"Wir wären bereit, bis Weihnachten zu fahren"
16. April 2020DW: Anders als die Olympischen Spielen und die Fußball-EM soll die Tour de France noch in diesem Jahr stattfinden. Was bedeutet diese Nachricht für Ihr Team?
Ralph Denk: Das ist eine wichtige Nachricht für uns. Natürlich weiß man es ganz sicher erst, wenn tatsächlich losgefahren wird. Aber ich gehe jetzt mal davon aus, dass alles glatt geht. Außerdem ist ja bereits durchgesickert, dass auch der Giro d’Italia, die Vuelta, die WM und die fünf Radsport-Monumente (Mailand-Sanremo, Flandern-Rundfahrt, Paris-Roubaix, Lüttich-Bastogne-Lüttich und Lombardei-Rundfahrt, Anm. d. Red.) stattfinden sollen. Damit haben wir eigentlich fast alles, was wir brauchen. Das sind die Rennen, die die größte Reichweite für unsere Sponsoren bieten. Wenn du da erfolgreich bist, dann kannst du ein Jahr retten. Außerdem hat Paris-Nizza ja schon stattgefunden, wo wir mit Max Schachmann gewonnen haben.
Glauben Sie denn tatsächlich an die Austragung der Tour de France?
Ich glaube schon daran, ja klar. Der vorgelegte Plan macht ja auch Sinn: Die Tour de France, die Weltmeisterschaft, dann im Anschluss der Giro, dann die Spanien-Rundfahrt im November. In Spanien kann man sicherlich auch im November noch Rennen fahren. Wir wären sogar bereit, bis Weihnachten Rennen zu fahren.
Noch zeigen die Infektionszahlen in Europa aber weiter nach oben. Und der Radsport lebt vom direkten Kontakt mit den Menschen. Ist ein normaler Rennbetrieb ab August wirklich realistisch?
Dazu kann ich keine Stellung beziehen, ich bin kein Mediziner. Da müssen wir einfach den Behörden vor Ort vertrauen und die entscheiden, ob Radsport möglich ist und unter welchen Bedingungen. Aber ich hoffe doch, dass sich etwas tut. Ich wohne sehr nahe an der österreichischen Grenze, da haben die Geschäfte schon jetzt wieder offen. Ich sehe da Licht am Ende des Tunnels und ich denke, dass wir im Spätsommer bis Herbst wieder relativ normale Bedingungen haben werden.
Der Radsport war früh vom Coronavirus betroffen. Bei der UAE-Tour wurden schon Fahrer und Teammitglieder positiv getestet und unter Quarantäne gestellt. Wie sehr hat das Coronavirus Ihren Sport erschüttert?
Massiv. Viele Rennen wurden abgesagt, die Frühjahrsklassiker finden jetzt im Herbst statt. Da ist viel Umplanung nötig. Und man muss verstehen: Wir verdienen einen Teil unseres Geldes mit den Startgeldern. Schon jetzt fehlt uns ein mittlerer fünfstelliger Betrag.
Was würde ein Ausfall der Tour de France für Ihr Team und ihren Sport bedeuten?
Das wäre natürlich schon dramatisch. Die Tour ist das Wichtigste für uns, da machen wir keinen Hehl draus. Wir generieren da 70 Prozent unseres jährlichen Werbewertes - die Tour ist das höchste Gut. Findet das Rennen nicht statt, kann ich den Sponsoren keinen Gegenwert bieten. Wie man sich dann verständigt, muss man sehen. Also ich denke weiter positiv.
Tour-Chef Christian Prudhomme hat erklärt, dass die Tour de France auf jeden Fall mit Zuschauern stattfinden soll. Ist das auch Ihre Position?Natürlich ist es schön, wenn all die Menschen am Streckenrand stehen. Aber ich sehe das nicht so kritisch, denn anders als manche Fußballvereine leben wir nicht von den Zuschauern. Radsport ist gratis, die Zuschauer bezahlen kein Eintrittsgeld. Damit partizipieren wir und auch die Tour de France nur im indirekten Sinne von diesen Reichweiten. Insofern könnte ich mir eine Tour de France ohne Zuschauer vorstellen und habe eine klare Haltung: Lieber eine Tour de France ohne Zuschauer, als gar keine Tour de France!
Einige Teams haben angesichts der fehlenden Einnahmen bereits Mitarbeiter entlassen und Gehälter gekürzt. Sind solche Maßnahmen auch in Ihrem Team ein Thema?
Es kommt jetzt ganz darauf an, wann wir wieder Rennen fahren. Das wissen wir ja noch nicht. Vor der Tour werden wir wohl nicht viele Rennen bestreiten. Wenn der neue Kalender final steht, werden wir die Lage neu bewerten. Aber wir haben gut gewirtschaftet und besitzen ein paar Reserven. Zudem stehen wir im engen Austausch mit unseren beiden Hauptsponsoren Bora und Hansgrohe - beide stehen felsenfest zu ihrem Radsportengagement, das steht nicht zur Diskussion.
Ralph Denk, Jahrgang 1973, war früher Amateurradsportler und Bayerischer Meister. Danach arbeitete er in der Rad-Industrie und betrieb einen eigenen Radladen. Daraus entwickelten sich mehrere Teams, 2010 der erste Straßen-Profi-Rennstall, der 2014 erstmals bei der Tour de France startete. Mit Ex-Weltmeister Peter Sagan holte Denk zwei Mal das Grüne Trikot, mit dem Vorjahresvierten Emanuel Buchmann hat sein Team einen Podiumskandidaten in seinen Reihen.
Das Interview führte Joscha Weber.