geflüchtete auf den Weg nach Österreich und Deutschland seien.
Anderes Jahr, anderer Ort, ähnliche Tat: Im November 2017 sticht ein 56-Jähriger mit einem 30 Zentimeter langen Messer in den Hals des Bürgermeisters der Stadt Altena in der Nähe von Köln. Noch während der Attacke soll sich der alkoholisierte Angreifer abfällig über Andreas Hollsteins liberale Flüchtlingspolitik beschwert haben.
Zwei Jahre später erreichen die rechtsextremen Angriffe auf deutsche Lokalpolitiker eine neue Eskalationsstufe: Der Regierungspräsident der mitteldeutschen Stadt Kassel, Walter Lübcke, wird im Juni 2019 vor seinem eigenen Haus mit einem Kopfschuss hingerichtet - aus nächster Nähe, wie Untersuchungen ergeben.
Und wieder: Der dringend Tatverdächtige Stephan E. nennt Äußerungen Lübckes während der Migrationswelle 2015 als Motiv. Der Regierungspräsident hatte sich offen gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit eingesetzt. Später widerruft E. sein Geständnis. Das Verfahren läuft weiterhin.
Zielscheibe von rechten Attacken
Gleichzeitig mit der Nachricht von Arnd Fockes Rücktritt gibt es eine Meldung aus dem Westen Deutschlands: Im Rheinland habe ein Bürgermeister einen Waffenschein beantragt. Auch der betroffene Politiker habe in seiner Kommune mit Rechtsextremen und Hetze zu Kämpfen.
Erst zu Beginn dieses Jahres hatte sich Gerd Landsberg, Vorsitzender des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), zu dem Thema geäußert. "Die Bedrohungslage ist leider nicht besser geworden", sagte er. Über 1000 Bürgermeister habe der Verbund, der die Interessen der deutschen Kommunen vertritt, interviewt. Das Ergebnis: Ein Viertel der Befragten sei schon einmal beleidigt oder bedroht worden.
Doch Landsberg sagte auch: "Die Bundespolitik greift das auf." In allen Bundesländern gebe es mittlerweile Ansprechpartner, wo Bürgermeister Bedrohungen melden können. Außerdem wolle der DStGB, dass Politiker-Stalking strafbar wird. Auch da gebe es Ansätze.
"Die Politik ist machtlos"
Arnd Focke aus Estorf sieht das Problem nicht bei der Politik. "Die ist machtlos. Das Problem ist in der Mitte unserer Gesellschaft. Wir stehen nicht mehr füreinander und gegen Extremismus ein", sagt er. Und: "Man darf wieder sagen, was man vor fünf Jahren nicht mal denken durfte." Das gelte sowohl für Rechtsradikale, als auch für Linksradikale.
Doch woher kommt diese Entwicklung? Focke meint: "Wir haben bei der Bildung versäumt. Man muss den Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass wir in Deutschland eine Vergangenheit haben, die sich nicht wiederholen darf. Und dazu gibt es viele Menschen, die unzufrieden sind und sich zu leicht manipulieren lassen."
Rechtspopulistische Organe wie die Partei Alternative für Deutschland (AfD) kämen als Transportmittel für rechtes Gedankengut hinzu - sie als Ursprung für radikale Attacken zu machen, sei aber zu einfach.
Der Ex-Bürgermeister setzt sein Vertrauen jetzt in die Ermittlungen des Staatsschutzes, der wegen der Hakenkreuz-Schmierereien und der Briefe tätig ist. Er glaube nicht, dass er ein Einzelfall sei. Vielmehr glaubt Focke, dass es viele Politiker gebe, die sich aufgrund von Hetze zurückziehen würden. Nur öffentlich machen würden die es nicht.