Rechtsextrem und pädophil?
19. Oktober 2016Auch in der Wohnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Zwickau wurde kinderpornographisches Material gefunden. Hier lebten die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zusammen. Seit 2013 läuft der Prozess gegen Beate Zschäpe, der einzigen Überlebenden des mutmaßlichen Terror Trios, das zehn rassistisch motivierte Morde begangen haben soll.
Die Hinweise auf Kinderpornographie haben bisher im Prozess keine Rolle gespielt, weil sie mit der Hauptanklage nichts zu tun hatten. Doch viele Zeugenaussagen offenbaren Verbindungen zu Pädophilen. Einer der Opfer-Anwälte im NSU-Verfahren, Yavuz Narin, bezeichnet im Gespräch mit der Deutschen Welle die Häufung der Fälle als "frappierend".
"Zahlreiche Personen aus dem Umfeld des NSU-Trios sind bereits in der Vergangenheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern oder der Verbreitung kinderpornographischen Materials in Erscheinung getreten", stellt Narin auch im Zuge des Aktenstudiums und eigener Recherchen in Thüringen fest. "Wir haben dort einen Sumpf, der sich bis nach Bayern und Sachsen erstreckt."
Mit schlechtem Beispiel voran
Obwohl gerade Neonazis immer wieder die "Todesstrafe" für Personen fordern, die sich an Kindern vergehen, fällt auch außerhalb des rechtsextremistischen NSU auf, dass es sehr oft Verbindungen zwischen Rechtsextremisten und Pädophilen gibt. Zwar fehlen offizielle Studien oder belastbare statistische Erhebungen zu diesem Thema, aber veröffentlichte Anklagen und Urteile belegen eine auffällige Situation.
Anwalt Narin nennt viele Beispiele: Da ist vor allem Tino B., der in über 60 Fällen wegen schweren Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen schuldig gesprochen und zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Tino B. hatte als Neonazi den "Thüringer Heimatschutz" geleitet und stand als V-Mann des Verfassungsschutzes immer wieder in Kontakt mit dem NSU-Trio. Und Hans S., ein als Waffennarr bekannter Neonazi, hat laut Narin unter anderem seine eigenen Kinder vergewaltigt.
Auch weitere Kontaktpersonen, Nachbarn und engste Freunde von Zschäpe seien erstaunlich oft mit sexuellem Missbrauch von Kindern in irgendeiner Weise in Berührung gekommen, wie Anwalt Narin im Prozess erfuhr. "Zschäpes beste Freundin brach etwa in Tränen aus und berichtete, dass ihre Tochter vom eigenen Vater sexuell missbraucht worden sei." Bei einem weiteren Zeugen, Henning H., seien Hefte mit Zeichnungen von sexuell bedrängten und zerstückelten Kindern entdeckt worden, berichtet Narin.
Kameradschaft und Kinderpornographie
Nachdem der Anwalt in einem Interview auf die Häufung von Fällen rechtsextremer Gesinnung und pädophiler Neigung hingewiesen hatte, wurde er vor zwei Jahren von Opfer-Verbänden und Betroffenen kontaktiert. "Ich bekam mitgeteilt, dass sexueller Missbrauch von Kindern gerade in der rechten Szene sehr gängig sei und dass ich deshalb nicht überrascht sein sollte."
Betroffen sind nicht nur Anhänger oder Mitglieder rechter Vereinigungen, sondern auch hochrangige Parteivertreter. Wie zum Beispiel Dominique O., der für die NPD fünf Jahre lang im Siegburger Kreistag saß. Er wurde vom Bonner Landgericht wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Auch NPD-Mitglied Thorsten E. aus dem bayrischen Mühldorf erhielt eine Strafe, allerdings auf Bewährung - für die Verbreitung von kinderpornographischem Material über das Internet. Die NPD soll sich daraufhin von ihm distanziert haben, berichtete die Lokalpresse.
In Sachsen ist die NPD ebenfalls aktenkundig. So legte der sächsische NPD-Abgeordnete Matthias P. nach Ermittlungen gegen einen Kinderporno-Händler-Ring und Verdachtsmomenten gegen ihn sein Mandat nieder, wies aber alle Vorwürfe gegen ihn zurück. Und 2013 erhielt ein NPD-Wahlkampfhelfer in Pirmasens, der ein 13 Jahre altes Mädchen schwängerte, eine Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten.
Respektlosigkeit statt Regeln
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, bestätigen die Verbände, die Opfer von Pädophilen vertreten, wie "Tauwetter" und "Zartbitter e.V." Ursula Enders von Zartbitter erklärt sich den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Pädophilie mit dem unter Rechtsextremen verbreiteten Machtmissbrauch und Respektlosigkeit.
Einen wissenschaftlich belegbaren Zusammenhang zwischen rechtsradikalen Einstellungen und pädophilen Straftaten gibt es bis jetzt allerdings nicht - darauf weist das Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) hin, das im Zusammenhang mit den Fällen von Kindesmissbrauch innerhalb der katholischen Kirche an dem Thema forscht.
Forschungsleiter Professor Harald Dreßing stellt klar: "Es gibt keine vernünftigen, empirischen Befunde zu dem Umstand, dass Pädophilie mit bestimmten politischen Einstellungen einhergeht." Dennoch räumt auch Dreßing ein: "Es ist empirisch belegt, dass es bei Tätern von Sexualdelikten an Kindern dissoziale Auffälligkeiten gibt. Oft haben diese Menschen Schwierigkeiten, Regeln einzuhalten."