Reaktionen kroatischer Politiker nach der EU-Entscheidung
17. März 2005Unmittelbar nach der Entscheidung des EU-Ministerrates, den Beginn der Verhandlungen mit Kroatien ohne Festlegung eines neuen Datums zu verschieben, sagte der kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader am Mittwoch (16.3.) in Brüssel: "Auf der einen Seite haben wir erwartet, dass die Gespräche morgen beginnen, weil wir überzeugt sind, dass Kroatien alles erfüllt hat, was man in der Entscheidung des Europarates vom 17. Dezember von uns verlangt hat. Ich habe es immer wieder gesagt und stehe auch jetzt noch dahinter, dass Kroatien die Bedingung erfüllt hat, die da heißt: volle Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Weil aber die Europäische Union und daher auch der Ministerrat über diese Dinge einstimmig beschließen müssen, gab es heute keinen Konsens."
Aufnahme von Verhandlungen steht nicht in Frage
Sanader fügte hinzu, dass sich eine größere Zahl von Ländern für Kroatien als gegen Kroatien ausgesprochen habe. Aus unterschiedlichen diplomatischen Quellen hört man jedoch, dass nur acht der 25 Länder für Kroatien argumentiert hätten: Österreich, Ungarn, Slowenien, Slowakei, Zypern, Malta, Irland und Litauen. Der kroatische Ministerpräsident betonte jedoch, dass Kroatien bei der großen Mehrheit der europäischen Staaten Vertrauen genieße: "Natürlich kann ich mit der Tatsache, dass die Gespräche morgen nicht beginnen, nicht zufrieden sein, aber auf der anderen Seite möchte ich meine Zufriedenheit darüber ausdrücken, dass heute der Rahmen für die Verhandlungen angenommen worden ist, denn das stand wirklich in Frage. Es wurde schon gesagt, dass man das mit einem Szenarium eines anderen Landes verbinden könnte, bei dem das Verhandlungsziel noch offen ist", so Sanader.
Langes Warten auf die Politiker in Zagreb
Kurz nach der Nachricht aus Brüssel hängten Mitglieder der kroatischen Kriegsveteranenorganisationen in Zagreb ein Riesenplakat zu Ehren des gesuchten Generals Gotovina auf. Das war gleichzeitig auch die erste Reaktion auf die Brüsseler Nachricht, denn das offizielle Zagreb, Regierungs- wie Oppositionsseite, schwieg zunächst bestürzt. Die Journalisten warteten im Parlament lange auf Vertreter der Parteien, die zunächst den genauen Inhalt der Absage erfahren wollten, ehe sie Erklärungen abgaben.
Wirtschaft warnt vor langer Verschiebung
Zunächst konnte man nur Kommentare von Seiten politischer Analysten und Wirtschaftler hören. Dies umfassten die gesamte Bandbreite von den Selbstzufriedenen, die sagten: "Das war ja zu erwarten", bis zu denen, die tröstend einwirken wollten, indem sie erklärten, dass die Verschiebung keine Katastrophe für Kroatien darstelle. Vertreter der kroatischen Wirtschaftskammer und der kroatischen Arbeitgeber meinten, dass die Verschiebung des Verhandlungsbeginns kurzfristig keine bedeutenden negativen Auswirkungen auf die kroatische Wirtschaft haben werde. Sollten die Gespräche aber auf lange Sicht verschoben werden, so könnten die Folgen dramatisch sein. "Im Falle einer langen Verschiebung könnte es zu einer Entmutigung bei den Investoren, einem Absinken im Kredit-Rating und zu einer Einreihung Kroatiens in die Reihe von Ländern kommen, in denen sich das Kapital unsicher fühlt," so ein Wirtschaftsvertreter.
Präsident Mesic fordert Erfüllung der Bedingungen
Später dann wertete der kroatische Präsident Stjepan Mesic, derzeit auf offiziellem Besuch in Israel, die Entscheidung Brüssels als keine Überraschung: "In Anbetracht dessen, dass es keine Einstimmigkeit unter den Außenministern der Europäischen Union gab, war es zu erwarten, dass sich die EU über diese Frage nicht spaltet. Nun heißt es nicht zu verzagen, sondern die Bedingungen zu erfüllen. Ich glaube, dass wir in kurzer Frist glaubwürdig sein werden".
Stimmen weiterer kroatischer Politiker
Zlatko Tomcic, Vertreter der Kroatischen Bauernpartei (HSS) sieht in dem Beschluss von Brüssel einen Ansporn für weitere Bemühungen: "Seit Tagen wussten wir, wie die Entscheidung fallen würde und wir haben ein Anrecht auf das Gefühl, ob sie zu recht oder zu unrecht getroffen wurde. Wir haben aber nicht das Recht, mit unseren Bemühungen aufzuhören, wir müssen weiter arbeiten, als ob nichts passiert wäre und so schnell wie möglich die nächste Chance erhalten," sagte Tomcic.
Nüchtern kommentierte der Vorsitzende der Sozialdemokraten und ehemalige Ministerpräsident Ivica Racan die Verschiebung: "Wenn Brüssel Kroatien gegenüber Fehler macht, darf Kroatien selbst keine Fehler machen. Wir haben in Kroatien noch einiges zu tun, wir haben noch Probleme zu lösen, auch auf dem Weg in die EU. Wir haben genug, auf das wir uns gut und besser vorbereiten können als bis jetzt, so dass die Gespräche, wenn sie dann beginnen - und ich hoffe, dass das bald sein wird - qualitätvoller und schneller ablaufen."
Für die erste Dame der Kroatischen Volkspartei (HNS), Vesna Pusic, ist die Entscheidung das Resultat 'unglücklicher Faktoren': "Einer der Gründe für die Verschiebung ist die zu späte Erkenntnis, dass die vollständige Zusammenarbeit mit Den Haag eine wichtige Bedingung ist, die zeigt, wie weit der Rechtsstatt stabilisiert ist und funktioniert", erklärte Pusic.
Kaum Kritik an Sanader
In ihren Reaktionen stimmten die kroatischen Politiker darin überein, dass die Entscheidung über eine Verschiebung der Gespräche nicht als Misserfolg der Politik von Ministerpräsident Ivo Sanader zu interpretieren sei. Dissonante Töne kommen nur aus den Reihen der HSP (Kroatische Partei des Rechts), deren Vorsitzender Anto Dapic Neuwahlen forderte. Dapic erklärte: "Dass es kein neues Datum gibt, bedeutet, dass die Verhandlungen morgen beginnen können oder auch erst in 20 Jahren. Dies ist das schlechteste mögliche Szenario, und dafür ist die Regierung verantwortlich."
Alen Legovic, Brüssel/Ljubica Letinic, Zagreb
DW-RADIO/Kroatisch, 16/17.3.2005, Fokus Ost-Südost