Rückkehr der lebenden Dämme
17. April 2013Küstengebiete gehören zu den wertvollsten Biosphären der Welt – und zu den verwundbarsten, wie zuletzt der Tsunami 2004 gezeigt hat. Der Klimawandel lässt den Meeresspiegel ansteigen, auch Extremwetterereignisse wie Taifune werden zunehmen. Küsten und ihre Bewohner drohen die großen Verlierer des Klimawandels zu werden. Gerade dort, wo die Küstenwälder abgeholzt wurden, die bisher als lebende Dämme gegen das Meer dienten.
Sorgen um 36.000 Kilometer Küste
Die Philippinen bestehen aus 7107 Inseln mit 36.289 Kilometer Küstenlinie. Kein Wunder, dass man sich dort besondere Sorgen macht. Auch auf Negros, der viertgrößten Insel des Landes. In den letzten Jahrzehnten wurden dort an die 70 Prozent des Mangrovenbestands gerodet. Nun hat ein Umdenken eingesetzt - durch nie dagewesene Überflutungen im Februar 2009, die stetig höheren Temperaturen und den steigenden Meeresspiegel. "Das sind klare Zeichen, dass wir uns jetzt um den Umweltschutz kümmern müssen", sagt Gouverneur Emilio Macias auf einer im Sommer 2009 einberufenen Umweltkonferenz vor Fischern, Bauern, Umweltschützern und Entwicklungshelfern. "Nicht wegen uns, aber für unsere Kinder, Kindeskinder und alle weiteren Generationen." Nun soll auf Negros wieder aufgeforstet werden.
Mangroven sind eine Gruppe verholzender Salzpflanzen. Dazu gehören bis zu 20 verschiedene Baumarten, die sich an die extremen Lebensbedingungen an salzigen Küsten und brackigen Flussmündungen angepasst haben. Sie wachsen zwischen den 30. Breitengraden nördlich und südlich des Äquators, aber auch in Japan, den Bermudas, in Australien und Neuseeland an geeigneten Stellen. Ihr Dickicht aus Wurzeln bildet einen natürlichen Schutzgürtel gegen Stürme, Flutwellen, Überschwemmungen und Erosion. Beim Tsunami 2004 zeigte sich, dass Gebiete mit intakten Mangroven weit weniger zerstört wurden.
Von Krabben und Kohlendioxid
Mangroven sind dazu noch hervorragende Treibhausgas-Senken: Anderthalb Tonnen Kohlendioxid kann ein Hektar im Jahr aus der Atmosphäre ziehen. In den im Wurzelwerk festgehaltenen Sedimenten speichern sie nochmals 700 Tonnen pro Jahr. Mangrovenwälder bieten zudem Fischen, Muscheln, Krabben und Jungtieren vieler Arten einen sicheren Lebensraum.
Neben Korallenriffen und Regenwäldern zählen Mangroven zu den produktivsten Ökosystemen der Erde – und zu den am meisten bedrohten. Weltweit verschwinden sie doppelt so schnell wie der Regenwald – vor allem wegen des Platzbedarfs von Garnelenfarmen. Aber auch die Trockenlegung für die Umwandlung der Wälder in Plantagen und Bauland hat die Situation dramatisch verschärft. "Der Rückgang ist wirklich rasant", sagt der Meeresbiologe Onno Groß. Der Hamburger betreibt das Projekt Mangreen, das unter anderem die Aufforstung von Mangroven in Südindien voranbringt. "Die Hälfte des Mangrovenbestandes wurde in den letzten Jahrzehnten vernichtet", sagt der Meeresbiologe. Mit verheerenden Folgen, nicht nur für den Küstenschutz. Eine hohe Zahl wirtschaftlich wichtiger Fischarten pflanzt sich in den Mangroven fort - so gingen die Erträge der Küstenfischerei überall drastisch zurück, wo die Mangrovenwälder großflächig abgeholzt wurden.
"Nicht nur Bäumchen pflanzen"
Wegen der überragenden wirtschaftlichen und ökologischen Bedeutung werden inzwischen in vielen Regionen mit unterschiedlicher Intensität Mangrovenwälder wiederaufgeforstet: in Indonesien, Thailand, Indien, Vietnam, Brasilien, Barbados und eben den Philippinen. Die Europäische Union und die UNO fördern diese Projekte mit Millionenbeträgen. Auf den Philippinen hilft die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit mit einem Schutz- und Aufklärungsprojekt. Groß glaubt, dass dies ein Anfang ist, ein guter Anfang des Umdenkens: "Machen wir uns nichts vor. Es geht nicht nur darum, ein paar Bäumchen zu pflanzen, man muss vielerorts für den Umweltschutz eine funktionierende Zivilgesellschaft aufbauen."
Bis diese effektiv wird, haben die Umweltschützer einen Rat für jeden, um Mangrovenwälder zu schützen: "Weniger Shrimps, mehr Denken" heißt der Titel einer Kampagne der Umweltschutzorganisation Mangrove Action Project. Das hilft dem Mangrovenwald auf Negros – und auch überall sonst kann mehr Denken sicher nicht schaden.