Ratingagenturen in der Kritik
28. Juni 2011Europas Politiker sind nicht gut zu sprechen auf die internationalen Ratingagenturen. Jedes Mal, wenn sie eine frohe Botschaft verkünden wollen, lassen die Agenturen Hiobsbotschaften folgen. Ein Beispiel: Mitte Juni verkünden die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, dass private Investoren nicht gezwungen werden, zur Rettung Griechenlands Opfer zu bringen – sie sollen sich allenfalls freiwillig beteiligen. Die Botschaft an die Finanzmärkte: Alles wird gut, fürchtet euch nicht.
Später am selben Tag droht die Ratingagentur Moody's dem Land Italien, seine Bonitätsnote herabzustufen. Die Botschaft hier: Die Krise weitet sich aus, es droht ein Flächenbrand. Kurz darauf meldet sich die Ratingagentur Fitch zu Wort: Selbst wenn Investoren freiwillig eine Laufzeit-Verlängerung der griechischen Staatsanleihen akzeptieren, würde dies als Zahlungsausfall gewertet. Die Botschaft hier: Griechenland ist pleite, so oder so.
Verschwörung gegen den Euro
Einige Politiker wittern gar eine Verschwörung gegen den Euro. "Das Spiel der amerikanischen Ratingagenturen muss man mit großem Mißbehagen betrachten", sagte etwa Joachim Poss, im Bundestag stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, dem Sender WDR. "Es gibt auch da Kräfte, die schon immer dagegen waren, dass die Europäer dieses große Projekt einer gemeinsamen europäischen Währung anpacken."
Die Ratingagenturen sehen das natürlich anders und präsentieren sich gerne als die nüchterne Stimme der Vernunft. "Das Geschäftsmodell einer Ratingagentur basiert nahezu ausschließlich auf dem Vertrauen von Investoren", so Torsten Hinrichs, Deutschland-Chef von Standard & Poor's, im Gespräch mit DW-WORLD.DE. Agenturen seien nur unabhängige Kommentatoren, ihre Ratings drücken die Fähigkeit eines Schuldners aus, seine Verbindlichkeiten pünktlich und vollständig zu bedienen. "Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass pünktlich und vollständig gezahlt wird, in Zweifel gezogen werden muss, oder im Falle Griechenlands in deutliche Zweifel gezogen werden muss, dann muss auch die Ratingagentur durch Herabstufung reagieren", so Hinrichs.
Es geht also um die Bewertung von Wahrscheinlichkeit. Ratings sind deshalb keine exakte Wissenschaft, sondern gleichen eher einer Wettervorhersage. Bei der Pleite des US-Energiekonzerns Enron lagen die Agenturen daneben, und in der Subprime-Krise haben sie sogar eine ganze Klasse von Anlageprodukten falsch bewertet.
Europäische Ratingagentur als Alternative?
Immer wieder wird deshalb die Gründung einer europäischen Ratingagentur gefordert, als Gegengewicht zu den drei US-Agenturen. Wäre eine solche Agentur jedoch politisch beeinflussbar, würden Anleger den Ratings schlicht kein Vertrauen schenken. Und wäre sie unabhängig von der Politik, käme sie vielleicht zu denselben Urteilen wie die etablierten Agenturen.
"Wir brauchen keine Ratingagenturen, um festzustellen, dass Griechenland vor dem Staatsbankrott steht", sagt etwa der Wirtschaftsprofessor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts HWWI. "Auch eine europäische Ratingagentur könnte an dieser offensichtlichen Tatsache weder etwas ändern, noch würde sie sie korrigieren können."
Trotzdem gehört Straubhaar zu den vehementesten Kritikern der drei großen US-Agenturen. Er forderte gar ihre "brutale Entmachtung": "Es kann nicht angehen, dass letztlich privat organisierte Gesellschaften, deren oberstes Ziel die Gewinnmaximierung ist, sich wie hoheitliche Schiedsrichter benehmen dürfen und Urteile fällen können, die für unbeteiligte Dritte verbindlich sind", so Straubhaar gegenüber DW-WORLD.DE.
