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Raabe: "SPD vernachlässigt Entwicklungspolitik"

Mirjam Gehrke9. Januar 2014

Die SPD habe die Erhöhung der Mittel für Entwicklungspolitik in den Koalitionsverhandlungen verhindert, kritisiert ihr entwicklungspolitischer Sprecher - und zieht persönliche Konsequenzen.

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Sascha Raabe, SPD
Bild: imago

DW: Nach über acht Jahren als entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion haben Sie angekündigt, dass Sie nicht mehr für diese Funktion zur Verfügung stehen. Aus welchen Gründen?

Sascha Raabe: Ich habe sehr lange mit mir gerungen, ob ich diese Funktion weiter ausüben kann. Entwicklungspolitik ist seit meiner Jugend mein politisches Lebensthema. Aber ich habe den Eindruck gewonnen, dass Entwicklungspolitik von Teilen der SPD-Führung nicht mehr als wichtiges sozialdemokratisches Kernanliegen gesehen wird - sondern eher als ein Thema mit einem geringeren Stellenwert, das nur eine kleine Minderheit in Deutschland interessiert. Als entwicklungspolitischer Sprecher habe ich gerade in den letzten vier Jahren, als die SPD in der Opposition war, immer wieder Bundeskanzlerin Angela Merkel und auch Entwicklungsminister Dirk Niebel aufs Schärfste dafür kritisiert, dass sie nicht genug Mittel zur Verfügung stellen. Ich finde es sehr enttäuschend, dass eine deutliche Erhöhung der Mittel zur Bekämpfung der Armut jetzt an einigen Mitgliedern der SPD-Führung und nicht an der CDU gescheitert ist. Als Sprecher hätte ich dieses Verhalten meiner eigenen Parteifreunde verschweigen oder verteidigen müssen. Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.

Armut in Madagaskar: Ein kleiner Junge sucht in einem Slum nach Abfällen (Foto: AFP)
Bis 2030 sollen extreme Armut und Hunger weltweit überwunden werdenBild: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP/Getty Images

Eine Aufstockung der Mittel um fünf Milliarden Euro - die Hälfte von dem, was wir gefordert haben - wäre ein deutlicher Schritt in Richtung des 0,7 Prozent-Ziels gewesen (Anm. d. Red.: des Ziels, dass Industrieländer 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit einsetzen). Stattdessen wurden nur zwei Milliarden beschlossen, was einem jährlichen Aufwuchs von nur 200 Millionen Euro entspricht. Derzeit gibt Deutschland nur 0,37 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Entwicklungszusammenarbeit aus. Das ist beschämend niedrig. Damit liegen wir unter dem europäischen Durchschnitt. Dazu hat die Vorgängerregierung sehr stark beigetragen, auch die Kanzlerin, die im letzten Jahr sogar einer Kürzung des Etats zugestimmt hatte.

In Großbritannien haben sich die Parteien übergreifend darauf geeinigt, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des BIP zu erhöhen. Trotz der Probleme im eigenen Land übernimmt Großbritannien seine Verantwortung angesichts der globalen Armut.

Infografik Welthunger-Index Übersichtskarte (DW)

Halten Sie das 0,7-Prozent-Ziel überhaupt noch für realistisch?

Dieses Ziel sollte bis 2015 erreicht werden. Dazu hatten sich die EU-Mitgliedsstaaten 2005 verbindlich verpflichtet. Es gibt Länder in Europa, denen es wirtschaftlich schlechter geht und die das Ziel erreicht haben. Von daher gibt es für mich keinen Grund, warum Deutschland das nicht auch schaffen könnte.

Nachdem in der letzten Legislaturperiode die Mittel jedoch stagniert haben und zum Schluss sogar gekürzt wurden, war mir klar, dass auch unter der neuen Regierung diese Marke nicht bis 2015 erreicht werden kann. Deshalb hatte ich vorgeschlagen, jedes Jahr eine Milliarde Euro zusätzlich für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen, bis das 0,7-Prozent-Ziel erreicht ist.

Wenn wir als die zurzeit mit Abstand stärkste Wirtschaftskraft in Europa dieses Versprechen nicht erfüllen, werden andere europäische Länder sich auch nicht mehr an ihre Zusagen gebunden fühlen.

2015 laufen die Millenniumsentwicklungsziele aus. Sie sollen durch einen neuen Katalog von nachhaltigen Entwicklungszielen abgelöst werden. Welche Rolle sollte Deutschland bei der Aushandlung dieser Ziele spielen?

Das oberste neue nachhaltige Entwicklungsziel sollte sein, bis 2030 Hunger und extreme Armut weltweit komplett zu überwinden. Es ist bereits gelungen, die Zahl der extrem armen und hungernden Menschen weltweit zu halbieren. Aber zum größten Teil ist dieser Erfolg Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien zu verdanken. Der Kampf gegen Armut wird jetzt schwieriger, da viele der noch verbliebenen ärmsten Menschen in Subsahara-Afrika leben - in wenig entwickelten Ländern.

Das Kontrollzentrum der Mars-Mission in Indien (Foto: AP)
Gegensätze in Indien: Kontrollzentrum der MarsmissionBild: picture-alliance/AP

Bei den Millenniumszielen ist das Thema "gute Regierungsführung" zu kurz gekommen. Ein Thema bei den Nachhaltigkeitszielen sollte der Aufbau gerechter Steuersysteme in Entwicklungsländern sein. Die neuen Ziele sollten aber auch quantifizierbare Nachhaltigkeits-Verpflichtungen der Industrieländer beinhalten.

Das Auswärtige Amt (AA) strebt danach, die Zuständigkeit für die Schwellenländer zu übernehmen. Wird damit die Bedeutung des Entwicklungsministeriums beschnitten?

Überhaupt nicht! Das Auswärtige Amt hat schon immer mit Schwellenländern zusammengearbeitet. Und das Entwicklungsministerium wird auch künftig im Rahmen seiner Zuständigkeiten mit den Schwellenländern zusammenarbeiten. Aber diese Kooperation wird neu gestaltet. Indien fliegt mittlerweile zum Mars. In China und Indien gibt es Metropolen mit einer größeren Dichte von Luxusautos als in den meisten europäischen Städten, gleichzeitig hungern Millionen Menschen auf dem Land. Es kann nicht sein, dass die Regierungen dort das Menschenrecht auf Nahrung, Gesundheit und Bildung nicht umsetzen und wir das mit Steuergeldern finanzieren sollen. Wir müssen von diesen Ländern einfordern, dass sie ihre Hausaufgaben machen. Aber wir müssen auch weiterhin mit den Schwellenländern zusammenarbeiten. Den Klimawandel können wir nicht aufhalten, ohne mit Indien, China und Brasilien zu reden.

Armenspeisung vor einem Tempel in Delhi (Foto: Reuters)
Armenspeisung vor einem Tempel in Neu DelhiBild: Reuters

Aber bei der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit müssen wir uns auf die ärmsten Länder konzentrieren. Derzeit fließen nur 25 Prozent der Mittel in die Kooperation mit diesen Staaten.

Der SPD-Abgeordnete Sascha Raabe war von 2002 bis 2005 stellvertretender Sprecher und von 2005 bis Anfang 2014 Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der SPD-Bundestagsfraktion.

Das Gespräch führte Mirjam Gehrke.