Putin und Prochorow
12. Januar 2012Michail Prochorow, einer der reichsten russischen Unternehmer, hat recht: Russland braucht keine Revolution, sondern eine evolutionäre Entwicklung in Richtung Demokratie, Marktwirtschaft und Europa. Und er hat auch vollkommen recht, wenn er in einem aktuellen Gastkommentar für die britische Zeitung "The Guardian" behauptet, dass mit den Protesten in Russland im Dezember die Ära der "gelenkten Demokratie" zu Ende gegangen ist. Für oberflächliche Beobachter im Westen mögen diese Thesen Prochorows, der plant, als Kandidat an der russischen Präsidentschaftswahl teilzunehmen, spektakulär wirken: Scheinbar positioniert sich hier ein ernstzunehmender Gegenspieler zu Wladimir Putin mit liberalen und europäischen Überzeugungen.
Putins Problem
Doch es ist unklar, welche Rolle Prochorow bei der Präsidentschaftswahl spielt. Es gibt keinen seriösen Beweis dafür, dass er im Auftrag des Kremls handelt. Doch muss objektiv festgestellt werden, dass es im Sinne von Wladimir Putin ist, wenn Prochorow als Kandidat antritt. Mehr noch: Wenn es keinen Anwärter wie Prochorow geben würde, wäre der Kreml gut beraten, so einen Kandidaten zu schaffen.
Putin steht nach den Protesten gegen die angeblichen Fälschungen bei der Duma-Wahl vor einem Dilemma: Die Legitimität der Präsidentschaftswahl dürfte stark in Frage gestellt werden, wenn es zu erheblichen Wahlfälschungen kommt. Ebenso würde es für ihn unvorteilhaft aussehen, wenn er gegen die üblichen blassen Gegenkandidaten der Vorjahre, also gegen den populistischen Nationalisten Wladimir Schirinowski oder gegen den Kommunistenführer Gennadi Sjuganow gewinnen würde. In dieser Logik benötigt der Kreml einen ehrenvollen Kandidaten, der aber faktisch keine Siegeschancen gegen Putin hat - zumindest nicht in der zweiten, entscheidenden Runde, in der die beiden bestplatzierten Kandidaten der ersten Runde gegeneinander antreten. Der Kandidat Michail Prochorow passt genau in dieses Muster.
Prochorow versus Jawlinski
Prochorow ist einer dieser dynamischen und erfolgreichen Unternehmer, die in der Nachsowjetzeit aus dem Nichts zu Multimilliardären geworden sind. Viele soziale Aufsteiger der letzten Jahre in Russland können sich mit diesem Selfmademan identifizieren. Er verkörpert die Ideale des jungen russischen Mittelstandes, dessen Vertreter sich so zahlreich an den Protesten in Moskau beteiligt haben.
Mit seinen rechtsliberalen Positionen dürfte er zudem die eher liberal gesinnte Mittelschicht bei der Präsidentschaftswahl teilen. Zumindest wird er dem altbekannten Kopf des russischen Liberalismus, dem eher sozialliberal ausgerichteten Grigori Jawlinski, einige Stimmen abnehmen, sofern dieser überhaupt als Kandidat antreten darf.
Prochorow gibt Putins Sieg Glanz
Als Neueinsteiger in die russische Politik gibt der smarte Prochorow der Präsidentschaftswahl den Schwung, den der Kreml nach den Protesten im Dezember braucht. Prochorow nimmt die Grundpositionen eines Teils der Protestler auf, die eine politische und wirtschaftliche Stagnation in Russland befürchten. Zugleich ist dem Kreml klar, dass Prochorow in der breiten Masse in Russland nicht mehrheitsfähig ist. Einige Hinweise auf seinen in den letzten Jahren erworbenen Wohlstand dürften ausreichen, um ihn unter den vielen am Rande der Armut lebenden Russen – vor allem in der Provinz und auf dem Land – unglaubwürdig zu machen. Diesen russischen Wahlbürgern liegt das von Putin vertretene Konzept eines künftigen Russlands näher. In seinem kürzlich veröffentlichten Wahlprogramm setzt Putin ganz klar auf das Konzept eines paternalistischen starken Staates, der seinen Bürgern im Innern ein "Leben in Würde" und nach außen den Großmachtstatus verspricht. Selbst unter freien und fairen Bedingungen dürfte sich die Mehrheit der Russen in einer Stichwahl zwischen Putin und Prochorow eindeutig für Putin entscheiden.
Autor: Ingo Mannteufel
Redaktion: Markian Ostaptschuk