"Brutale Entmachtung"
Die Dominanz der drei großen Agenturen ist in der Tat gewaltig. Zusammen beherrschen sie etwa 95 Prozent des Ratinggeschäfts. Moody's und Fitch sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts dabei, Standard & Poor's seit 1941 – viel Zeit also, um sich am Markt zu etablieren. Ihre Sonderstellung wird jedoch auch durch gesetzliche Vorgaben zementiert – anfangs nur in den USA, dann auch in Europa. "In den 90er Jahren haben sich die Europäer von den amerikanischen Regulierungsbehörden mehr oder weniger unter Druck setzen lassen", sagt HWWI-Direktor Straubhaar. "Die Ratings der großen Drei sind damals für eine Aktivität europäischer Firmen auf dem amerikanischen Kapitalmarkt als verbindlich erklärt worden."
Was zunächst nur für Firmen galt, die sich von amerikanischen Anlegern Geld leihen wollten, zog bald größere Kreise. Inzwischen sind Ratings auch bei bestimmten Bilanz- und Eigenkapitalvorschriften für Unternehmen in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. Europäische Pensionsfonds und Versicherungen haben Vorgaben, ihr Geld nur in Papiere anzulegen, die von Agenturen als sichere Anlage bewertet werden. Und wenn staatliche Finanzaufsichtsbehörden einen Stresstest für Banken und Versicherungen machen, spielen die Noten der Ratingagenturen ebenfalls eine Rolle, so Straubhaar.
Namentlich erwähnt sind die drei großen Agenturen zumindest in den gesetzlichen Vorgaben nicht. Doch weil sie weltweit den größten Bereich an Ratings abdecken, profitieren sie besonders von den Vorschriften.
Eine Frage der Aufmerksamkeit
Der Wirtschaftsforscher Straubhaar würde die drei großen Agenturen am liebsten zu ganz normalen Mitspielern degradieren, deren Urteile mit den Bewertungen zahlreicher anderer Agenturen im Wettbewerb stehen. Die Europäische Kommission dagegen will die Agenturen stärker kontrollieren und hat für den Herbst eine Gesetzesvorlage angekündigt.
Torsten Hinrichs, der Deutschland-Chef von Standard & Poor's, ist gegen eine stärkere Regulierung. Doch er hat nichts dagegen, den Zwang zu Ratings aus den regulatorischen Vorgaben zu entfernen. Außerdem stehe es Anlegern ja schon heute frei, auf Ratings der Konkurrenz zu vertrauen. Weltweit gebe es mehr als 100 Ratingagenturen, so Hinrichs, die sich zum Teil auf einzelne Branchen oder Regionen spezialisiert hätten. "Die Dominanz der drei großen Agenturen wird dadurch begründet, dass die Investoren trotz dieser reichlich vorhandenen Alternativen den drei global agierenden Agenturen die meiste Aufmerksamkeit schenken."
Agentur-Chef Hinrichs weiß, dass der Vorsprung der großen Drei so leicht nicht aufzuholen ist. Konkurrenten müssten sich nicht nur das Vertrauen der Märkte erarbeiten, sondern auch groß genug sein und das gesamte Spektrum an Ratings anbieten, wenn sie nicht nur Nischenanbieter sein wollen. Wirtschaftsforscher Straubhaar vergleicht die Dominanz der drei großen Agenturen mit der des Softwareherstellers Microsoft im Computerbereich. Egal, ob man die gesetzlichen Vorgaben verschärft oder auf mehr Konkurrenz setzt – eine Änderung der bestehenden Verhältnisse wird auf jeden Fall viel Zeit brauchen.
Autor: Andreas Becker
Redaktion: Jutta Wasserrab