Italien rechts außen
10. November 2013Die Piazzale Loreto in Mailand ist ein Verkehrsknotenpunkt, ein Kreisverkehr mit Grünfläche in der Mitte. Nicht sehr hübsch. Aber der Platz ist allen Italienern bekannt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Denn hier hängten Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer den Leichnam des faschistischen Diktators Benito Mussolini auf. Immer wieder landet Benito Mussolini bei Umfragen nach dem größten Staatsmann Italiens auf einem der ersten Plätze.
Nicht nur in Neonazi-Kreisen, sondern auch in der konservativen Bevölkerungsschicht gibt es noch Mussolini-Anhänger wie Tommaso Pini. Der Gemüsehändler an der Piazzale Loreto in Mailand glaubt, Italien sei unter dem faschistischen Regime ein sicheres Land mit klaren Regeln gewesen, und genau die bräuchte Italien heute wieder. "Heute geht es hier drunter und drüber. Man wird auf Schritt und Tritt belästigt, von Bettlern und Taschendieben. Damals konnten die Frauen unbehelligt über die Straße gehen." Tommaso Pini trägt Jeans und ein Sakko aus dunkelblauem Cord, glänzende Lederschuhe und eine randlose Brille. Wie ein übler Schläger aus der rechten Ecke, die ihre Hochburgen in Mailand, Verona und Rom haben, sieht er nicht aus. Aber ideologisch trennt ihn nichts von den martialisch auftretenden Sympathisanten neofaschistischer Gruppierungen.
Rechtsextreme Gruppen werden verharmlost
"Die tun hier viel Gutes für die Familien mit geringem Einkommen", sagt ein Mann aus der Nachbarschaft über die Mitglieder eines römischen Neonazi-Zentrums. Das Zentrum ist offiziell Begegnungsstätte und Kulturzentrum ohne ideologischen Hintergrund, doch es ist ein offenes Geheimnis in Rom, dass Anhänger der italienischen Division des in Großbritannien gegründeten Neonazi-Netzwerks "Blood & Honour" (Blut und Ehre) dahinter stecken. Die römischen Mitglieder tarnen sich als angeblich wertkonservativ und familienfreundlich.
Doch um zu sehen, wie extremistisch diese Gruppe ist, reicht ein Besuch im Internet. Dort wird zur "Reinhaltung des italienischen Volkes" aufgerufen und Gewalt gegen Ausländer, Homosexuelle und Linke angedroht. In ihrem Zentrum bieten sie dagegen ganz normale Freizeitaktivitäten und kostenlose Kinderbetreuung an. Geschickt springen sie dort ein, wo der Staat fehlt. Die anhaltende Wirtschaftskrise und die steigende Arbeitslosigkeit haben Familien des italienischen Mittelstandes in die Armut abrutschen lassen. Diese Tendenz gibt Rechten und rechtsextremen Gruppen Auftrieb, weil sie einfache Lösungen anbieten.
Kein Unterschied zwischen rechts und rechts außen
Doch es gibt auch Rechtsextreme, die ganz offen als solche in Erscheinung treten. Die 2500 Mitglieder der "Forza Nuova" (Neue Kraft) geben sich bei ihren Flugblattaktionen als solche zu erkennen. Ihre Kontakte reichen weit in die bürgerliche Mitte hinein. Auch dank persönlicher Freundschaften. Roms früherer Bürgermeister Gianni Alemanno ist beispielsweise mit der Tochter eines bekannten Neofaschisten verheiratet. Der gemeinsame Sohn leitet eine rechtsextreme Studentenbewegung. So haben rechtsradikale Organisationen in der Vergangenheit auch finanzielle Unterstützung von Gemeinden erhalten, die von Politikern aus dem bürgerlichen Spektrum regiert werden.
Die Grenzen zwischen rechts und rechtsextrem verwischen, und die politische Mitte verschiebt sich weiter nach rechts. Der frühere Regierungschef und Leitfigur des rechten Lagers, Silvio Berlusconi, hat dazu beigetragen, indem er Benito Mussolinis Politik einmal als nicht grundsätzlich schlecht bezeichnete. Mussolini habe den Fehler gemacht, sich mit den deutschen Nationalsozialisten zu verbünden, ansonsten aber habe er viel Gutes getan, so Berlusconi.
Keine Vergangenheitsbewältigung
Fast 20 Jahre war in Italien der Faschismus an der Macht. Von 1922 bis 1943 herrschte Diktator Benito Mussolini, doch die italienische Gesellschaft hat sich mit dieser dunklen Vergangenheit nicht intensiv auseinandergesetzt. Das mörderische Mussolini-Regime wird auch heute noch immer wieder als "milde Diktatur" verharmlost, sagt der Schweizer Historiker Aram Mattioli, der seit Jahren den italienischen Faschismus erforscht.
Seine Bilanz ist erschreckend: "Das faschistische Italien war der engste Partner des nationalsozialistischen Deutschlands und hat sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht." Diese würden aber aus der Erinnerung gelöscht. "Stattdessen", so Mattioli, "wird die Endphase des Zweiten Weltkriegs, in der Italien von Nazideutschland besetzt und so selbst zum Opfer wurde, ins Zentrum des Erinnerungsdiskurses gestellt." Doch das faschistische Gedankengut war niemals ganz verschwunden: Schon 1946 hatte Italien wieder eine rechte Partei, die neofaschistische "Italienische Sozialbewegung" (Movimento sociale italiano - MSI). 1995 vollzog die Partei eine ideologische Wende, nannte sich "Nationale Allianz". Sie löste sich offiziell von faschistischen Idealen und schaffte sogar den Sprung in die Regierung.
Doch viele Mitglieder folgten der neuen Linie nicht und gründeten kleinere rechtsextreme Splittergruppen. Eine von ihnen, die "Azione sociale" (Soziale Aktion), wurde von Mussolinis Enkelin Alessandra angeführt, bis diese Minipartei in Berlusconis "Volk der Freiheit" aufging. Seitdem sitzt Alessandra Mussolini, die aus ihrem Stolz auf den Großvater keinen Hehl macht, für die Konservativen im italienischen Parlament. Eine Abkehr von den faschistischen Idealen hat bisher niemand von ihr verlangt.